Aber so kurz der Moment auch war - er reichte.
Hastig sprang ich zur Seite, um aus der Reichweite seiner Waffe zu kommen, wartete, bis der Maskierte aufsah und der Blick seiner dunklen Augen dem meinen begegnete - und schlug mit aller geistiger Macht zu.
»Bleib stehen!« befahl ich.
Meine Stimme klang schneidend und scharf wie ein Peitschenhieb, und wie immer, wenn ich das düstere Erbe meines Vaters entfesselte, erschrak ich fast selbst vor ihrem Klang. Aber ich spürte die Macht der hypnotischen Gewalt, die wie eine unsichtbare Welle in seinen Geist flutete und jeden Widerstand zerschmetterte.
Der Fremde erstarrte wie eine Puppe. Seine Augen weiteten sich, aber die wilde Entschlossenheit in seinem Blick war blankem Entsetzen gewichen.
Aber nur für einen Moment.
Dann - so plötzlich und unerwartet wie ein Blitz aus einem heiterem Sommerhimmel - drängte sich etwas anderes, Fremdes, zwischen seinen Geist und mich, zerriß das geistige Band und schmetterte meine eigene Kraft auf mich zurück.
Es war wie ein Hammerschlag.
Ich schrie auf, fiel auf die Knie und krümmte mich. Flammende farbige Kreise tanzten vor meinen Augen, und für einen winzigen, schrecklichen Moment spürte ich, wie die geistige Faust tiefer bohrte und nach der Substanz meines Selbst griff.
Dann erlosch der Druck; Bruchteile von Sekunden, ehe er tödlich hätte werden können.
Als ich wieder klar sehen konnte, hatte sich der Fremde wieder erhoben und das Schwert in den Gürtel gesteckt. Er stand lauernd und mit leicht gespreizten Beinen da. Ich kannte diese Art, einen Gegner zu erwarten, nur zu gut. Der kurze Kampf, der meinem geistigen Angriff vorausgegangen war, hatte mir gezeigt, daß der Maskierte ein Meister des waffenlosen Kampfes war.
Neben mir stemmte sich Howard auf die Füße, schüttelte benommen den Kopf und ging langsam, mit erhobenen Fäusten, auf den Fremden zu.
»Sei vorsichtig, Howard«, sagte ich warnend.
Howard nickte. Seine Zunge fuhr nervös über die Lippen.
Langsam bewegten wir uns auf den Fremden zu.
Der Mann sah uns ruhig entgegen. Aus irgendeinem Grunde verzichtete er darauf, seine Waffe abermals zu ziehen.
»Geben Sie auf«, sagte ich. »Sie haben keine Chance.«
Statt einer Antwort griff der Fremde an, und obwohl ich darauf vorbereitet gewesen war, kam meine Reaktion zu spät. Er sprang vor, einen gellenden, abgehackten Schrei auf den Lippen, schlug mit dem Handballen nach Howards Brust und trat gleichzeitig nach mir. Sein Fuß durchbrach meine Deckung. Ich prallte gegen die Wand und kämpfte einen Moment gegen die roten Schleier, die meinen Blick vernebelten. Howard versuchte nach dem Fremden zu schlagen, aber der wich seinem Hieb mit fast spielerischer Leichtigkeit aus, packte sein Handgelenk und brachte ihn mit einem kurzen, harten Ruck aus dem Gleichgewicht. Howard wurde von den Füßen gerissen und segelte in hohem Bogen über den plötzlich gekrümmten Rücken des Angreifers durch die Luft und auf die Marmortreppe zu.
Das Krachen des zerbrechenden Treppengeländers mischte sich mit Howards Schrei. Das armdicke gedrechselte Holz zerplitterte unter seinem Aufprall. Wie in einer grausigen Vision sah ich, wie Howard mit wilden Bewegungen nach hinten kippte.
Seine Hände fanden im letzten Moment Halt an einer abgebrochenen Strebe und klammerten sich fest. Das Holz knirschte unter seinem Gewicht, bog sich sichtbar durch - und brach!
Ohne auf den Fremden zu achten, sprang ich hinzu, erreichte ihn im letzten Moment und griff nach seinem Handgelenk.
Der Ruck, mit dem ich seinen Sturz abfing, schien mir die Arme aus den Schultern zu reißen. Für einen kurzen, schrecklichen Augenblick verlor auch ich auf den glatten Marmorstufen den Halt, fiel, von Howards Gewicht gezogen, nach vorne, rutschte auf den zweieinhalb Stockwerke tiefen Abgrund zu und klammerte mich irgendwo fest.
