»Hammersmith«, sagte Hunter mit einem perfekten karamelfarbenen Lächeln.
»Hammersmith?« fragte Door. »Würdest du mir bitte herunterhelfen?«
Er sah verlegen aus. »Verzeihung, Lady«, sagte er und hob sie herunter. Da wurde Richard klar, daß Hammersmith Door schon als kleines Kind gekannt haben mußte, und er ertappte sich dabei, daß er unerklärlicherweise eifersüchtig auf den riesigen Mann war.
»Also«, sagte Hammersmith gerade zu Door. »Was kann ich für Sie tun?«
»Einiges«, sagte sie. »Aber zuerst – « Sie drehte sich zu Richard um. »Richard? Ich hab’ eine Aufgabe für dich.«
Hunter zog eine Augenbraue hoch. »Für ihn?«
Door nickte. »Für euch beide. Könntet ihr uns etwas zu essen besorgen? Bitte?«
Richard verspürte ein seltsames Gefühl des Stolzes. Er hatte sich bei der Prüfung bewährt. Er war Einer von Ihnen. Er würde Losgehen, und er würde Etwas Zu Essen Holen. Er warf sich in die Brust.
»Ich bin Ihre Leibwächterin. Ich bleibe an Ihrer Seite«, sagte Hunter.
Door grinste. Ihre seltsam gefärbten Augen blitzten. »Auf dem Markt? Das ist nicht nötig, Hunter. Der Marktfrieden hält. Niemand wird mir hier etwas tun. Und Richard hat einen Aufpasser nötiger als ich.«
Richard fiel in sich zusammen, aber keiner sah es.
»Und was ist, wenn jemand den Waffenstillstand bricht?« fragte Hunter.
Hammersmith schauderte trotz der Hitze. »Den Marktfrieden brechen? Brrrr.«
»Das wird nicht geschehen. Geht schon. Ihr beide. Curry, bitte. Und bringt mir bitte ein paar Papadams mit. Scharf.« Hunter fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Dann drehte sie sich um und ging fort in die Menge, und Richard ging mit ihr.
»Was würde denn passieren, wenn jemand den Marktfrieden bräche?« fragte Richard, während sie sich durch die Menschenmassen schoben.
Sie dachte einen Augenblick lang darüber nach. »Das ist zum letzten Mal vor etwa dreihundert Jahren geschehen. Zwei Freunde gerieten auf dem Markt wegen einer Frau in Streit. Ein Messer wurde gezogen, und einer von ihnen starb. Der andere floh.«
»Was ist mit ihm passiert? Wurde er umgebracht?«
Hunter schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Er wünscht sich immer noch, er sei derjenige gewesen, der gestorben ist.«
»Er ist noch am Leben?«
Hunter schürzte die Lippen. »Sowas ähnliches«, sagte sie nach einer Weile.
»Puuhh!« Richard glaubte, er müsse sich übergeben. »Was ist denn das – dieser Gestank?«
»Die Sielmenschen.«
Richard wandte den Kopf ab und beschloß, nicht mehr durch die Nase zu atmen, bis sie den Stand der Sielmenschen weit hinter sich gelassen hatten.
»Schon irgendeine Spur vom Marquis?« fragte er.
Hunter schüttelte den Kopf. Sie hätte die Hand ausstrecken und ihn berühren können.
Sie gingen eine Planke hoch, auf die Essensstände und freundlicheren Gerüche zu.
Old Bailey fand die Sielmenschen ohne größere Schwierigkeiten, indem er einfach seiner Nase folgte. Er zog eine ziemliche Schau ab, indem er erst ostentativ den toten Cockerspaniel, die Beinprothese und das feuchte und dreckige Handy untersuchte und jedesmal gequält den Kopf schüttelte.
Dann bemerkte er auf theatralische Weise die Leiche des Marquis. Er kratzte sich an der Nase. Er setzte seine Brille auf und inspizierte den Körper. Er nickte vor sich hin. Dann winkte er Dunnikin heran und deutete auf die Leiche.
Dunnikin streckte die Hände aus, lächelte glückselig und blickte zum Himmel empor, um zu vermitteln, welch einen Segen die Überreste des Marquis in ihr Leben gebracht hatten. Er legte eine Hand an die Stirn, senkte sie und schaute zutiefst erschüttert drein, um zu vermitteln, welche Tragödie der Verlust einer solch bemerkenswerten Leiche wäre.
