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Mr. Vandemar, der sich die ganze Zeit damit unterhalten hatte, kleine Frösche zu fangen und auszuprobieren, wie viele davon er sich gleichzeitig in den Mund stopfen konnte, bevor er gezwungen war, zu kauen, sagte mit vollem Mund: »Das hat Spaß gemacht …«

»Was ich damit sagen will?« fragte Mr. Croup, und er schnippte ein imaginäres Stäubchen von seinem abgetragenen schwarzen Anzug, den echten Staub geflissentlich übersehend. »Ich will damit sagen, daß wir Mörder sind. Wir sind Schwerverbrecher. Wir bringen Leute um.«

Er lauschte, dann: »Und was ist mit dem Oberweltler? Warum können wir den nicht töten?« Mr. Croup zuckte, und er spuckte noch einmal aus, und er trat gegen die Wand, während er mit dem rostfleckigen, ramponierten Telefon in der Hand dastand.

»Ihr Angst einjagen? Wir sind Mörder, keine Vogelscheuchen. « Eine Pause. Er holte tief Luft. »Ja, ich verstehe, aber es gefällt mir gar nicht.« Doch die Person am anderen Ende der Leitung hatte eingehängt. Mr. Croup blickte auf das Telefon hinunter. Dann nahm er es in die Hand und schlug es systematisch so lange an die Wand, bis nur noch Plastik- und Metalltrümmer davon übrig waren.

Mr. Vandemar ging zu ihm. Er hatte eine große schwarze Nacktschnecke mit leuchtend orangem Bauch gefunden, und er kaute darauf herum wie auf einer Lakritzzigarre. Die Schnecke, die nicht besonders schlau war, versuchte an Mr. Vandemars Kinn herunterzukriechen. »Wer war das?« fragte Mr. Vandemar. »Was zum Teufel glauben Sie, wer das war?« Mr. Vandemar kaute nachdenklich und sog die Schnecke dann in den Mund, wie einen Strang dicker, klebriger, schwarzoranger Spaghetti. »Ein Vogelscheuchenmann?« fragte er.

»Unser Arbeitgeber.«

»Das wäre mein nächster Versuch gewesen.«

»Vogelscheuchen«, spuckte Mr. Croup angewidert. Seine rote Rage verwandelte sich langsam in ein öliggraues Schmollen.

Mr. Vandemar schluckte das, was er im Mund hatte, hinunter und wischte sich die Lippen am Ärmel ab. »Am besten verscheucht man Vögel«, sagte Mr. Vandemar, »indem man sich von hinten anschleicht, die Hand um ihren kleinen Vogelhals legt und so lange zudrückt, bis sie sich nicht mehr bewegen. Dann kriegen sie eine Mordsangst. «

Und dann schwieg er; und ganz weit über sich hörten sie wütend krächzende Krähen fliegen.

»Krähen. Familie: corvidae. Sammelbegriff«, deklamierte Mr. Croup und schwelgte im Klang des Wortes: »ein Mord.«

Richard wartete, neben Door an die Wand gelehnt. Sie sagte sehr wenig; sie kaute an den Fingernägeln, fuhr sich mit der Hand durchs Haar, bis es ihr in alle Himmelsrichtungen zu Berge stand, und versuchte dann, es wieder herunterzudrücken.

Sie war unbestreitbar anders als jeder andere Mensch, den er je kennengelernt hatte.

Als sie merkte, daß er sie ansah, zuckte sie mit den Schultern und verkroch sich noch tiefer in ihre Kleidungsschichten, in ihre Lederjacke. Ihr Gesicht schaute aus dem Inneren der Jacke hinaus in die Welt. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte Richard an ein obdachloses Kind, das er einmal gesehen hatte, letzten Winter, hinterm Covent Garden: Er war sich nicht sicher, ob es ein Mädchen oder ein Junge gewesen war. Seine Mutter bettelte, bat die Passanten um Kleingeld, damit sie ihrem Kind und dem Baby, das sie in ihren Armen trug, zu essen geben konnte. Doch das Kind starrte in die Welt hinaus und sagte nichts, obwohl es sicher hungrig und durchgefroren war. Es starrte einfach nur.

Hunter stand neben Door und ließ ihren Blick über den Bahnsteig schweifen. Der Marquis hatte ihnen gesagt, wo sie warten sollten, und sich aus dem Staub gemacht. Von irgendwoher hörte Richard, wie ein Baby zu weinen anfing. Der Marquis schlüpfte aus einer ›Hier-nur-Ausgang‹-Tür und kam auf sie zu. Er kaute an einer Zuckerstange.

»Amüsieren Sie sich gut?« fragte Richard. Ein Zug näherte sich.

