»Mayhew«, sagte Richard, und er trat in den Aufzug, und die Türen sangen traurig einen absteigenden Flötentriller, als sie sich hinter ihm schlossen.
Richard ging zurück zu seiner Wohnung, aufgebracht und verwirrt und wütend. Manchmal winkte er einem Taxi, aber er hatte eigentlich keine Hoffnung, daß es anhalten würde, und es hielt auch keins.
Seine Füße taten weh, und seine Augen brannten, und er wußte, daß er schon bald von dem heutigen Tag erwachen und ein richtiger Montag, ein vernünftiger Montag, ein anständiger, ehrlicher Montag anbrechen würde.
Er ließ heißes Wasser in die Badewanne, legte seine Sachen aufs Bett und stieg in die Wanne.
Er war beinahe eingedöst, als er hörte, wie ein Schlüssel ins Schloß gesteckt wurde, eine Tür sich öffnete und schloß und eine zuckersüße männliche Stimme sagte:
»Sie sind natürlich die ersten, denen ich heute die Wohnung zeige, aber ich habe eine ellenlange Liste von Interessenten.«
»Sie ist nicht so groß, wie es in den Unterlagen den Anschein hatte«, sagte eine Frau.
»Sie ist kompakt, ja. Aber ich finde, das ist eher ein Vorteil.«
Richard hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Badezimmertür zu schließen. Schließlich war er allein in der Wohnung.
Eine barschere, rauhere männliche Stimme sagte: »Ich dachte, Sie hätten gesagt, es sei eine unmöblierte Wohnung. Mir sieht sie verdammt möbliert aus.«
»Der Vormieter muß seine Wohnungseinrichtung zum Teil hiergelassen haben. Komisch. Davon hat mir niemand etwas gesagt.«
Richard erhob sich in der Wanne. Dann setzte er sich wieder hin, denn er war nackt, und sie konnten jeden Moment hereinkommen. Und dann schaute er sich ziemlich verzweifelt im Badezimmer nach einem Handtuch um.
»Oh, schau mal, George«, sagte die Frau im Flur. »Da hat jemand ein Handtuch auf dem Stuhl liegenlassen.«
Richard zog eine Loofah-Gurke, eine halbleere Shampooflasche und eine kleine gelbe Gummiente als Handtuch-Alternativen in Betracht und verwarf alle als ungeeignet.
»Wie ist das Badezimmer?« fragte die Frau.
Richard schnappte sich einen Waschlappen und drapierte ihn vor seinem Schoß. Dann stand er auf, mit dem Rücken zur Wand, und machte sich auf eine entsetzliche Peinlichkeit gefaßt.
Die Tür wurde aufgestoßen. Drei Menschen kamen ins Badezimmer: ein junger Mann in einem Kamelhaarmantel und ein Paar mittleren Alters. Richard fragte sich, ob ihnen die Situation ebenso unangenehm war wie ihm.
»Ein bißchen klein«, sagte die Frau.
»Kompakt«, berichtigte der Kamelhaarmantel zuckersüß. »Leicht sauberzuhalten.«
Die Frau fuhr mit dem Finger am Waschbeckenrand entlang und rümpfte die Nase.
»Ich glaube, wir haben alles gesehen«, sagte der Mann mittleren Alters.
Sie verließen das Badezimmer.
»Es wäre wirklich in jeder Hinsicht ziemlich praktisch«, sagte die Frau. Das Gespräch wurde in leiserer Tonlage fortgeführt. Richard stieg aus der Wanne und schlich hinüber zur Tür. Er entdeckte das Handtuch auf dem Stuhl im Flur, und er beugte sich hinaus und schnappte es sich.
»Wir nehmen sie«, sagte die Frau.
»Ach ja?« fragte der Kamelhaarmantel.
»Sie ist genau das, was wir suchen«, erklärte sie. »Wird sie zumindest sein, wenn wir sie erst mal eingerichtet haben. Könnte sie bis Mittwoch bezugsfertig sein?«
»Natürlich, morgen werden wir den ganzen Müll hier wegräumen, kein Problem.«
Richard, frierend und tropfend in sein Handtuch gewickelt, funkelte sie vom Eingang aus wütend an.
»Das ist kein Müll«, sagte er. »Das sind meine Sachen.«
»Dann holen wir die Schlüssel bei Ihnen im Büro ab.«
Auf dem Weg zur Wohnungstür drängelten sich die drei an Richard vorbei.
»Hat mich gefreut«, sagte der Kamelhaarmantel.
»Können Sie … kann mich hier irgend jemand hören? Das ist meine Wohnung. Ich wohne hier.«
»Wenn Sie mir den Vertrag ins Büro faxen würden – « sagte der barsche Mann, dann schlug die Tür hinter ihnen zu, und Richard stand im Flur seiner ehemaligen Wohnung, und er schauderte in der Stille vor Kälte.