Old Bailey steckte eine Hand in die Tasche und holte einen halb aufgebrauchten Deostift hervor. Er reichte ihn Dunnikin, der ihn mit zusammengekniffenen Augen musterte, daran leckte und ihn zurückgab. Old Bailey steckte ihn wieder ein. Schaute noch einmal die Leiche des Marquis de Carabas an, nur halb bekleidet, barfuß, noch feucht von ihrer Reise durch die Abwasserkanäle. Der Körper war aschfahl, durch die vielen kleinen und großen Wunden war das Blut daraus gewichen, und die Haut war von dem langen Aufenthalt im Wasser runzlig wie eine Dörrpflaume.
Dann zog er eine Flasche hervor, die zu drei Vierteln mit einer gelben Flüssigkeit gefüllt war, und warf sie Dunnikin zu. Dieser sah sie mißtrauisch an. Die Sielmenschen wissen, wie eine Flasche Chanel No. 5 aussieht, und sie versammelten sich glotzend um Dunnikin. Vorsichtig, wichtigtuerisch schraubte er den Deckel der Flasche ab und tupfte sich eine winzige Menge aufs Handgelenk. Und dann, mit einer Feierlichkeit, um die ihn der feinste Pariser Parfumier beneidet hätte, schnupperte er daran.
Daraufhin nickte er begeistert und ging auf Old Bailey zu, um ihn zu umarmen und den Handel zu besiegeln. Old Bailey wandte das Gesicht ab.
Und dann hielt Old Bailey einen Finger hoch und tat sein Bestes, um zu zeigen, daß er auch nicht mehr der Jüngste war und der Marquis de Carabas, tot oder lebendig, doch ein wenig arg schwer.
Dunnikin pulte sich nachdenklich in der Nase, und anschließend bedeutete er mit einer Handbewegung, die nicht nur Großmut, sondern auch eine idiotische und fehlgeleitete Großzügigkeit signalisierte, die ihn, Dunnikin, und den Rest der Sielmenschen mit Sicherheit ins Armenhaus bringen würde, einem der jüngeren Sielmänner, den Leichnam auf die untere Hälfte des alten Kinderwagens zu schnüren. Der alte Dachmann bedeckte den Körper mit einem Stück Stoff, und dann zog er ihn fort, quer über das menschengefüllte Deck.
»Eine Portion Gemüsecurry, bitte«, sagte Richard zu der Frau am Currystand. »Und, ähm, eine Frage. Das Fleischcurry. Was für Fleisch ist denn das?«
Die Frau sagte es ihm.
»Oh«, sagte Richard. »Gut. Ähm. Dann eben Gemüsecurry für alle.«
»Hallo«, sagte eine volle Stimme neben ihm. Es war die blasse Frau, die sie in den Höhlen getroffen hatten, mit dem schwarzen Kleid und den fingerhutfarbenen Augen.
»Hallo«, sagte Richard mit einem Lächeln. » – Ach, und ein paar Papadams bitte. – Wollen Sie, ähm, Curry kaufen? «
Sie fixierte ihn mit ihren violetten Augen und sagte, Bela Lugosi imitierend: »Ich esse kein … Curry.« Und dann lachte sie, ein überschwengliches, fröhliches Lachen, und Richard merkte plötzlich, wie lange es her war, daß er mit einer Frau gemeinsam über einen Witz gelacht hatte.
»Oh. Ähm. Richard. Richard Mayhew.« Er streckte die Hand aus. Sie berührte sie mit der ihren. Ihre Hand war sehr kalt, aber schließlich ist es Ende Herbst mitten in der Nacht auf einem Schiff draußen auf der Themse sehr kalt.
»Lamia«, sagte sie. »Ich bin eine Velvet.«
»Ach«, sagte er. »Aha. Gibt es davon viele?«
»Ein paar«, erwiderte sie.
Richard nahm die Behälter mit dem Curry darin entgegen. »Was machen Sie?« fragte er.
»Wenn ich nicht gerade etwas zu essen suche«, lächelte sie, »bin ich Fremdenführerin. Ich kenne jeden Zentimeter der Unterseite.«
Hunter stand, obwohl Richard hätte schwören können, daß sie auf der anderen Seite der Bude war, neben Lamia. Sie sagte: »Er ist nichts für Sie.«
Lamia lächelte liebenswürdig. »Das zu beurteilen überlassen Sie besser mir.«
Richard sagte: »Hunter, das ist Lamia. Sie ist eine Velcro.«
»Vel-vet«, verbesserte Lamia liebenswürdig.
»Sie ist Fremdenführerin.«
»Ich bringe Sie, wohin Sie wollen.«