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»Das hat mir noch gefehlt«, sagte Richards zu niemandem im Besonderen, »das hat mir wirklich noch gefehlt.«

Mr. Figgis roch schwach nach Hustensaft und besaß weitverbreiteten Gerüchten zufolge eine umfassende Sammlung von Softcore-Pornographie. Er bewachte die Türen mit einer Sorgfalt, die an Irrsinn grenzte, denn er hatte es nie richtig wiedergutmachen können, daß sich eines Abends die Computerausrüstung eines gesamten Stockwerks verabschiedet hatte, zusammen mit zwei Topfpalmen und dem Axminster-Teppich des Geschäftsführers.

»Aus unserem Drink wird also nichts?«

»Tut mir leid, Garry. Paßt es dir am Montag?«

»Klar. Montag ist mir recht. Bis Montag.«

Mr. Figgis inspizierte ihre Unterschriften und vergewisserte sich, daß sie keine Computer, Topfpalmen oder Teppiche mit sich führten, dann drückte er einen Knopf unter seinem Schreibtisch, und die Tür glitt auf.

»Türen«, sagte Richard.

Die Unterführung verzweigte und teilte sich; ohne zu überlegen, in welche Richtung, lief sie immer weiter, in Tunnel abtauchend und stolpernd und Haken schlagend.

Hinter ihr schlenderten Mr. Croup und Mr. Vandemar, so ruhig und heiter, als sähen sie sich die Ausstellung im Crystal Palace an.

Wenn sie zu einer Kreuzung kamen, kniete Mr. Croup sich hin, suchte den nächsten Blutfleck, und dem folgten sie dann. Wie Hyänen hetzten sie ihre Beute, damit sie müde wurde. Sie konnten warten. Sie hatten alle Zeit der Welt.

Zur Abwechslung war das Glück mal auf Richards Seite. Er fand ein Taxi mit einem besonders engagierten Fahrer, der Richard auf einer unglaublichen Route nach Hause brachte, durch Straßen, die Richard nie zuvor bemerkt hatte. Er sprang aus dem Wagen, ließ ein Trinkgeld und seine Aktentasche zurück, schaffte es, das Taxi noch einmal anzuhalten, bevor es die Hauptstraße erreicht hatte, bekam seine Aktentasche wieder und lief dann die Treppe hinauf in seine Wohnung.

Kaum daß er den Korridor betreten hatte, fing er an, sich auszuziehen: Seine Aktentasche wirbelte durch den Raum und machte eine Bruchlandung auf dem Sofa; er nahm seine Schlüssel und plazierte sie sorgfältig auf dem Flurtischchen, damit er sie später nicht vergaß.

Dann stürmte er ins Schlafzimmer. Die Türklingel summte.

Richard stürzte, zu drei Vierteln in seinem besten Anzug, zur Gegensprechanlage.

»Richard? Hier ist Jessica. Ich hoffe, du bist soweit.«

»Oh. Ja. Bin gleich unten.«

Er zog einen Mantel an, schlug die Tür hinter sich zu und rannte los.

Jessica wartete am Fuß der Treppe auf ihn. Dort wartete sie immer auf ihn. Jessica mochte Richards Wohnung nicht: Sie fühlte sich darin auf unangenehme Weise weiblich. Es bestand dort immer die Möglichkeit, daß man irgendwo auf eine Unterhose stieß, ganz zu schweigen von den wandernden Klumpen eingetrockneter Zahnpasta im Waschbecken: Nein, das war kein Ort für Jessica.

Jessica war sehr schön; so schön, daß Richard sich gelegentlich dabei ertappte, wie er sie anstarrte und sich fragte : Wie ist sie nur an mich geraten?

Und wenn sie miteinander schliefen – was sie in Jessicas Wohnung in Barbican taten, in Jessicas Messingbett mit den steifen weißen Leinenlaken (denn Jessicas Eltern hatten ihr gesagt, Federbetten seien dekadent) –, umarmte sie ihn hinterher in der Dunkelheit sehr fest, und ihre langen braunen Locken fielen auf seine Brust, und sie flüsterte ihm ins Ohr, wie sehr sie ihn liebe, und er sagte ihr, daß er sie auch liebe und immer bei ihr bleiben wolle, und beide glaubten, das sei die Wahrheit.

»Potz Blitz, Mister Vandemar. Sie wird langsamer.«

»Wird langsamer, Mister Croup.«

»Sie muß viel Blut verlieren, Mister V.«

»Schönes Blut, Mister C. Schönes nasses Blut.«

»Aber nicht mehr lange.«

Ein Klicken: das Geräusch eines sich öffnenden Schnappmessers, leer und einsam und dunkel.

