Er war nicht sehr groß, das sah ich, obwohl er auf den Knien hockte und zur Bewegungslosigkeit erstarrt war. Sein Gesicht war fast zur Gänze unter der Kapuze des schwarzen, bodenlangen Mantels verborgen, in den seine Gestalt gehüllt war. Alles, was ich sehen konnte, war ein schmallippiger, dünner Mund, der von einem schwarzen Bart eingerahmt war. Es war seltsam - wieder hatte ich den Eindruck gehabt, daß der Angreifer sein Schwert nicht tödlich geführt hatte. Er hätte mich eigentlich schon beim ersten Schlag treffen müssen. Was steckte dahinter?
»Also«, begann ich. »Wer sind Sie, und was wollen Sie hier?«
Er antwortete nicht, sondern starrte mich nur weiter schweigend unter seiner Kapuze hervor an, und mir fiel auf, wie faltig und zerfurcht sein Gesicht wirkte. Und ungewöhnlich blaß. Er mußte fast ein Greis sein - aber ein Greis mit den Kräften eines Athleten. Jedenfalls war er nicht der Mann, der Howard und mich am Nachmittag angegriffen hatte.
Er bewegte sich. Ich hob die Waffe ein wenig und spannte den Hahn. In der Stille, die nach dem kurzen Kampf in der Bibliothek eingekehrt war, klang das Knacken wie ein Peitschenhieb. Der Fremde erstarrte wieder.
Fast.
Ich hatte halbwegs mit einem Angriff gerechnet, und trotzdem kam seine Bewegung so schnell, daß ich kaum mehr die Zeit fand, zu reagieren. Seine Hand zuckte unter dem Mantel hervor, in einer Bewegung, die so schnell war, daß ich sie nicht einmal richtig sah. Gleichzeitig federte er in einem schlichtweg unmöglichen Satz auf die Füße und auf mich zu. In seinen Fingern blitzte ein gekrümmter Dolch. Diesmal schien er Ernst zu machen.
Mir blieb keine Wahl.
Ich drückte ab.
Der Schuß war auf seine Schulter gezielt, aber er bewegte sich zu schnell - und sprang direkt in die Schußbahn!
Sein Körper schien von einer Riesenfaust getroffen und wie eine Puppe zurückgeschleudert zu werden. Er schrie, ließ das Messer fallen, krümmte sich und taumelte rückwärts davon, prallte gegen den Kaminsims und fiel erneut zu Boden. Ein Zipfel seines Mantels geriet in die Flammen und fing Feuer.
Ich stieß einen Fluch aus, warf den Revolver von mir und eilte auf ihn zu, um ihn aus dem Feuer zu ziehen. Es waren nur wenige Schritte bis zum Kamin, aber als ich ihn erreichte, stand sein Mantel bereits in Flammen, und die Hitze schlug mir wie eine unsichtbare glühende Hand ins Gesicht.
Der Alte bewegte sich. Ich fiel auf die Knie, griff nach seinen Schultern, um ihn aus der Glut zu zerren und das brennende Kleidungsstück herunterzureißen - und fiel keuchend zurück, als mich ein Fausthieb traf!
Ich rollte herum und sah aus den Augenwinkeln, wie der Alte aufsprang und nach mir trat! Ich versuchte den Tritt abzufangen, schaffte es aber nicht ganz, rollte zur Seite und kämpfte einen Herzschlag lang gegen schwarze Bewußtlosigkeit.
Als die grauen Schleier vor meinen Augen wichen, bot sich mir ein Anblick wie aus einem Alptraum.
Der Alte hatte seine Waffe vom Kaminsims gerissen und hoch über seinen Kopf erhoben, aber er war nur als flackernder Schemen zu erkennen.
Grellweißes Feuer hüllte ihn wie ein lodernder Mantel ein. Er schrie, hoch und schrill, stieß Worte in einer fremden, guttural klingenden Sprache aus und taumelte auf mich zu, das Schwert in beiden Händen.
Die Hitze war unerträglich. Wo er ging, zerfiel der Teppich zu schwarzer Asche, und das Parkett darunter begann zu schwelen.
Ich sprang auf, packte den nächstbesten Gegenstand - es war eine Petroleumlampe - und schleuderte sie nach ihm. Er machte nicht einmal einen Versuch, dem Wurfgeschoß auszuweichen. Die Lampe traf seine Schulter, zerbrach und ging in brüllende Flammen auf.
Aber er fiel nicht.
Er blieb stehen. Sein Körper begann zu zittern, und ich sah, wie die Klinge des Schwertes langsam in dunklem, drohendem Rot zu glühen begann -
Das Feuer mußte heiß genug sein, um Eisen zu schmelzen, und doch torkelte er weiter auf mich zu, langsam, schleppend und unendlich mühevoll, aber unerbittlich. Wo er ging, blieb eine Spur aus prasselnden Flammen zurück.