»Ich kümmere mich nur darum, daß alles glattgeht«, sagte der Marquis. Er schaute auf den Zettel und seine Uhr. Dann deutete er auf eine Stelle auf dem Bahnsteig. »Das ist der Earl’s-Court-Zug. Stellen Sie sich alle drei hier hinter mir auf.«

Dann, als die U-Bahn – ein ziemlich langweilig aussehender Zug, wie Richard enttäuscht feststellte – in den Bahnhof rumpelte und ratterte, beugte der Marquis sich über Richard hinweg und sagte zu Door: »Mylady? Es gibt da etwas, das ich vielleicht schon früher hätte erwähnen sollen.«

Sie wandte ihm ihre seltsam gefärbten Augen zu. »Ja?«

»Nun ja«, sagte er, »der Earl wird vielleicht nicht allzu erfreut sein, mich zu sehen.«

Der Zug wurde langsamer und hielt. Der Waggon, neben dem Richard stand, war völlig leer: Das Licht war aus, es war trostlos und leer und dunkel. Andere Zugtüren öffneten sich zischend. Fahrgäste stiegen ein und aus. Die Türen des verdunkelten Waggons blieben geschlossen.

Der Marquis trommelte mit der Faust einen komplizierten Rhythmus an die Tür. Nichts geschah. Richard fragte sich gerade, ob der Zug ohne sie abfahren würde, als die Waggontür von drinnen aufgeschoben wurde. Sie öffnete sich etwa fünfzehn Zentimeter weit, und ein ältliches Gesicht lugte zu ihnen heraus.

»Wer klopft da?« fragte der Mann.

Durch den Spalt sah Richard Flammen und Menschen und Rauch. Durch das Glas in den Türen jedoch sah er immer noch einen dunklen und leeren Waggon.

»Lady Door«, sagte der Marquis milde, »und ihre Begleiter. «

Die Tür glitt vollständig auf, und sie waren im Earl’s Court.

Kapitel Sieben

Der Boden war mit Stroh bestreut, darunter lag eine Schicht Binsen. Ein offenes Holzfeuer loderte knisternd in einem großen Kamin. Ein paar Hühner stolzierten pikkend auf dem Boden umher. Sessel mit handbestickten Kissen darauf standen herum, und die Fenster und Türen waren mit Tapisserien verhängt.

Als der Zug aus der Haltestelle schlingerte, taumelte Richard vorwärts. Er streckte die Hand aus, bekam die am nächsten stehende Person zu fassen und fand sein Gleichgewicht wieder.

Die am nächsten stehende Person war ein kleinwüchsiger, grauhaariger, ältlicher Ritter, der ganz wie ein kürzlich pensionierter Beamter ausgesehen hätte, fand Richard, wären da nicht der Zinnhelm, der Wappenrock, der ziemlich ungeschickt gestrickte Kettenpanzer und der Speer gewesen. So sah er aus wie ein kürzlich pensionierter Beamter, der, eher gegen seinen Willen, zum Eintritt in die örtliche Laienspieltruppe genötigt worden war, wo er einen Ritter spielen mußte.

Der kleine graue Mann blinzelte kurzsichtig in Richards Richtung und sagte: »Entschuldigung.«

»Meine Schuld«, erwiderte Richard.

»Ich weiß«, sagte der Mann.

Ein irischer Wolfshund trottete den Gang entlang und blieb neben einem Lautenspieler stehen, der auf dem Boden saß und zerstreut eine frohe Melodie zupfte. Der Wolfshund starrte Richard an, schnaubte verächtlich, legte sich dann hin und schlief ein.

Am entgegengesetzten Ende des Waggons schäkerte ein ältlicher Falkner, einen haubentragenden Falken auf dem Handgelenk, mit einem kleinen Grüppchen von Damen, die ihr Letztverkaufsdatum bereits alle ein wenig überschritten hatten. Bei einigen war sogar das Haltbarkeitsdatum schon längst abgelaufen. Einige Fahrgäste starrten die vier Reisenden unverhohlen an, andere ignorierten sie ebenso unverhohlen.

Es war, fand Richard, als hätte jemand einen kleinen mittelalterlichen Hofstaat genommen und ihn, so gut es ging, in ein U-Bahn-Abteil gesteckt.

Ein Herold hob seine Fanfare an die Lippen und blies ein unmelodisches Signal. Ein massiger älterer Mann in einem voluminösen pelzgesäumten Morgenrock und Pantoffeln torkelte durch die Verbindungstür zum nächsten Abteil, den Arm auf die Schulter eines Hofnarren in einem schäbigen Narrenkostüm gestützt.