»Richard? Was tust du da?« fragte Jessica.

»Nichts, Jessica.«

»Du hast doch nicht schon wieder deinen Schlüssel vergessen, oder?«

»Nein, Jessica.«

Richard hörte auf, sich abzuklopfen, und steckte die Hände tief in seine Manteltaschen.

»Also, wenn du heute abend Mister Stockton kennenlernst«, sagte Jessica, »mußt du dir darüber im klaren sein, daß er nicht nur ein sehr bedeutender Mann ist. Er ist auch eine Art eigenes Wirtschaftsunternehmen.«

»Ich kann’s kaum erwarten«, seufzte Richard.

»Wie bitte?«

»Ich kann’s kaum erwarten«, sagte Richard enthusiastisch.

»Kannst du denn nicht schneller gehen?« fragte Jessica, die begann, eine Aura zu verströmen, die man bei einer einfacheren Frau beinahe als Nervosität hätte bezeichnen können. »Wir dürfen Mister Stockton nicht warten lassen.«

»Nein, Jess.«

»Nenn mich nicht so, Richard. Ich hasse Kosenamen. Sie sind so erniedrigend.«

»Haben Sie etwas Kleingeld übrig?« Der Mann saß auf einer Türschwelle, mit einem handgeschriebenen Schild auf der Brust, das der Welt mitteilte, er sei obdachlos und hungrig. Dafür bedurfte es keines Schildes, das sah man auch so, und schon hatte Richard die Hand in der Tasche und tastete nach einer Münze.

»Richard. Dafür haben wir keine Zeit«, sagte Jessica, die für Wohlfahrtsorganisationen spendete und ihr Geld ethisch korrekt anlegte. »Also, ich will, daß du als mein Verlobter einen guten Eindruck machst. Es ist ungeheuer wichtig, daß ein zukünftiger Ehemann einen guten Eindruck macht.« Und dann verzog sie das Gesicht, und sie umarmte ihn einen Moment lang und sagte: »Ach, Richard. Ich liebe dich wirklich. Das weißt du doch, oder?«

Und Richard nickte. Ja, das wußte er.

Jessica sah auf die Uhr und beschleunigte ihren Schritt.

Richard schnippte dem Mann auf der Türschwelle diskret eine Pfundmünze zu – die dieser mit einer schmutzigen Hand auffing.

»Du hattest doch keine Schwierigkeiten bei der Reservierung, oder?« fragte Jessica.

Und Richard, der nur schlecht lügen konnte, wenn ihm eine direkte Frage gestellt wurde, sagte: »Ah.«

Sie hatte den falschen Weg genommen. Der Gang endete an einer glatten Wand. Normalerweise hätte sie das kaum aufgehalten, doch sie war so müde, so hungrig, hatte solche Schmerzen …

Sie schluckte Luft, bekam einen Schluckauf und schluchzte. Ihr Arm war kalt, und ihre linke Hand war taub.

»Ach, bei meiner kleinen schwarzen Seele, Mister Vandemar, sehen Sie auch, was ich sehe?« Die Stimme klang leise und nah, sie mußten dichter an ihr dran gewesen sein, als sie gedacht hatte. »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist – «

»In einer Minute tot, Mister Croup«, sagte eine Stimme über ihr.

»Unser Auftraggeber wird entzückt sein.«

Und sie raffte alles zusammen, was sie trotz des Schmerzes, des Leids und der Angst noch tief in ihrer Seele finden konnte. Sie war am Ende, ausgebrannt und furchtbar erschöpft. Sie konnte nirgendwo hin, hatte keine Kraft mehr, keine Zeit.

»Und wenn das die letzte Tür ist, die ich öffne«, betete sie stumm zum Temple und zum Arch. »Irgendwohin … ganz egal, wo … wo es sicher ist … «, und dann dachte sie: »Zu irgend jemandem.«

Und sie versuchte, eine Tür zu öffnen.

Während die Dunkelheit sie aufnahm, hörte sie Mr. Croups Stimme wie von ganz weit her.

Er sagte: »Mist.«

»Du willst also wirklich sagen, daß du ihnen für unseren Tisch heute abend fünfzig Pfund extra versprechen mußtest ? Du bist ein Idiot, Richard.« Jessica fand das gar nicht witzig. »Sie konnten meine Reservierung nicht finden. Und sie sagten, es sei alles ausgebucht.«