Herr Dimpfelmoser verstand.
„Und – haben Sie nie versucht ihn zurückzuhexen?"
„Natürlich", sagte Frau Schlotterbeck. „Aber es hat nicht geklappt und da habe ich's schließlich aufgegeben. Sie werden begreifen, dass mir seit damals die Lust am Hexen vergangen ist. Doch genug von den alten Geschichten! Falls Sie sich nicht an Wastis Aussehen stoßen – von mir aus dürfen Sie ihn auf die Räuberjagd mitnehmen."
Ein Dutzend Rotkappen
Hotzenplotz führte Kasperl und Seppel am Strick vor sich her. Sie ließen die Köpfe hängen und hatten Bauchweh vor Wut. Wenn sie Herr Dimpfelmoser im Stich ließ, gingen sie trüben Zeiten entgegen, das wussten sie.
„Na, ihr zwei lahmen Enten – ich glaube fast, ihr habt schlechte Laune. Soll euch der gute Onkel was vorpfeifen?"
Hotzenplotz pfiff sein Lieblingslied, das vom lustigen Räuberleben im Wald. Dazu schepperte er im Takt mit der Geldkanne.
„Hört sich nicht schlecht an, wie? Ich möchte bloß wissen, warum ihr nicht mitpfeift, ihr alten Sauertöpfe, hö-hö-hö-höööh!"
Wenig später entdeckte er unter den Bäumen am Wegrand ein ganzes Nest Rotkappen: mehr als ein Dutzend, bildschön gewachsen und kerngesund.
„Brrr!", rief er. „Stehen bleiben! Dass ihr mir nicht aus Versehen die herrlichen Pilze zertrampelt! Die nehme ich mit, das gibt eine prima Schwammerlsuppe für mich."
Er band Kasperl und Seppel am nächsten Baum fest, zog eines der sieben Messer aus dem Gürtel und schnitt die Rotkappen ab. Dann säuberte er die Stiele von Tannennadeln und Erdkrumen, holte ein großes kariertes Taschentuch aus dem Hosensack, packte die Pilze hinein und knüpfte es über Kreuz zusammen.
„So, fertig!", sagte er. „Und nun rasch nach Hause! Schwammerlsuppe von Rotkappen mag ich nämlich fürs
Leben gern – fast noch lieber als Bratwurst mit Sauerkraut. Bildet euch ja nicht ein, dass ihr was davon abbekommt! Nicht einen halben Löffel kriegt ihr von meiner Schwammerlsuppe, die esse ich ganz allein auf!"
„Ach nein", meinte Kasperl.
Ihm war ein Gedanke gekommen: ein guter Gedanke, der beste seit mindestens vierzehn Tagen.
„Kennen Sie diese Pilze denn überhaupt?", fragte er. „Sind Sie sicher, dass keine giftigen drunter sind?"
„Giftige?" Hotzenplotz tippte sich an die Stirn. „Du hältst mich für sehr blöd, wie? Das sind Rotkappen wie aus dem Bilderbuch, da gibt's keinen Zweifel dran. Und jetzt vorwärts, wir müssen weiter!"
Seit er die Pilze gefunden hatte, war seine Laune noch besser geworden. Von jetzt an pfiff er so laut und falsch und machte dazu mit der Geldkanne einen solchen Krach, dass es Kasperl nicht schwer fiel, mit Seppel heimlich über seinen Plan zu sprechen.
Wenn sie ein bisschen Glück hatten, konnte ihnen die Schwammerlsuppe von großem Nutzen sein; und eigentlich waren sie ja, nach dem vielen Pech in der letzten Zeit, mit dem Glückhaben wieder mal an der Reihe, fanden sie ...
So kam es, dass sie einen ganz vergnügten Eindruck machten, als Hotzenplotz sie zu Großmutter in die Höhle brachte – und Großmutter schloss daraus, dass sie gekommen seien, sie abzuholen.
„Endlich!", rief sie, vor Freude schluchzend. „Ich wusste ja, dass ihr mich hier herausholen würdet, ihr beiden Guten! Was meint ihr, wie froh ich bin, dieses scheußliche Ding da loszuwerden! Das scheuert einem ja Haut und Knochen durch!"
Großmutters linker Fuß steckte in einer Eisenschelle, an der eine lange Kette befestigt war, deren anderes Ende an einem Ring in der Mauer hing. So konnte sie zwar in der Höhle umhergehen und für Hotzenplotz arbeiten, aber nicht weglaufen.
