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Mr. Vandemar nahm den Kopf des Tausendfüßlers behutsam zwischen seinen riesigen Daumen und seinen monströsen Zeigefinger, so daß er nicht mehr zappeln konnte, und schaute zu Mr. Croup hinüber.

Mr. Croup legte seine linke Hand mit gespreizten Fingern an die Wand. In die Rechte nahm er fünf Rasierklingen, zielte sorgfältig und warf.

Alle Klingen landeten zwischen Mr. Croups Fingern. Es war die Miniaturausgabe eines höchst raffinierten Messerwerfertricks.

Mr. Croup nahm seine Hand weg, die Klingen blieben in der Wand stecken und markierten die Stellen, wo seine Finger sich befunden hatten, und er drehte sich beifallheischend zu seinem Kompagnon um.

Mr. Vandemar war nicht beeindruckt.

»Was soll denn daran so schlau sein?« fragte er. »Sie haben doch keinen einzigen Finger getroffen.«

Mr. Croup seufzte. »Nein?« sagte er. »Na, da schlitz mir einer die Gurgel auf, Sie haben recht. Ich Einfaltspinsel! « Er zog die Rasierklingen eine nach der anderen aus der Wand und warf sie auf den Holztisch. »Warum zeigen Sie mir nicht, wie man es richtig macht?«

Mr. Vandemar nickte. Er steckte den Tausendfüßler zurück in sein leeres Marmeladenglas.

Dann legte er seine linke Hand an die Wand.

Er hob den rechten Arm: In der rechten Hand wog er sein Messer, tückisch und scharf. Er kniff die Augen zusammen, und er warf.

Das Messer flog durch die Luft, blitzschnell, ein ausgesprochen großes und scharfes Wurfmesser. Es schlug dumpf in der Wand ein, mit der Klinge voran, die unterwegs Mr. Vandemars Handrücken getroffen und durchbohrt hatte.

Es klingelte.

Mr. Vandemar, das Messer durch die Hand, blickte zufrieden auf. »So«, sagte er.

In der Ecke des Raumes stand ein altes Telefon. Ein sehr altes, zweiteiliges Telefon aus Holz und Bakelit, das im Krankenhaus seit den zwanziger Jahren nicht mehr benutzt worden war. Mr. Croup nahm den an einer langen, mit Stoff umwickelten Schnur befestigten Hörer ab und sprach in das am Unterteil angebrachte Mundstück. »Croup und Vandemar«, sagte er sanft, »Traditionsunternehmen. Beseitigung von Hindernissen, Ausmerzung von Unbilden, Entfernung störender Gliedmaßen und Zahnbehandlungen für Bedürftige.« Die Person am anderen Ende der Leitung sagte etwas. Mr. Croup zuckte zusammen.

Mr. Vandemar zerrte an seiner linken Hand. Sie war fest an die Wand geheftet.

»Oh. Ja, Sir. Ja, gewiß. Und erlauben Sie mir zu sagen, daß so eine telefonische Konversation mit Ihnen unseren ansonsten trüben und ereignislosen Tag bereichert und verschönt?« Eine weitere Pause. »Natürlich werde ich die Speichelleckerei und Kriecherei unterlassen. Aber gern. Ist mir eine Ehre, und – was wir herausgefunden haben? Wir haben herausgefunden, daß – « Eine Unterbrechung; nachdenklich und geduldig bohrte er in der Nase. »Nein, wir wissen nicht, wo sie sich zu diesem Zeitpunkt aufhält. Aber das müssen wir auch nicht. Sie wird heute abend auf dem Markt sein, und – « Sein Mund wurde schmal, und er fuhr fort: »Nein, wir haben keinesfalls vor, den Marktfrieden zu stören. Wir dachten eher daran zu warten, bis sie den Markt verlassen hat, um dann Hackfleisch aus ihr zu machen …« Dann schwieg er, hörte zu und nickte von Zeit zu Zeit.

Mr. Vandemar versuchte, das Messer mit seiner freien Hand aus der Wand zu ziehen, doch es blieb stecken.

»Das ließe sich einrichten, ja«, sagte Mr. Croup in die Sprechmuschel. »Ich meine, das werden wir einrichten. Natürlich. Ja. Das ist mir klar. Und, Sir, vielleicht könnten wir uns noch darüber unterhalten, wie – ?«

Doch der Anrufer hatte aufgelegt. Mr. Croup starrte den Hörer einen Moment lang an, dann hängte er ihn wieder an seinen Haken.

»Du hältst dich wohl für verdammt schlau«, flüsterte er. Dann bemerkte er Mr. Vandemars mißliche Lage und sagte: »Hören Sie auf damit.« Er beugte sich hinüber und zog das Messer aus der Wand und aus Mr. Vandemars Handrücken und legte es auf den Tisch.