Endlich erspähte ich meinen Revolver auf dem Fußboden. Er lag ein Stück neben dem Unheimlichen - und in der Trommel waren noch fünf Kugeln!
Mit der Kraft der Verzweiflung hechtete ich an dem brennenden Mann vorbei, rollte mich ab und sprang nach der Waffe. Ich bekam sie zu fassen, rollte mich auf den Rücken und schoß drei, vier, fünfmal hintereinander, bis die Trommel leer war und der Hammer klickend ins Leere schlug.
Jede einzelne Kugel traf.
Ich sah, wie grellweiße Feuerbälle dort aufflammten, wo die Geschosse in die glühende Flammensäule schlugen, wie der Körper darunter bis ins Mark erschüttert wurde - und weiter auf mich zukam!
Der Anblick lähmte mich. Ich ließ die nutzlos gewordene Waffe fallen und kroch rücklings vor dem Unheimlichen davon, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Der Angreifer taumelte. Die Waffe entglitt seinen Händen und fiel polternd zu Boden, um ein weiteres Stück des Teppichs in Brand zu setzen, aber der Mann kam noch immer auf mich zu. Brennende Fetzen seines Gewandes fielen zu Boden wie kleine, glühende Meteore. Er kam näher, blieb einen halben Meter vor mir stehen und hob die Arme. Seine schrecklichen Hände öffneten sich zu einem letzten, tödlichen Griff!
Ein dumpfer Schlag mischte sich in das rasende Hämmern meines Herzens. Ein Schuß peitschte, lauter und dumpfer als die Revolverschüsse, die ich abgefeuert hatte, dann erschien eine riesige, unglaublich breitschultrige Gestalt hinter dem brennenden Mann, hob ihn hoch - und warf ihn mit einer wütenden Bewegung quer durch das Zimmer gegen das Fenster!
Scheibe und Rahmen zerbrachen. Die Gardinen flammten auf wie trockenes Laub, als der Gluthauch des Unheimlichen sie streifte. Der Mann versuchte noch, sich festzuklammern - und stürzte mit einem Schrei in die Tiefe. Ein dumpfer Schlag folgte. Dann war Stille.
Wie durch einen roten Schleier sah ich, wie mein Retter die Flammen ausschlug, die auf seine Ärmel übergegriffen hatten, und zum Fenster stürmte. Das Zimmer begann sich vor meinen Augen zu drehen und zu verbiegen. Mir war plötzlich übel und kalt, gleichzeitig schien mein Körper wie unter einem inneren Feuer zu glühen. Ich spürte, daß ich das Bewußtsein zu verlieren begann.
Das letzte, was ich wahrnahm, war Rowlfs breitflächiges Bullbeißergesicht, das sich vom Fenster abwandte und zu einem Grinsen zerfloß.
»Na, Junge«, sagte er. »Sieht aus, wie wenn wir grad noch im letzt’n Moment gekomm’ warn, wa?«
Ich konnte kaum länger als eine Minute ohne Bewußtsein gewesen sein, denn als ich die Augen das nächste Mal aufschlug, stand Rowlf noch immer am Fenster und blinzelte in die Dunkelheit hinaus. Eine Hand schlug mir immer wieder ins Gesicht, und als ich endlich den Kopf wandte und nach dem Quälgeist Ausschau hielt, erkannte ich Howards Gesicht, das zu einem Ausdruck tiefer Sorge verzogen war.
»Alles in Ordnung, Junge?« fragte er.
Ich nickte, stemmte mich hoch und schüttelte gleich darauf den Kopf. Mein Blick saugte sich an Rowlfs breitem Rücken fest. Rowlf!
»Was zum Teufel ist hier passiert?« fragte Howard. Seine Hand wies mit einer weit ausholenden Geste auf das verwüstete Zimmer. Die Luft war dick und grau vor Qualm, und hier und da flackerten noch immer kleine Brände und Nester roter Glut in dem geschwärzten Parkettfußboden.
»Was hier passiert ist?« murmelte ich verstört. Ich hatte Mühe, seinen Worten überhaupt zu folgen. Ich konnte nichts anderes, als Rowlf anzustarren.
Schließlich riß Howards Geduldsfaden. Mit einem ärgerlichen Knurren packte er mich an der Schulter und zwang mich recht unsanft, ihn anzusehen. »Verdammt, ich habe etwas gefragt!« schnappte er. »Was ist passiert? Was machst du überhaupt hier? Ich dachte, du triffst erst morgen hier ein.«
Mühsam löste sich seine Hand von meiner Schulter. »Was ich hier mache?« fragte ich ungläubig. »Aber du hast ... du hast mich doch selbst ... und Rowlf ... ich meine, wieso ... was macht er hier überhaupt?«