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„Hilfe!", tönte es aus dem Spritzenhaus. „Hilfe, man hat mich hier eingesperrt! Aufmachen, lasst mich raus!"

Kasperl und Seppel lachten.

„Das könnte Ihnen so passen!", riefen sie. „Wir sind froh, dass Sie endlich drin sind, Herr Hotzenplotz!"

Vor vierzehn Tagen hatten sie mitgeholfen den Räuber einzufangen. Sie hatten dafür vom Herrn Bürgermeister eine Belohnung von fünfhundertfünfundfünfzig Mark fünfundfünfzig bekommen und der Herr Wachtmeister Dimpfelmoser war seither Oberwachtmeister.

„Rauslassen!", rief die Stimme. „Ich bin nicht der Räuber Hotzenplotz!"

„O ja!", unterbrach ihn Kasperl. „Wir wissen Bescheid, Sie sind Rotkäppchen mit den sieben Zwergen!"

„Nein, zum Kuckuck! Ich bin doch der Oberwachtmeister Dimpfelmoser!"

„Hören Sie endlich mit dem Geschrei auf, Sie Oberkrachmeister – gleich wird die Polizei kommen!"

„Unsinn! Die Polizei bin ich selbst! Erkennt ihr mich nicht an der Stimme? Lasst mich hier raus, ich bin eine Amtsperson!"

Kasperl und Seppel glaubten der dumpfen Stimme kein Wort. Für sie war die Angelegenheit sonnenklar. Hotzenplotz wollte sie hinters Licht führen, aber das sollte ihm nicht gelingen.

„Wenn Sie wirklich Herr Dimpfelmoser sind", sagte Kasperl, „dann kommen Sie doch ans Fenster, damit wir Sie sehen können!"

„Das geht nicht. Ich liege gefesselt am Boden. Wenn ihr mich nicht sofort hier rauslasst, macht ihr euch strafbar. Habt ihr verstanden? Ihr macht euch straaaf-baaar!"

Wie immer, so wussten sich Kasperl und Seppel auch jetzt zu helfen. Seppel stellte sich mit dem Rücken an die Wand des Spritzenhauses, dann stieg Kasperl ihm auf die Schultern und schaute zum Gitterfenster hinein.

„Also los!", rief er. „Zeigen Sie sich, wo stecken Sie?"

„Ich liege hier unten, hinter dem Feuerwehrauto. Kannst du mich sehen?"

„Nein", sagte Kasperl, „dann müsste das Auto aus Glas sein. Glauben Sie bloß nicht, dass jemand auf Ihre dummen Lügengeschichten hereinfällt!"

„Aber das sind keine Lügen! Das ist die reine, amtliche, polizeilich erwiesene Wahrheit! Ich bitte euch, glaubt mir und lasst mich hier raus! Was soll ich denn tun, damit ihr mir endlich Glauben schenkt?"

Kasperl und Seppel hätten ihm gern noch ein Weilchen zugehört. Es freute sie, dass sich der Räuber Hotzenplotz nun aufs Betteln verlegt hatte.

Doch da schlug es vom Rathausturm Viertel nach zwölf und plötzlich fiel ihnen ein, dass heut Donnerstag war.

„Winseln Sie ruhig weiter!", rief Kasperl zum Gitterfenster hinein. „Mein Freund Seppel und ich müssen leider nach Hause zum Mittagessen, Herr Oberschmachtmeister Plotzenhotz – oder glauben Sie, dass wir Ihretwegen die Bratwürste platzen lassen?"

Neuigkeiten

Zunächst hatten Kasperl und Seppel den Eindruck, als nähme es Großmutter ihnen gewaltig übel, dass sie so spät nach Hause gekommen waren. Sie saß regungslos hinter dem Küchentisch und strafte sie, wie es schien, mit Verachtung.

„Großmutter!", sagte Kasperl. „Bitte, sei wieder lieb – es war wirklich nicht unsere Schuld!"

Jetzt erst merkte er, was mit Großmutter los war.

„Ach du grüne Sieben! Ich glaube fast, sie ist wieder ohnmächtig!"

Seppel deutete auf die leere Bratpfanne und den Sauerkrauttopf.

„Vielleicht war sie böse, weil wir nicht pünktlich zum Essen gekommen sind", meinte er. „Da hat sie vor lauter Ärger alles allein verputzt und dann ist ihr schlecht geworden."

„Kann sein", sagte Kasperl. „Neun Bratwürste und ein ganzer Topf Sauerkraut sind ein bisschen viel für sie."

