»Dir Obdach gewähren?« fragte Hallion. »Einem schmutzigen, gemeinen Kaninchen wie dir? Na, so was -«
»Oh, es ist also tatsächlich ein Kaninchen?« warf Thyken ein. »Hab' mich schon gefragt, was das für ein Viech ist.«
»Du machst dich hier besser aus dem Staub«, fuhr Hallion fort. »Solche wie dich wollen wir nicht um Parda-rail herumgammeln sehen. Da könnte einer meinen, du kämst von uns.«
Der hlessi bat sie ziemlich verzweifelt, ihm zu ihrem Gehege zu helfen, er hielt das für seine einzige Überlebenschance. Aber keiner von beiden wollte ihm helfen; sie meinten, so ein dreckiger Vagabund würde dem Namen Parda-rail nur Scham und Schande bringen. Obwohl er sie weiter anflehte, gingen sie weg und verschwendeten keinen Gedanken mehr an ihn.
Zwei oder drei Tage später schaute El-ahrairah vorbei, wie es an langen Sommertagen seine Gewohnheit war. Henthred begrüßte ihn mit großem Respekt und sagte, er hoffe, daß er einige Tage bleibe, um den Klee zu genießen, dessen Zeit gerade war. El-ahrairah nahm die Einladung an und meinte, er würde gern die Owsla treffen, die er lange Zeit nicht mehr gesehen hatte.
Sie kamen alle stolz an, mit glänzendem Fell und weißblitzenden Schwänzen, und El-ahrairah lobte ihre Erscheinung und sagte zu Henthred, sie sähen wirklich phantastisch aus. Dann sprach er zu ihnen und blickte dabei von einem zum anderen.
»Ihr seid tatsächlich der bestaussehende Kaninchenhaufen, den man sich nur wünschen kann«, sagte er. »Ich bin sicher, in eurem Herzen und in eurer Seele sieht es genauso schön aus. Zum Beispiel«, fuhr er fort und wandte sich dabei an ein großes Kaninchen namens Frezail, »was würdest du tun, angenommen, du findest eines Abends auf dem Heimweg einen verwundeten hlessi, der dich bittet, ihm zu deinem Gehege zu helfen und ihm für die Nacht Obdach zu geben?«
»Natürlich würde ich ihm helfen«, antwortete Frezail, »ich würde ihn bleiben lassen, so lange er will.«
»Und du?« fragte El-ahrairah das nächste Kaninchen.
»Ich auch, Herr.«
Und das sagten sie alle.
Doch vor ihren Augen veränderte sich El-ahrairah ganz allmählich und verwandelte sich in den erbarmungswürdigen hlessi, den Hallion und Thyken einige Abende zuvor angetroffen hatten. Er ließ sich auf die Seite fallen und sah Hallion und Thyken an. »Und wie ist das mit euch?« fragte er. Aber sie antworteten nicht, sie starrten ihn nur verwirrt an.
»Ihr habt mich also nicht erkannt?« forschte El-ahrairah nach. Die anderen Owslas blickten von ihm zu Hallion und Thyken; sie verstanden nichts, ahnten aber, daß es da etwas höchst Unangenehmes zwischen El-ahrairah und den beiden gab.
»Du ... du hast nicht ausgesehen wie du«, sagte Thyken schließlich stockend. »Wir konnten ja nicht wissen -«
»Konntet nicht wissen, daß ich ein Kaninchen war, richtig?« fragte El-ahrairah. »Wißt ihr's denn jetzt?«
Bevor er sich zurückverwandelte, ließ er alle nähertreten und ihn aus der Nähe betrachten. »Um sicher zu sein«, sagte er, »daß sie mich das nächste Mal erkennen.«
Hallion und Thyken erwarteten nun eine harte Strafpredigt von ihm, aber er erzählte nur Henthred, während alle zuhörten, was an jenem Abend geschehen war, als sie ihn unter dem Dornbusch hatten liegen sehen. Sie wußten alle in ihren Herzen, daß sie sich ebenso verhalten hätten, und sie gingen alle schweigend fort. Nur Henthred blieb da und ein graufelliges, uralt aussehendes Kaninchen, das Henthred als Themmeron vorstellte, das älteste Kaninchen im Gehege.
»Was ich nur noch sagen will«, äußerte Themmeron mit zittriger Stimme, »ist folgendes: Hätte ich dich an jenem Abend gesehen, dann hätte ich gewußt, daß du nicht der bist, der du vorgibst zu sein. Ich hätte vielleicht nicht gewußt, daß du unser Fürst bist, der tausend Feinde hat. Aber deine Verstellung hätte ich gewiß durchschaut.«
»Wie das?« fragte El-ahrairah verdutzt. Er war ganz sicher gewesen, daß niemand einem armen alten hlessi ähnlicher gesehen hätte als er.
