Выбрать главу

Er half Lear, sich aufzusetzen.

»Also«, sagte de Carabas. »Ich glaube, jetzt schulden Sie mir noch einen Gefallen.«

Lear hob seinen Mantel – zerrissen und schlammverschmutzt und von den Abdrücken vieler Füße gezeichnet – vom Boden der Unterführung. Plötzlich war ihm sehr kalt, und er wickelte sich den zerfetzten Mantel um die Schultern. Münzen fielen heraus, und Scheine flatterten zu Boden. Er ließ sie liegen.

»Hab’ ich wirklich Glück gehabt? Oder haben Sie mich reingelegt?«

Der Marquis sah beinahe beleidigt aus. »Wie können Sie nur so etwas von mir denken?«

»Weil ich Sie kenne. Deshalb. Also – was ist es diesmal? Diebstahl? Brandstiftung? Mord?« Lear klang resigniert und ein wenig traurig.

De Carabas griff hinunter und nahm sein Taschentuch wieder an sich. »Diebstahl, fürchte ich«, sagte er. »Ich brauche zufällig ganz dringend eine Skulptur aus der T’ang-Dynastie.«

Lear schauderte. Dann nickte er langsam.

Richard wurde ein Cadbury’s-Trauben-Nuß-Schokoriegel in Automatengröße gereicht und ein großer Silberpokal, der am Rand mit Steinen verziert war, die Richard für Saphire hielt. Der Pokal war mit Coca-Cola gefüllt.

»Ich möchte einen Toast auf unsere Gäste ausbringen«, sagte Tooley, der ältliche Hofnarr. »Ein Kind, ein Bravo, ein Trottel. Mögen sie alle bekommen, was sie verdienen. «

»Welcher bin ich?« flüsterte Richard Hunter zu.

»Der Trottel natürlich«, flüsterte sie zurück.

»Früher«, sagte Halvard trübsinnig, nachdem er an seiner Cola genippt hatte, »gab es noch Wein. Wein mag ich lieber. Er ist nicht so klebrig.«

»Geben Ihnen alle Automaten die Sachen einfach so heraus?« fragte Richard.

»Aber ja«, sagte der alte Mann. »Sie gehorchen dem Earl, müßt Ihr wissen. Er regiert den Untergrund. Den Untergrund der Züge. Er ist der Herrscher der Central, der Circle, der Jubilee, der Victorious, der Bakerloo – tja, er ist der Herrscher aller Linien bis auf die Underside Line.«

»Was ist die Underside Line?« fragte Richard.

Halvard schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen.

Hunter berührte Richards Schulter mit den Fingern. »Wissen Sie noch, was ich Ihnen über die Schäfer in Shepherd’s Bush gesagt habe?«

»Sie sagten, ich sollte sie lieber nicht kennenlernen und keine Fragen stellen.«

»Gut«, sagte sie. »Jetzt können Sie auch die Underside Line auf die Liste der Dinge setzen, über die Sie besser nichts wissen.«

Door kam vom anderen Ende des Wagens zu ihnen zurück. Sie lächelte. »Er hat sich bereit erklärt, uns zu helfen«, sagte sie. »Kommt. Er wartet in der Bibliothek auf uns.«

Richard war beinahe stolz darauf, daß er nicht fragte: »Was für eine Bibliothek?« oder darauf hinwies, daß man in einem Zug keine Bibliothek einrichten könne. Statt dessen folgte er Door zum leeren Thron des Earl, darum herum und durch die Verbindungstür dahinter in die Bibliothek.

Es war ein riesiger steinerner Raum mit einer hohen Decke. An jeder Wand waren Regale angebracht. Die Regale waren volclass="underline" auch mit Büchern, ja. Doch es befanden sich Unmengen von anderen Dingen darin: Tennisschläger, Hockeyschläger, Regenschirme, ein Spaten, ein Notebook-Computer, ein Holzbein, mehrere Becher, Dutzende von Schuhen, Ferngläser, ein kleines Holzscheit, sechs Handpuppen, eine Lavalampe, mehrere CDs, Schallplatten (LPs, Singles und 78er), Kassetten und Achtspurbänder, Würfel, Spielzeugautos, Gebisse, Armbanduhren, Taschenlampen, vier Gartenzwerge in verschiedenen Größen (zwei Angler, einer davon mit heruntergelassenen Hosen), stapelweise Zeitungen, Magazine, dreibeinige Schemel, eine Kiste Zigarren, ein Plastikschäferhund mit nickendem Kopf, Socken … Der Raum war ein kleines Imperium von Fundsachen.

»Das ist sein wahres Reich«, murmelte Hunter. »Verlorenes. Vergessenes.«

Fenster waren in die Steinwand eingelassen. Durch sie hindurch konnte Richard die ratternde Finsternis und die vorbeifliegenden Lichter der U-Bahn-Tunnel sehen.

