„Dass du den Teller auslöffelst?" Hotzenplotz fletschte die Zähne. „Ja, das verlange ich! Tu, was ich sage und iss das – oder es soll dir Leid tun, verdammt noch mal!"
Großmutter legte sich für den armen Seppel ins Mittel.
„Wo er doch Schwammerlsuppe nicht ausstehen kann!"
„Eben drum!", sagte Hotzenplotz.
Dabei blieb er und Seppel musste den Teller auslöffeln bis auf den Grund. Das fiel ihm in Wirklichkeit zwar nicht schwer, weil er für Großmutters Schwammerlsuppen seit jeher viel übrig hatte; aber er tat so, als ob es ihn schreckliche Überwindung kostete. Hotzenplotz weidete sich daran und verspottete ihn noch obendrein.
„Iss du nur tüchtig, iss du nur! Junge Leute von heute dürfen nicht zimperlich sein – schon gar nicht bei Schwammerlsuppe, hö-hö-höhöööh!"
Als Seppel den Teller leer gemacht hatte, jagte Hotzenplotz ihn vom Tisch.
„So, nun bin ich dran. Mahlzeit!"
Er ließ sich die Suppe schmecken, man hörte es. Schlürfend und schmatzend löffelte er drauflos.
Kasperl und Seppel hockten mit trauriger Miene in einem Winkel der Räuberhöhle, als ob sie sich von der Arbeit ausruhen müssten. Von Zeit zu Zeit warfen sie einen verstohlenen Blick auf Hotzenplotz. Sie warteten, bis er den Topf mit der Schwammerlsuppe geleert hatte und den Löffel weglegte. Dies war für Seppel das Zeichen. Er kippte vornüber zu Boden und brach in ein dumpfes Gewimmer aus:
„Huuuh! Hu-ahuuuh! Hu-ahuuuh-ahuuuh!"
Hotzenplotz drohte ihm mit der Faust.
„Was soll das Gewinsel? Aufhören! Schluss damit!"
Großmutter eilte, so schnell es die Kette an ihrem Fuß erlaubte, zu Seppel und beugte sich über ihn. Seppel krümmte sich wie in furchtbaren Schmerzen und wimmerte weiter:
„Huuuh! Hu-ahuuuh-ahuuuh! Helft mir doch, heeelft miiir, ahuuuhahuuuh!"
Kasperl versuchte ihn zu beruhigen. Seppel heulte und jammerte nur noch herzzerreißender.
„Was hat er denn?", fragte Hotzenplotz; er stand auf und trat näher heran.
„Was der hat?", meinte Kasperl. „Das sehen Sie doch, er hat Bauchweh."
„Ahuuuh!", heulte Seppel. „Ahuuuh-ahuuuh! Es zerreißt ... Es zerreißt mich gleich!"
Großmutter fasste sich an den Kopf, als sei ihr in diesem Augenblick etwas Grässliches klar geworden.
„Knallpilze!" Sie begann sich das Haar zu raufen. „Es muss eine Knallpilzvergiftung sein! Armer Seppel! Es wird ihn von innen heraus in Stücke reißen, oje, oje! Diese schrecklichen Knallpilze! Und-kein-Arzt-ist-da-und-kein-Arzt-ist-da!"
Erste Hilfe
Hotzenplotz wurde käsebleich im Gesicht. Eine Knallpilzvergiftung? Schon glaubte er einen leichten Druck in der Magengegend zu spüren. Mit einem Mal war ihm hundeelend zumute. Er fühlte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach.
„Lässt sich da gar nichts machen?", fragte er.
„Doch", sagte Kasperl. „Zum Glück verstehe ich etwas von erster Hilfe bei Pilzvergiftungen. Hätten Sie zufällig ein paar feste Stricke zur Hand?"
Seppel brüllte vor Schmerz wie ein kranker Ochse, Großmutter weinte bitterlich. Hotzenplotz merkte, dass ihm die Knie zu schlottern begannen. Er ließ sich in seinen Armstuhl fallen, deutete auf die Truhe neben dem Kleiderschrank und sagte mit matter Stimme:
„Dort findest du Stricke, so viel du magst. Ich habe mir aus Berufsgründen einen kleinen Vorrat angelegt."
Kasperl warf einen Blick in die Truhe.
„Ich glaube, das reicht."
Mit Großmutters Hilfe setzte er Seppel auf einen Hocker. Dann wand er ihm einen langen Strick um den Leib und redete ihm gut zu.
„Schön stillhalten, Seppel! Wir schnüren dir jetzt den Bauch zusammen, so fest es geht – damit dich die Knallpilze nicht von innen heraus zerreißen können. Merkst du schon eine kleine Besserung?"
„O ja", stöhnte Seppel. „Ich glaube, der Schmerz lässt ein wenig nach ... Tu noch einen Strick drum, Kasperl!"
