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»Langsamer, langsamer«, sagte Old Bailey. Die Ratte wiederholte, was sie gesagt hatte, mit etwas tieferer Stimme und langsamer. »Du lieber Gott«, sagte Old Bailey.

Er lief ins Zelt und kehrte mit Waffen zurück – seiner Röstgabel und einer Kohlenschaufel. Dann eilte er wieder hinein und kam mit ein paar Tauschobjekten zurück. Und dann trat er noch einmal ins Zelt, öffnete seine Holztruhe und steckte das Silberkästchen in die Tasche.

»Ich habe wirklich keine Zeit für solchen Unsinn«, sagte er zu der Ratte, als er zum letzten Mal aus dem Zelt kam. »Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Vögel fangen sich nicht von selber, mußt du wissen.«

Die Ratte fiepte ihn an.

Old Bailey löste das Seil, das um seinen Leib gewickelt war. »Schließlich«, erklärte er der Ratte, »könnte ja auch jemand anders die Leiche holen. Ich bin eben nicht mehr der Jüngste. Ich mag die Unterorte nicht. Ich bin ein Dachmann, und zwar mit Leib und Seele.«

Die Ratte machte ein unhöfliches Geräusch.

»Eile mit Weile«, erwiderte Old Bailey. »Ich geh’ ja schon. Du Dreikäsehoch. Ich kannte schon deinen Ururgroßvater, Bürschchen, also bild dir bloß nichts ein … Nun denn, wo ist der Markt?«

Die Ratte sagte es ihm. Dann steckte er sie in seine Tasche und kletterte über den Rand des Gebäudes.

Als er so auf dem Sims neben dem Abwasserkanal saß, auf seinem Plastikgartenstuhl, überkam Dunnikin eine Vorahnung von Reichtum und Wohlstand. Er spürte, wie sie von Westen nach Osten trieb, auf sie zu.

Er klatschte laut in die Hände. Andere Männer kamen zu ihm gelaufen, und die Frauen und die Kinder, und im Laufen schnappten sie sich Haken und Netze. Sie reihten sich auf dem schmuddeligen Sims auf, in dem flackernden grünen Licht des Siels.

Dunnikin zeigte auf etwas, und sie warteten, schweigend, wie die Sielmenschen eben warten.

Die Leiche des Marquis des Carabas wurde mit dem Gesicht nach unten den Abwasserkanal entlanggetrieben. Die Strömung trug ihn so langsam und feierlich voran wie eine Beerdigungsbarkasse.

Schweigend holten sie ihn mit ihren Haken und ihren Netzen heran, und schon bald hatten sie ihn auf den Sims gehievt. Sie zogen ihm den Mantel und die Stiefel aus und nahmen sich, was er in den Manteltaschen hatte. Den Rest der Kleidung ließen sie jedoch an der Leiche.

Dunnikin strahlte angesichts einer solchen Beute. Er klatschte noch einmal, und die Sielmenschen begannen sich für den Markt bereitzumachen. Jetzt hatten sie wirklich etwas zu verkaufen.

»Bist du sicher, daß der Marquis auf dem Markt ist?« fragte Richard Door, als der Weg langsam anzusteigen begann.

»Er läßt uns nicht im Stich«, sagte sie so zuversichtlich sie konnte. »Ich bin sicher, er wird da sein.«

Kapitel Vierzehn

Die HMS Belfast ist ein 11000-Tonnen-Kriegsschiff, 1939 in Dienst gestellt, das im Zweiten Weltkrieg als Schlachtschiff eingesetzt wurde. Seither liegt es am Südufer der Themse, im Postkartenland zwischen der Tower Bridge und der London Bridge, gegenüber dem Tower of London. Man kann von dort aus St. Paul’s Cathedral sehen und das Monument, das Christopher Wren zur Erinnerung an den Großen Brand errichtet hat. Es dient als schwimmendes Museum, als Denkmal, als Ausbildungsstätte.

Vom Ufer führt eine Fußgängerbrücke aufs Schiff, und diese kamen sie in Zweier- und Dreiergruppen und zu Dutzenden herunter. Sie bauten ihre Stände so früh auf, wie sie konnten, all die verschiedenen Stämme Unter-Londons, vereint vom Marktfrieden und dem allen gemeinsamen Wunsch, ihre Buden so weit wie möglich von dem der Sielmenschen entfernt aufzustellen.

Vor über hundert Jahren war der Beschluß gefaßt worden, daß die Sielmenschen nur auf jenen Märkten einen Stand aufbauen durften, die im Freien abgehalten wurden.