Die Zeit schien stehenzubleiben. Howards Beine pendelten hilflos über der zwanzig Yard tiefen Schlucht, und aus dem Erdgeschoß drangen aufgeregte Schreie und Rufe zu uns herauf. Mit aller Kraft versuchte ich, Howard hochzuzerren, aber sein Körper schien mit einem Mal Tonnen zu wiegen, und ich spürte, wie auch ich Zentimeter für Zentimeter auf den Abgrund zugezogen wurde. Howard schrie wie von Sinnen und strampelte wild mit den Beinen.
Ich rutschte ein weiteres Stück nach vorne. Howards Hand kam hoch, krallte sich in meine Weste - und dann zog er sich mit der Kraft der Verzweiflung nach oben und über die Kante.
Dieser neuerliche Ruck war zuviel.
Ich schrie auf, ließ sein Handgelenk los und kippte, hilflos mit den Armen rudernd, nach vorne. Der Abgrund stürzte auf mich zu; ein gigantisches, bodenloses Maul, auf das ich zugezogen wurde!
Ein Schatten erschien über mir. Dunkle, von schwarzem Tuch umgebene Augen starrten mich an, und plötzlich griff eine Hand nach meinem Arm, riß mich zurück und wieder auf die Treppe hinauf.
Sekundenlang blieb ich benommen sitzen. Geräusche drangen an mein Ohr, und mit einem kleinen Teil meines Bewußtseins sah ich, wie Howard mit der dunkel gekleideten Gestalt zu ringen begann und plötzlich zu Boden sank.
Ich versuchte aufzustehen, griff kraftlos nach dem Angreifer und bekam einen Hieb, der mich erneut auf die Knie fallen ließ. Der Fremde wirbelte herum und begann mit weit ausholenden Schritten die Treppe hinabzustürmen.
Howard zerrte mich auf die Füße. »Los, Robert!« keuchte er. »Er darf nicht entkommen!«
Noch halb betäubt von dem Schock taumelte ich hinter ihm her. Der Fremde jagte wie von Furien gehetzt die Treppe hinab, schwang sich plötzlich über das Geländer und überwand die letzten vier Yard bis zum Erdgeschoß mit einem gewagten Satz. Er fiel, rollte über die Schulter ab und kam mit einer eleganten, fließenden Bewegung wieder auf die Füße. Ich hatte selten jemanden gesehen, der sich so schnell und geschickt zu bewegen imstande war. Schnell hatte er einen großen Vorsprung vor Howard und mir.
Aber der Fremde versuchte nicht, den Ausgang zu erreichen - im Gegenteil.
Die schmale Tür unter der Treppe bemerkte ich erst, als er sie aufriß und hindurchstürmte.
»Er will in den Keller!« schrie Howard. »Hinterher!«
Er riß im Vorüberlaufen einen Säbel von der Wand und stürmte mit gesenkten Schultern durch die Tür.
Der Fremde hatte das Ende der schmalen, steil in die Tiefe führenden Treppe fast erreicht, als ich dicht hinter Howard durch die Kellertür drängte. Howard fluchte vor Zorn und Enttäuschung, als er sah, daß ihm sein Opfer zu entkommen drohte, streckte den Säbel vor und raste, immer zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, in die Tiefe.
Ein großer, mit allerlei Unrat und Gerümpel vollgestopfter Raum nahm uns auf. Das Licht sickerte durch wenige, schmale Fenster hoch oben unter der Decke, und ein Hauch von Feuchtigkeit und Kälte schlug uns entgegen. Die nackten Wände reflektierten das Geräusch unserer Schritte und warfen sie als verzerrte, unheimlich hallende Echos zurück. Und dann sahen wir den Fremden. Er war in der Mitte des Raumes stehengeblieben und hatte uns mit erhobenem Säbel erwartet.
Nun sprang er Howard einen Schritt entgegen und führte die Waffe in einem blitzartigen, halbkreisförmigen Hieb.
Seine Klinge traf Howards Säbel dicht über dem Heft und zerschmetterte ihn.
Howard schrie auf, stürzte und rollte sich instinktiv zur Seite, als er sah, daß der Mann den Säbel nun mit beiden Händen schwang und zu einem letzten Hieb ausholte.
Ich setzte alles auf eine Karte. Mit aller Kraft stieß ich mich ab, zog die Beine an den Körper und trat noch im Sprung zu. Den Tritt hatte ich von einem Chinesen in den New Yorker Slums gelernt. Doch anscheinend war ich kein sehr guter Schüler gewesen. Der Fremde wich mir nur zu leicht aus und ließ mich ins Leere stürzen. Unbeholfen prallte ich auf den harten Steinboden. Ein scharfer, glühender Schmerz schoß durch meine Kiefer. Meine Handgelenke schienen zu brechen, als ich versuchte, dem Sturz die allergrößte Wucht zu nehmen.