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Mit einem Schrei wälzte ich mich herum, sprang auf die Füße und torkelte abermals auf den Maskierten zu. Er stand ganz ruhig da, das Schwert mit ausgestreckten Armen vor sich haltend. In seinen Augen blitzte ein sonderbares Feuer, als sich unsere Blicke trafen.

Aber er schlug nicht zu.

Statt dessen wirbelte er herum, stieß sein Schwert in den Gürtel und rannte davon. Für eine Sekunde war ich völlig perplex. Er hätte mich töten können. Warum floh er?

Doch jetzt war nicht der Augenblick, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich stürmte hinter dem Maskierten her. Der Fremde rannte mit gesenktem Kopf zwischen den aufgestapelten Kisten und Körben hindurch - direkt auf eine niedrige Tür an der Schmalseite des Raumes zu.

Er erreichte sie wenige Sekunden vor mir, riß sie auf und stürmte hindurch. Auch ich überwand die letzten Schritte mit einem wütenden Satz, riß mit aller Macht am Türgriff und -

Ich wußte hinterher nicht genau zu sagen, warum ich die Gefahr nicht bemerkte und irgendwie reagierte. Wahrscheinlich spielten mir meine eigenen, überschnellen Reflexe in diesem Moment einen bösen Streich, denn ich warf mich mit aller Kraft nach vorne und durch die Tür.

Daß dahinter eine massive, gemauerte Wand war, bemerkte ich einen Sekundenbruchteil zu spät.

Als ich erwachte, lag ich auf dem harten Kellerboden, und der helle Fleck über mir wurde langsam zu Howards Gesicht.

»Alles in Ordnung, Junge?« fragte er besorgt.

Ich nickte, verzog das Gesicht, als mein Kopf mit einem dumpfen, pochenden Schmerz auf die plötzliche Bewegung reagierte, und versuchte mich hochzustemmen. Für einen Moment begann sich der Keller um mich herum zu drehen, und ich mußte mich an Howards Arm festhalten, um nicht erneut zu stürzen. Als ich die Hand hob und vorsichtig nach meiner Stirn tastete, fühlte ich eine mächtige Beule.

»Wie oft muß ich dir eigentlich noch sagen, daß du nicht versuchen sollst, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen?« fragte Howard in einem Anflug von Galgenhumor.

Ich schenkte ihm einen giftigen Blick, schob seine Hand beiseite und näherte mich - weitaus langsamer als beim ersten Mal - der Tür. Sie war wieder geschlossen, und obwohl ich genau wußte, was ich dahinter zu erwarten hatte, ließ mich der Anblick für Sekunden den Atem anhalten und verblüfft auf die uralten, von Moder und Feuchtigkeit fleckig gewordenen Steine starren.

»Das ist doch nicht möglich!« entfuhr es mir. »Verdammt, Howard, ich habe gesehen, wie er durch diese Tür gegangen ist.«

»Ich auch«, antwortete Howard düster.

Ungläubig tastete ich mit den Fingerspitzen über den morschen Stein. Ich rechnete fast damit, meine Fingerspitzen in seine Oberfläche eindringen zu sehen, aber er war massiv; natürlich, massiv und undurchdringlich. Der pochende Schmerz in meiner Schläfe wäre nicht nötig gewesen, mich davon zu überzeugen.

»Diese Wand muß schon ziemlich lange hier stehen«, sagte Howard. »Sieh dir den Moder an - er ist zum Teil mit dem Türrahmen verwachsen. So etwas dauert Jahre!«

»Aber welcher Trottel würde einen Türrahmen vor eine massive Mauer bauen?«

Howard zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hat sie jemand zugemauert. Aber wenn, dann vor ziemlich langer Zeit. Und jetzt frag mich bloß nicht«, fuhr er mit leicht erhobener Stimme fort, »wie dieser Bursche durch die Wand gekommen ist. Ich weiß es so wenig wie du. Was mich viel mehr interessiert, ist die Frage, wer er war.« Er blickte mich scharf an. »Hast du ihn je zuvor gesehen?«

Ich verneinte. Von seinem Gesicht war nicht viel zu erkennen gewesen, aber ich wußte zumindest, daß ich jemanden wie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Allein die Schnelligkeit, mit der er sich bewegte, hatte etwas Übernatürliches gehabt.