Gemeinsam schleppten sie Großmutter auf das Sofa. Sie betupften ihr Stirn und Schläfen mit Franzbranntwein, sie

hielten ihr eine frisch aufgeschnittene rohe Zwiebel unter die Nase. Davon musste Großmutter fürchterlich niesen; und nachdem sie sich ausgeniest hatte, richtete sie sich auf und blickte umher wie jemand, der seinen eigenen Namen vergessen hat. Dann fiel ihr Blick auf die leere Bratpfanne und den Sauerkrauttopf auf dem Küchentisch – und da kehrte mit einem Schlag ihr Gedächtnis zurück.

„Stellt euch vor, was geschehen ist!"

Hastig erzählte sie Kasperl und Seppel von ihrem Abenteuer mit Hotzenplotz.

„Ist es nicht haarsträubend?", rief sie. „Am hellen Mittag ist man in dieser Stadt seines Lebens und seiner Bratwürste nicht mehr sicher! Ich möchte bloß wissen, wozu es hier eine Polizei gibt!"

Großmutter ließ sich mit einem Seufzer aufs Sofa zurücksinken und es hatte den Anschein, als gedenke sie im nächsten Augenblick erneut in Ohnmacht zu fallen. Mit matter Stimme bat sie Kasperl und Seppel zum Oberwachtmeister Dimpfelmoser zu laufen und ihm den Vorfall zu melden.

„Wie ich ihn kenne", hauchte sie, „sitzt er um diese Zeit in der Wachstube hinterm Schreibtisch und hält sein Mittagsschläfchen."

„Heut kaum!", sagte Kasperl.

Und obgleich er einen grässlichen Hunger hatte (donnerstags aß er zum Frühstück immer nur halb, um zu Mittag den richtigen Bratwurst-und-Sauerkraut-Appetit zu haben) versetzte er seinem Freund Seppel eins in die Rippen und rief:

„Nichts wie zum Spritzenhaus!"

Ohne sich weiter um Großmutter zu kümmern, machten die Freunde kehrt und flitzten zur Tür hinaus.

„Aber, aber – was habt ihr denn?"

Großmutter blickte ihnen verwundert nach.

Es gelang ihr die aufkommende Ohnmacht zu überwinden. Sie tastete sich am Sofa entlang zum Tisch und vom Tisch zum Küchenschrank. Dort genehmigte sie sich zur Stärkung zwei Gläschen Melissengeist und nachdem sie sich dreimal kräftig geschüttelt hatte, rannte sie Kasperl und Seppel nach.

Ein Ausbund an Unverschämtheit

Zum Spritzenhaus gab es zwei Schlüssel. Den einen hatte Herr Oberwachtmeister Dimpfelmoser in Verwahrung, den andern der Hauptmann der freiwilligen Feuerwehr, ein Herr Rübesamen, im Hauptberuf Inhaber einer kleinen Senffabrik.

Herr Rübesamen dachte sich weiter nichts dabei, als Kasperl und Seppel ihn um den Spritzenhausschlüssel baten: Herr Oberwachtmeister Dimpfelmoser habe sie hergeschickt, es sei dringend ...

„Aber natürlich, gern – und bestellt dem Herrn Oberwachtmeister einen schönen Gruß von mir!"

Sobald Kasperl und Seppel den Schlüssel hatten, rannten sie hast-du-was-kannst-du zum Spritzenhaus, wo sie von Großmutter schon erwartet wurden.

„Sagt mir um Himmels willen – was soll das alles?"

„Du wirst es gleich sehen, Großmutter!"

Kasperl steckte den Schlüssel ins Schloss und sperrte das Tor auf.

Der Herr Polizeioberwachtmeister Alois Dimpfelmoser lag im hintersten Winkel des Spritzenhauses, zwischen der Wand und dem Feuerwehrauto. Er war von unten bis oben in einen Feuerwehrschlauch eingewickelt. Am einen Ende der Rolle schauten die nackten Füße heraus, am anderen Ende der Hals und der Kopf. Der Kopf aber steckte in einem leeren Wassereimer: Deshalb hatte Herrn Dimpfelmosers Stimme so dumpf und fremd geklungen, dass Kasperl und Seppel sie nicht erkannt hatten.

„Kommt, helft mir!", rief Kasperl. „Wir müssen ihn wieder auswickeln!"

Sie packten das eine Ende des Feuerwehrschlauches und zogen daran.

Da begann sich der Herr Oberwachtmeister um die eigene Achse zu drehen wie eine Spindel – und je eifriger sie zogen, desto schneller drehte er sich.

„Sachte, sachte!", rief er. „Mir wird ganz schwindlig im Kopf, der Mensch ist kein Brummkreisel!"

Es dauerte eine Zeit lang, bis sie ihn fertig ausgewickelt hatten. Nun zeigte es sich, dass der arme Herr Dimpfelmoser nur noch mit Hemd und Unterhose bekleidet war. Alles Übrige hatte ihm Hotzenplotz ausgezogen und weggenommen, sogar die Strumpfsocken.