Der Earl saß mit gespreizten Beinen auf dem Boden, tätschelte den Wolfshund und kraulte ihn unter dem Kinn. Der Hofnarr stand neben ihm und sah verlegen aus. Der Earl rappelte sich auf, als er ihrer ansichtig wurde. Seine Stirn legte sich in Falten.

»Ah. Da seid Ihr ja. Also, ich habe Euch doch aus einem bestimmten Grund hergebeten, es fällt mir gleich ein …« Er zupfte an seinem rotgrauen Bart, eine winzige Geste für so einen großen Mann.

»Der Engel Islington, Euer Gnaden«, sagte Door höflich.

»Ach ja. Euer Vater hatte eine Menge Ideen, wißt Ihr. Hat mich nach meiner Meinung gefragt. Ich mißtraue Veränderungen. Deshalb habe ich ihn zu Islington geschickt. « Er hielt inne. Blinzelte mit seinem einen Auge. »Habe ich Euch das schon erzählt?«

»Ja, Euer Gnaden. Und wie kommen wir zu Islington?«

Er nickte, als hätte sie etwas Bedeutungsvolles gesagt. »Nur einmal auf dem schnellen Weg. Danach muß man den langen Weg nehmen. Gefährlich.«

Door fragte geduldig: »Und wie geht der schnelle Weg?«

»Nein, nein. Dafür muß man ein Öffner sein. Taugt nur für Porticos Familie.« Er legte ihr eine riesige Hand auf die Schulter. Dann glitt seine Hand zu ihrer Wange hinauf. »Besser für Euch, Ihr bleibt hier bei mir. Einem alten Mann nachts ein bißchen Wärme spenden, he?« Er glotzte sie lüstern an und berührte ihr wirres Haar mit seinen alten Fingern.

Hunter trat einen Schritt auf Door zu. Door machte ihr ein Zeichen: Nein. Noch nicht.

Door sah zu dem Earl auf und sagte: »Euer Gnaden, ich bin Porticos älteste Tochter. Wie komme ich zum Engel Islington?«

Richard staunte, wie Door angesichts des offenbar aussichtslosen Kampfes des Earl gegen den Zahn der Zeit die Ruhe bewahren konnte.

Der Earl blinzelte würdevoll mit seinem einzelnen Auge: ein alter Raubvogel, den Kopf zur Seite gelegt. Dann nahm er seine Hand von ihrem Haar.

»Das seid Ihr. Das seid Ihr. Porticos Tochter. Wie geht es Eurem geschätzten Vater? Ich hoffe, gut. Ein feiner Mann. Guter Mann.«

»Wie kommen wir zum Engel Islington«, fragte Door, doch ihre Stimme zitterte leicht.

»Hmm? Mit dem Angelus natürlich.«

Richard ertappte sich dabei, wie er sich den Earl vor sechzig, achtzig, fünfhundert Jahren vorstellte: ein mächtiger Krieger, ein raffinierter Stratege, ein großer Frauenliebhaber, ein guter Freund, ein schrecklicher Feind. Irgendwo da drinnen war noch etwas von diesem Mann übrig.

Der Earl hantierte auf den Regalen herum, schob Stifte und Pfeifen und Blasrohre, kleine Gargoyles und tote Blätter hin und her. Dann griff er wie eine alternde Katze, die zufällig über eine Maus stolpert, nach einer kleinen zusammengerollten Schriftrolle und reichte sie dem Mädchen.

»Hier, Mädel«, sagte der Earl. »Da steht alles drin. Wir sollten Euch wohl lieber an der richtigen Stelle absetzen.«

»Sie setzen uns ab?« fragte Richard. »Mit einem Zug?«

Der Earl blickte sich nach der Quelle dieser Geräusche um, bis sein Blick auf Richard fiel. Er lächelte strahlend. »Ach, das ist nicht der Rede wert«, dröhnte er. »Für Porticos Tochter tu’ ich doch alles.«

Triumphierend umklammerte Door die Schriftrolle.

Richard spürte, wie der Zug abbremste, und er und Door und Hunter wurden aus dem steinernen Zimmer zurück in den Waggon geführt.

Richard schaute auf den Bahnsteig hinaus, während sie langsamer wurden.

»Verzeihung. Welche Haltestelle ist das hier?« fragte er.

Der Zug hielt vor einem der Schilder: BRITISH MUSEUM stand darauf. Irgendwie war das zuviel des Guten. Das Wesen im U-Bahn-Schacht, den Earl’s Court und sogar die seltsame Bibliothek konnte er akzeptieren. Aber, verdammt noch mal, mit dem U-Bahn-Plan kannte er sich wirklich aus. Und das hier ging zu weit. »Es gibt keine Haltestelle namens British Museum«, sagte Richard mit fester Stimme.