»Noch nie«, antwortete ich. »Ich weiß weder, wer er war, noch was er wollte.«

Howard lachte rauh. »Uns umbringen, was sonst?«

»Glaubst du? Er hatte mehr als eine Gelegenheit, uns beide zu töten. Er hat es nicht gewollt.«

Howard blickte mich einen Moment zweifelnd an. Dann hob er die Hand und tastete nachdenklich über seine Schläfe, dort, wo ihn die Klinge des Angreifers getroffen hatte. Mit der Breitseite getroffen hatte. Der Hieb hätte ihm auch den Schädel spalten können.

»Du hast recht«, murmelte er. »Als du von ... der Treppe gestürzt bist, hat er dich sogar gerettet. Aber was wollte er dann?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Vielleicht stehlen. Wir sollten hinaufgehen und sehen, ob irgend etwas fehlt. Vielleicht ein Kronleuchter.«

Howard verzog das Gesicht, ging aber nicht weiter auf meine Worte ein; vielleicht spürte er, daß sie nicht halb so scherzhaft gemeint waren, wie sie im ersten Moment klangen. Trotzdem nickte er schließlich. »Du hast recht - gehen wir hinauf. Hier können wir ohnehin nichts mehr ausrichten.«

Nach einem letzten, verstörten Blick auf die zugemauerte Tür wandte ich mich um und ging zur Treppe zurück.

Ich fand erst jetzt wirklich Gelegenheit, mich im Keller umzusehen. Eigentlich gab es nichts Besonderes - er war sehr groß, und die Decke war, wie bei Kellern in alten Häusern oftmals üblich, mehrfach gewölbt und wurde von einer Reihe fast mannsdicker Stützpfeiler getragen. Trotz seiner Größe wirkte er eher beengt, denn er war fast zum Bersten mit Kisten, Fässern und in Tuch eingeschlagene Ballen vollgestopft, die - ihrem verstaubten Äußern nach zu urteilen - schon seit sehr langer Zeit unangetastet hier liegen mußten. Das Licht, das durch die wenigen vergitterten Fenster hereinfiel, wirkte grau und blaß.

Und ...

Ich war mir nicht sicher, und ich blieb auch nicht stehen, um mich zu überzeugen, aber ein paar der Linien und Winkel kamen mir falsch vor.

Das Gefühl war schwer in Worte zu kleiden, aber es war, als gäbe es hier und da einen Winkel, den es eigentlich nicht geben durfte, eine Linie, die gleichzeitig gerade und gekrümmt war, ein Rechteck, dessen Winkel mehr als dreihundertsechzig Grad maß.

Ich versuchte den Eindruck abzuschütteln. Es war nicht das erste Mal, daß ich so etwas sah - die Welt, in die ich getreten war, seit ich das Erbe meines Vaters übernommen hatte, war nicht die Welt der Menschen. Es gab Dinge in ihr, die dem menschlichen Begriffsvermögen entzogen waren, Dinge, die krank machten oder töten konnten, wenn man versuchte, ihr Geheimnis zu ergründen. Es war kalt, und durch die zum Teil zerbrochenen Fenster schlichen sich Feuchtigkeit und dünne Nebelschwaden ein.

Wieder durchstreifte mein Blick den Raum, und wieder bemerkte ich hier und da Linien und Winkel, die nicht stimmten, und an der Wand ...

... den Schatten!

Der Anblick traf mich so überraschend, daß ich wie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt stehenblieb und einen krächzenden Schrei ausstieß. Durch eines der Fenster fiel blasses Sonnenlicht herein, gerade kraftvoll genug, meinen und Howards Schatten auf die gegenüberliegende Wand zu werfen.

Und Howards Schatten war nicht der eines Menschen!

Howard fuhr herum, als er meinen Schrei hörte, sah mich eine halbe Sekunde verwirrt an, drehte mit einem Ruck den Kopf - und erstarrte ebenfalls, als er das groteske, tentakelschwingende Ding sah, was dort wogte, wo sein eigener Schatten neben meinem sein sollte.

Dann, so schnell, wie er gekommen war, verschwand der Schatten. Plötzlich waren wieder zwei ganz normale menschliche Schattenbilder an der Wand, aber etwas von der Kälte und Fremdartigkeit der Bestie schien zurückzubleiben.

Und plötzlich fror ich.

Ich hatte den Schatten an der Wand erkannt.

Es war nicht das erste Mal, daß ich ihn sah. Ich hatte sogar das Wesen, zu dem dieser Schatten gehörte, schon einmal gesehen, und ich hatte seine schwarze Seele in der meinen gespürt. Die weiße Haarsträhne über meinem rechten Auge war nur das äußere Zeichen meiner Begegnung mit einem dieser namenlosen Dämonen, die in Ermangelung einer anderen Bezeichnung die GROSSEN ALTEN genannt wurden.