Hotzenplotz sah mit Staunen und einer gewissen Erleichterung, dass Seppel mit jeder neuen Schlinge, die Kasperl ihm um den Leib zog, ein wenig ruhiger wurde – bis er zuletzt ganz friedlich auf seinem Hocker saß und mit strahlender Miene versicherte:
„Alles in Ordnung, Kasperl! Die Bauchschmerzen sind wie weggeblasen. Ich glaube, dass ich es überstanden habe ..."
Kasperl klopfte ihm auf die Schulter.
„Du weißt, dass wir großes Glück hatten. Sechs oder sieben Minuten später und alles wäre umsonst gewesen ..."
Großmutter wischte sich mit dem Handrücken eine Freudenträne aus dem Gesicht, sie schluchzte:
„Ich kann dir ja gar nicht sagen, Seppel, wie froh ich bin, dass du außer Gefahr bist!"
„Und ich?", rief der Räuber Hotzenplotz. „An mich denkt hier überhaupt niemand, wie?"
„An Sie?", fragte Kasperl. „Wie kämen wir denn dazu?"
„Weil ich auch von der giftigen Schwammerlsuppe gegessen habe – und nicht zu knapp sogar! Wollt ihr mich etwa platzen lassen?"
„Das wäre vielleicht das Einfachste", brummte Kasperl.
„Dann hätten wir endlich Ruhe vor Ihnen ... Was meinst du, Großmutter?"
Großmutter wiegte den Kopf; dann sagte sie sanft und leise:
„Ich glaube, wir sollten ihm trotzdem helfen – schließlich sind wir ja keine Unmenschen."
Kasperl zögerte eine Weile.
Hotzenplotz flehte ihn an, keine Zeit zu verlieren: Er spüre schon, wie es in seinen Eingeweiden rumore ...
„Na schön", meinte Kasperl endlich. „Bedanken Sie sich bei Großmutter."
Hotzenplotz musste sich tief in den Armstuhl zurücklehnen und die Hände fest auf den Magen pressen. Dann legte ihm Kasperl den ersten Strick um.
„Schön aufrecht sitzen und stillhalten!", sagte er. „Und vor allem die Hände nicht von der Stelle rücken! – Sehr brav so ... Ich denke, wir haben es bald geschafft. Wenn es Ihnen zu eng wird, sagen Sie mir's ..."
„Nein, nein!", keuchte Hotzenplotz. „Hauptsache, es zerreißt mich nicht!"
Kasperl band ihm die Arme fest an den Leib und schnürte ihn heimlich am Lehnstuhl an. Er umwickelte ihn mit vier starken Stricken – so stramm, dass er kaum noch Luft bekam.
„Nun bewegen Sie mal die Arme!"
„Das kann ich nicht", sagte Hotzenplotz.
„Wirklich nicht?", forschte Kasperl. „Und wenn Sie sich große Mühe geben?"
Hotzenplotz schloss die Augen und strengte sich mächtig an. Trotzdem gelang es ihm nicht die Arme zu rühren.
„Ist es so richtig?", fragte er.
Ja", sagte Kasperl. „So ist es richtig – mehr haben wir mit dem Affentheater gar nicht gewollt."
„Mit welchem – Affentheater?"
Kasperl gab Großmutter einen Wink, Großmutter löste die Stricke um Seppels Bauch.
„Gut hast du deine Rolle gespielt, Seppel! Hätte ich nicht gewusst, dass es keine Knallpilze gibt – ich glaube, ich wäre vor Angst gestorben!"
Dem Räuber Hotzenplotz ging ein Licht auf.
„Habt ihr mich etwa angeschmiert? Hätte ich gar nicht zu platzen brauchen? Auch ohne die Stricke nicht? Oh, ihr verdammtes Lügenpack! Jagen mir diese Scherzbolde einen solchen Schreck ein, für nichts und wieder nichts!"
Kasperl und Seppel hatten damit gerechnet, dass Hotzenplotz einen Wutanfall kriegen würde; stattdessen brach er in wildes Gelächter aus. „Hö-hö-hö-höööh!", rief er. „Fein habt ihr das gemacht, ihr drei Schlauberger, oberfein! Wisst ihr auch, dass ihr mich wieder losbinden müsst?"
„Darauf können Sie lange warten!", erwiderte Kasperl.
„Sag das nicht, sag das nicht! Oder habt ihr vergessen, dass ich den Schlüssel zu euren Fußschellen in die Westentasche gesteckt habe? Und wo sitzt die? Genau an der Stelle, wo jetzt meine Hände sind, hö-hö-hö-höööh! Wie wollt ihr denn an den Schlüssel kommen, ohne mich loszubinden? Könnt ihr mir das verraten? Die Pfefferpistole, Kasperl, wird dir nichts nützen, die ist nämlich nicht geladen, hö-höhö-höööh!"