»Das«, verkündete Richard, ungeachtet dessen, was er mit eigenen Augen und Ohren wahrgenommen hatte, »kann nicht wahr sein.«
Das Batfon schrillte, und seine Scheinwerfer blinkten. Richard nahm mißtrauisch den Hörer ab.
»Hallo?«
In der Leitung zischte und knackte es, als käme der Anruf von ganz weit her. Die Stimme am anderen Ende der Leitung erkannte er nicht.
»Mister Mayhew?« fragte der Anrufer. »Mister Richard Mayhew?«
»Ja«, sagte er. Und dann, erfreut: »Sie können mich hören ! Gott sei Dank. Wer ist da?«
»Mein Partner und ich waren am Samstag bei Ihnen, Mister Mayhew. Ich habe Sie über den Aufenthaltsort einer gewissen jungen Dame befragt. Erinnern Sie sich?« Der Tonfall war schmierig, eklig, füchsisch verschlagen.
»Oh. Ja. Sie sind das.«
»Mister Mayhew. Sie sagten, Door sei nicht bei Ihnen. Wir haben Grund zu der Annahme, daß Sie die Wahrheit mehr als nur ein wenig verschleiert haben.«
»Na ja, sie haben immerhin gesagt, Sie wären ihr Bruder. «
»Alle Menschen sind Brüder, Mister Mayhew.«
»Sie ist nicht mehr hier. Und ich weiß nicht, wo sie ist.«
»Das ist uns bekannt, Mister Mayhew. Diese beiden Tatsachen sind uns durchaus nicht entgangen. Und, um ganz offen mit Ihnen zu sprechen, Mister Mayhew, und ich bin sicher, daran ist Ihnen gelegen, nicht wahr: Wenn ich Sie wäre, würde ich aufhören, mir Sorgen um die junge Dame zu machen. Doors Tage sind gezählt, und die fragliche Zahl ist noch nicht einmal zweistellig.«
»Hören Sie, warum haben Sie mich angerufen?«
»Mister Mayhew«, sagte Mr. Croup zuvorkommend, »wissen Sie, wie Ihre eigene Leber schmeckt?«
Richard erwiderte nichts.
»Mister Vandemar hat mir nämlich versprochen, daß er sie Ihnen persönlich herausschneiden und ins Maul stopfen wird, bevor er Ihnen Ihre armselige kleine Kehle durchschneidet. Sie werden es also noch erfahren, nicht wahr?«
»Ich rufe die Polizei. Ich lasse mich nicht bedrohen.«
»Mister Mayhew. Sie können anrufen, wen Sie wollen. Doch ich würde es außerordentlich bedauern, wenn Sie glaubten, wir würden Sie bedrohen. Weder ich noch Mister Vandemar haben Sie bedroht, nicht wahr, Mister Vandemar?«
»Nein? Was zum Teufel tun Sie dann?«
»Wir machen Ihnen Versprechungen«, sagte Mr. Croup durch das Knistern und den Hall und das Zischen hindurch. »Und wir wissen, wo Sie wohnen.«
Und er hängte ein.
Richard umklammerte das Batfon und starrte es an, dann drückte er dreimal die Neun-Taste.
»Notrufzentrale. Wen möchten Sie sprechen?«
»Können Sie mich bitte mit der Polizei verbinden? Mir hat gerade ein Mann gedroht, mich umzubringen, und ich glaube nicht, daß das ein Witz war.«
Einen Moment war es still. Er hoffte, er würde zur Polizei durchgestellt. Nach einer Weile sagte die Stimme: »Notrufzentrale. Hallo? Ist da jemand? Hallo?«
Und da legte Richard den Hörer auf und ging in sein Schlafzimmer und zog sich an, weil er fror und nackt war und Angst hatte, und weil es sonst eigentlich nichts gab, was er tun konnte.
Er zog die schwarze Sporttasche unter dem Bett hervor und packte Socken hinein. Unterhosen. Ein paar T-Shirts. Seinen Ausweis. Seine Brieftasche.
Er trug Jeans, Turnschuhe, einen dicken Pullover.
Ihm fiel wieder ein, wie das Mädchen, das sich Door nannte, sich von ihm verabschiedet hatte. Wie sie gezögert hatte. Wie sie gesagt hatte, es täte ihr leid …
»Du hast es gewußt«, sagte er zu der leeren Wohnung. »Du hast gewußt, daß das passieren würde.«
Er ging in die Küche, nahm etwas Obst aus der Schale und steckte es in die Tasche. Dann zog er den Reißverschluß zu und ging hinaus auf die dunkle Straße.