„Ich muss Sie enttäuschen, Großmutter", sagte der Räuber Hotzenplotz. „Kasperl und Seppel sind nicht gekommen, um Sie nach Hause zu bringen: Sie werden hier bleiben – vorläufig wenigstens, bis ich mir überlegt habe, was ich mit ihnen mache. Fürs Erste kommen sie an die Kette und dürfen den Fußboden scheuern!"
Er holte zwei Ketten herbei. Mit der einen hängte er Kasperl am Mauerring an, mit der anderen Seppel, dem das nichts Neues war, weil er ja vor drei Wochen schon einmal von ihm an die Kette gelegt worden war.
„Ich hoffe, die Fußschellen sitzen stramm genug!"
Hotzenplotz lachte und steckte den Schlüssel in seine Westentasche.
„Passt auf, dass die Ketten sich nicht verheddern! Ich hole jetzt Wasser und Schmierseife. Dann kriegt jeder von euch eine Wurzelbürste – und wehe, wenn ihr den Boden nicht weiß schrubbt wie eine frische Windel!"
Großmutter war vor Schreck und Verzweiflung auf einem Hocker zusammengesunken. Hotzenplotz stieß mit dem Fuß dagegen und raunzte:
„Heulen Sie hier nicht rum, damit ändern Sie doch nichts! Nehmen Sie lieber die Rotkappen da und kochen Sie mir eine Schwammerlsuppe davon – aber mit Speck und Zwiebeln, verstanden, und einer guten Einbrenn dran, denn so mag ich das!"
Schwammerlsuppe
Kasperl und Seppel rutschten auf den Knien durch die Räuberhöhle und schrubbten den Fußboden. Während Hotzenplotz Wasser und Seife geholt hatte, hatten sie Großmutter schleunigst in den Geheimplan eingeweiht.
Hotzenplotz saß gemütlich im Armstuhl. Er spielte an seiner Pfefferpistole herum und ahnte nicht, was die drei miteinander besprochen hatten.
„Sind das auch ganz bestimmt lauter echte Rotkappen?", fragte ihn Großmutter überm Schwammerlputzen. „Sie wissen ja, ich bin kurzsichtig und muss jede Verantwortung ablehnen."
„Unsinn!", erwiderte Hotzenplotz. „Wenn ich Ihnen sage, dass diese Pilze in Ordnung sind, sind sie in Ordnung."
„Aber es könnte vielleicht ein Knallpilz darunter sein. Knallpilze sind bekanntlich sehr giftig, man kann sie mit Rotkappen leicht verwechseln ..."
„Ach, hören Sie auf damit! Das ist alles Blödsinn mit Ihren alten Knallpilzen! Nie gehört davon. Dies hier sind Rotkappen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer, da können Sie ganz beruhigt sein."
Großmutter trat an den Herd. Wenig später erfüllte ein köstlicher Duft die Räuberhöhle. Hotzenplotz sog ihn gierig ein.
„Ist die Schwammerlsuppe bald fertig?"
„Gleich", sagte Großmutter. „Nur noch Pfeffer und Salz dran – und einen Schuss Essig ... So, bitte sehr!"
Sie rückte den Topf vom Feuer und stellte ihn auf den Tisch.
„Wenn Sie kosten möchten?"
Hotzenplotz legte die Pfefferpistole weg.
„Aufhören!", rief er Kasperl und Seppel zu. „Während ich esse, dürft ihr euch in die Ecke verkriechen und Pause machen."
Er setzte sich an den Tisch, er schnupperte an der Suppe, er wollte den ersten Löffel zum Mund führen, um zu kosten – da hörte er Seppel halblaut zu Kasperl sagen:
„Wie kann man bloß so verrückt sein auf Schwammerlsuppe? Mich könntest du zu den Hottentotten jagen damit!"
„He?", fragte Hotzenplotz prompt. „Was muss ich da hören, Seppel? Du magst keine Schwammerlsuppe?"
„Brrr!", machte Seppel und hielt sich die Nase zu. „Der Geruch allein reicht mir schon!"
Hotzenplotz musterte ihn aus den Augenwinkeln.
„Und wenn man dich zwingen würde?"
„Wozu?"
„Dass du davon isst ..."
„Bitte nicht!", sagte Seppel erschrocken. „Das dürfen Sie mir nicht antun!"
„Ach nein?", meinte Hotzenplotz; und dann tat er genau das, was Kasperl im Stillen erhofft hatte:
„Großmutter!", rief er. „Füllen Sie diesem Bengel mal einen Teller von meiner Suppe ab – und zwar reichlich, verstanden?"
„A-aber, S-sie w-werden d-doch ...", stotterte Seppel. „Sie w-werden doch n-nicht von m-mir verlangen ..."