»Weil ich erkannt hätte, Herr, daß du nicht aussiehst wie ein Kaninchen, das das Loch im Himmel gesehen hat. Und übrigens, jetzt auch noch nicht.«
»Das Loch im Himmel?« fragte El-ahrairah. »Was soll denn das sein?«
»Das kann man nicht erklären«, antwortete Themmeron. »Es kann nicht erklärt werden. Das ist keine Mißachtung, Herr.«
»Nein, nein, das weiß ich«, sagte El-ahrairah. »Ich möchte nur wissen, was du unter Loch im Himmel verstehst. Wie kann ein Loch im Himmel sein?«
Aber das alte Kaninchen schien auf einmal nicht mehr zu wissen, daß es überhaupt gesprochen hatte. Es nickte El-ahrairah kurz zu, drehte sich um und humpelte langsam fort.
»Wir lassen ihn gewöhnlich ganz in Ruhe, Herr«, sagte Henthred. »Er ist ganz harmlos, aber manchmal frage ich mich, ob er weiß, wann Nacht und wann Tag ist. Aber wie ich höre, war er seinerzeit ein forscher Kavalier unter den Owsla.«
»Was hat er denn gemeint, mit dem Loch im Himmel?«
»Wenn du's nicht weißt, Herr, ich weiß es ganz bestimmt nicht«, erwiderte Henthred, der, um die Wahrheit zu sagen, ziemlich verärgert gewesen war, als zwei seiner Owsla als rüpelhafte Widerlinge vorgeführt worden waren.
El-ahrairah kam auf den Zwischenfall nicht mehr zurück. Er blieb noch zwei oder drei Tage und tat so, als wäre nichts Ungewöhnliches vorgefallen. Als er sich verabschiedete, wünschte er dem Gehege Glück und Wohlergehen, wie es seine Gewohnheit war.
Er grübelte lange über die Worte von Themmeron nach, und wohin er auch kam, fragte er andere Kaninchen, ob sie ihm etwas über das Loch im Himmel sagen könnten. Aber keines war in dieser Sache kundig. Am Ende merkte er, daß man ihn wegen dieser Nachforschung etwas als seltsamen Kauz betrachtete, deshalb gab er sie auf. Doch insgeheim beschäftigte ihn die Frage weiter. Was konnte der alte Themmeron gemeint haben. Schließlich folgerte er, daß ihm, dem Fürsten der Kaninchen, offenbar eine nützliche, aber auch fabelhafte Sache bis jetzt entgangen war, und zwar irgend etwas Geheimnisvolles. Vermutlich hatten schon einige, die er befragt hatte, genau Bescheid gewußt, jedoch geschwiegen. Das mußte eine tolle Sache sein, das Loch im Himmel. Könnte er es doch nur finden und irgendwie dort hindurch auf die andere Seite gelangen, da waren sicher höchst wunderbare Dinge zu entdecken. Nichts konnte ihn mehr zufriedenstellen, bis er es gefunden hätte.
Also, wie ihr alle wißt, führten seine Wanderungen El-ahrairah überallhin, weit über den Lebensraum gewöhnlicher Kaninchen wie wir hinaus; wir sind ja schon mit unseren Gemüsefeldern, mit blühendem Holunder, mit sauberem Farn und Ginster zufrieden. Er kannte die Berge und tiefen Wälder und konnte Flüsse durchschwimmen wie eine Wasserratte. Bei solchen Wanderungen begegnete er notgedrungen allerdings auch sonderbaren und ungewöhnlichen Gestalten, die zum Teil ausgesprochen gefährlich waren. Die Legende erzählt uns, daß er eines Abends kurz vor dem Einbruch der Nacht einen schmalen Pfad in einem abgelegenen Hügelland entlangwanderte und dort plötzlich einem Geschöpf gegenüberstand, das als Timblier bekannt ist. Wir wissen zum Glück nichts von diesem Getier, Frith sei Dank, nur daß Timbliers hitzig und angriffslustig sind.
»Was machst du hier?« fragte der Timblier unfreundlich.
»Mach dich fort, dorthin, wo du hingehörst, du dreckiges Kaninchen.«
»Ich tue doch nichts Böses«, gab El-ahrairah zurück. »Ich gehe nur diesen Pfad entlang und belästige weder dich noch andere Geschöpfe.«