Dunnikin und seine Leute warfen ihre Beute auf einen großen Haufen, auf eine Gummimatte unter einer großen Kanone. Niemand kam sofort zum Stand der Sielmenschen: Doch gegen Ende des Markts würden sie auftauchen, die Schnäppchenjäger, die Neugierigen und jene seltenen Individuen, die das Glück hatten, keinen Geruchssinn zu besitzen.

Richard und Hunter und Door bahnten sich ihren Weg durch die Menschenmenge an Deck.

Richard stellte fest, daß er gar nicht mehr das Bedürfnis hatte, hemmungslos zu gaffen. Die Menschen waren zwar nicht weniger seltsam als auf dem letzten Wandermarkt: aber er selbst war doch wohl schließlich mindestens ebenso seltsam, nicht wahr?

Er schaute sich um und ließ im Gehen seinen Blick über die Gesichter in der Menge schweifen, auf der Suche nach dem ironischen Lächeln des Marquis.

»Ich sehe ihn nicht«, sagte er.

Sie näherten sich dem Stand eines Schmieds. Ein Mann, der, hätte man den zottigen braunen Bart übersehen, leicht als kleiner Berg durchgegangen wäre, warf einen rotgeschmolzenen Metallklumpen auf einen Amboß. Richard hatte noch nie einen richtigen Amboß gesehen. Er konnte die Hitze des geschmolzenen Metalls noch in mehreren Metern Entfernung spüren.

»Such weiter. De Carabas wird schon auftauchen«, sagte Door und schaute sich um. »Wie ein falscher Fuffziger. « Sie überlegte einen Moment. »Was ist ein falscher Fuffziger?« Und dann, noch bevor Richard antworten konnte, quietschte sie: »Hammersmith!«

Der bärtige Berg schaute hoch, hörte auf, auf das geschmolzene Metall einzuschlagen, und dröhnte: »Beim Tempel und beim Arch! Lady Door!« Dann hob er sie hoch, als wöge sie nicht mehr als eine Maus.

»Hallo, Hammersmith«, sagte Door. »Ich hatte gehofft, daß du hier sein würdest.«

»Ich verpasse nie einen Markt, Lady«, donnerte er vergnügt. Dann bekannte er: »Wissen Sie, dies ist der Ort, wo die Geschäfte laufen. Nun denn«, sagte er, da er sich wieder auf den kaltwerdenden Metallklumpen auf seinem Amboß besann, »warten Sie hier einen Moment.« Er setzt Door in Augenhöhe ab, oben auf seinem Stand, zwei Meter über dem Deck. Er schlug den Metallklumpen mit seinem Hammer und verbog ihn dabei mit einem Werkzeug, das Richard völlig zu Recht für eine Zange hielt. Unter den Hammerschlägen verwandelte sich der Klumpen von einem amorphen Etwas zu einer perfekten schwarzen Rose, ein Werk von erstaunlicher Zartheit, jedes Blütenblatt vollkommen und einzigartig.

Hammersmith tauchte die Rose in einen Eimer mit kaltem Wasser neben dem Amboß. Es zischte und dampfte. Dann zog er sie heraus und reichte sie einem fetten Mann in einem Kettenhemd, der geduldig danebenstand; der fette Mann drückte seine Zufriedenheit aus und gab Hammersmith als Gegenleistung eine grüne Marks-and-Spencer-Plastiktüte mit verschiedenen Käsesorten darin.

»Hammersmith?« sagte Door von ihrem Sitz herunter. »Das sind meine Freunde.«

Hammersmith umfaßte Richards Hand mit der seinen, die mehrere Nummern größer war. Sein Händedruck war freudig, aber sehr sanft, als seien ihm in der Vergangenheit beim Händeschütteln eine Reihe von Unfällen widerfahren, woraufhin er so lange geübt hatte, bis er es richtig hinbekam. »Angenehm«, donnerte er.

»Richard«, sagte Richard.

Hammersmith sah erfreut aus. »Richard! Schöner Name! Ich hatte mal ein Pferd namens Richard.« Er ließ Richards Hand los, wandte sich zu Hunter und sagte: »Und Sie sind … Hunter? Hunter! So wahr ich lebe, atme und Stuhlgang habe! Sie ist es!«

Hammersmith errötete wie ein Schuljunge. Er spuckte in seine Hand und versuchte unbeholfen, sich die Haare nach hinten zu kleistern. Dann streckte er die Hand aus, und ihm fiel ein, daß er gerade hineingespuckt hatte, und er wischte sie an seiner Lederschürze ab und verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.