Mr. Vandemar schüttelte seine linke Hand und krümmte die Finger, dann wischte er die feuchten Putzbrocken von seiner Messerklinge. »Wer war das?«

»Unser Arbeitgeber«, sagte Mr. Croup. »Die andere ist offenbar nicht geeignet. Nicht alt genug. Es muß doch diese Door sein.«

»Also dürfen wir sie nicht mehr umbringen?«

»Darauf, Mister Vandemar, läuft es über kurz oder lang hinaus, jawohl. Nun, das kleine Fräulein Door hat offenbar verkündet, es werde einen Leibwächter engagieren. Auf dem Markt. Heute nacht.«

»Ach ja?« Mr. Vandemar spuckte sich an der Stelle auf den Handrücken, wo das Messer eingedrungen, und dort auf die Handfläche, wo es wieder ausgetreten war.

Mr. Croup nahm seinen schweren schwarzen, vor Alter glänzenden Mantel vom Boden. Er zog ihn an.

»Nun, Mister Vandemar, sollten nicht auch wir einen Leibwächter engagieren?«

Mr. Vandemar schob sein Messer wieder in das Halfter in seinem Ärmel. Auch er zog seinen Mantel an, steckte die Hände tief in die Taschen und war angenehm überrascht, noch fast eine halbe Maus in einer davon zu finden. Gut. Er war hungrig.

Dann prüfte er Mr. Croups letzte Bemerkung mit der Gründlichkeit eines Gerichtsmediziners, der seine große Liebe seziert; und als er den Argumentationsfehler seines Kompagnons erkannt hatte, sagte Mr. Vandemar: »Wir brauchen keinen Leibwächter, Mister Croup. Wir tun Menschen weh. Uns tut niemand weh.«

Mr. Croup drehte das Licht aus. »Ach, Mister Vandemar«, sagte er, den Klang der Worte genießend, wie er den Klang aller Worte genoß, »wenn ihr uns stecht, bluten wir dann nicht?«

Mr. Vandemar grübelte in der Dunkelheit einen Moment darüber nach. Dann sagte er, völlig richtig: »Nein.« »Ein Spion von der Oberseite«, sagte Lord Rattensprecher. »Hä? Ich sollte dich von der Gurgel bis zum Gedärm aufschlitzen und die Zukunft aus deinen Eingeweiden lesen.«

»Hören Sie«, sagte Richard, mit dem Rücken zur Wand und dem Glasdolch am Adamsapfel. »Ich glaube, Sie machen einen Fehler. Mein Name ist Richard Mayhew. Das kann ich beweisen. Ich habe meine Bibliothekskarten dabei. Kreditkarten. Sachen«, fügte er verzweifelt hinzu.

Am anderen Ende des Saals, bemerkte Richard mit der leidenschaftslosen Klarheit, die einen erfaßt, wenn ein Irrer gerade vorhat, einem die Kehle mit einem Glassplitter aufzuschlitzen, verneigten sich Menschen bis zum Boden und verharrten in dieser Position.

Eine kleine schwarze Gestalt kam auf dem Fußboden auf sie zu. »Ich glaube, wenn wir einen Moment nachdenken, werden wir feststellen, daß wir uns alle sehr dumm benehmen«, sagte Richard. Er hatte keine Ahnung, was diese Worte bedeuteten, er wußte nur, daß sie aus seinem Mund kamen und daß er, solange er sprach, nicht tot war. »Also, warum legen Sie das da nicht weg und – entschuldige, das ist meine Tasche«, letzteres zu einem dünnen, verwahrlost aussehenden Mädchen, keine zwanzig Jahre alt, das Richards Tasche genommen hatte und seine Besitztümer achtlos auf den Boden schüttete.

Die Menschen in der Halle fuhren fort, sich zu verbeugen und gebückt stehenzubleiben, während die kleine Gestalt näher kam.

Sie erreichte die Menschengruppe um Richard. Keiner bemerkte sie. Alle sahen Richard an.

Es war eine Ratte. Sie schaute zu ihm auf. Richard schien es bizarrerweise einen Moment lang, als ob sie ihm zublinzelte. Dann fiepte sie laut.

Der Mann mit dem Glasdolch fiel auf die Knie. Die Menschen um sie herum folgten seinem Beispiel. Nach kurzem Zögern kniete, etwas verlegener, auch der Obdachlose nieder, den sie Iliaster genannt hatten.

Richard war der einzige, der stehen geblieben war. Das dünne Mädchen zupfte ihn am Ellenbogen, und auch er ließ sich auf ein Knie nieder.

Lord Rattensprecher verneigte sich so tief, daß sein langes Haar den Boden streifte, und er fiepte zurück, rümpfte die Nase, zeigte die Zähne, quiekte und fauchte, ganz wie eine überdimensionale Ratte.

»Hören Sie, kann mir jemand sagen …«, murmelte Richard. »Sei still!« sagte das Mädchen.