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Sie stiegen eine völlig unbeeindruckende, mit verschlissenem Sackleinen ausgelegte Treppe hinab.

Sie stiegen eine schmutzigbraune Holztreppe ohne jeden Teppich hinab.

Am Fuße dieser Treppe befand sich ein antiker Lastenaufzug mit einem Schild daran. Auf dem Schild stand:

AUSSER BETRIEB.

Der Lakai ignorierte das Schild und zog die äußere Drahttür mit einem metallischen Rumpeln auf. Lamia dankte ihm höflich und betrat den Aufzug. Die anderen folgten.

Der Lakai wandte ihnen den Rücken zu. Richard sah durch den Maschendraht zu, wie er, den Kandelaber in den Händen, wieder die Holztreppe hinaufging.

An der Wand des Aufzugs befand sich eine kurze Reihe von Knöpfen. Lamia drückte den untersten. Mit einem Knall schloß sich die metallene Gittertür automatisch. Ein Motor sprang an, und der Aufzug begann sich langsam und quietschend abwärtszubewegen.

Die vier standen dicht beieinander. Richard stellte fest, daß er jede der Frauen, die sich mit ihm im Aufzug befand, riechen konnte. Door roch vor allem nach Curry; Hunter roch, nicht unangenehm, nach Schweiß, auf eine Weise, die ihn an Raubkatzen in Zookäfigen erinnerte; während Lamia berauschend nach Geißblatt und Maiglöckchen und Moschus duftete.

Der Aufzug sank immer weiter abwärts. Richard merkte, daß er schwitzte, einen klammen, kalten Schweiß, und seine Fingernägel tief in die Handflächen grub. So beiläufig er eben konnte, sagte er: »Dies wäre wohl ein sehr schlechter Zeitpunkt, um festzustellen, daß man unter Platzangst leidet, was?«

»Ja«, sagte Door.

»Dann tu ich’s auch nicht«, sagte Richard. Und sie fuhren abwärts.

Es ruckte und klackte und ratschte, und der Aufzug hielt an. Hunter zog die Tür auf, zögerte einen Moment und trat dann auf einen schmalen Sims hinaus.

Richard schaute aus der offenen Aufzugtür. Sie hingen in der Luft, auf dem höchsten Punkt von etwas, das Richard an ein Bild des Turms von Babel erinnerte, das er mal gesehen hatte, oder vielmehr daran, wie der Turm von Babel aussehen würde, wenn sein Inneres nach außen gekehrt wäre. Es war ein gigantischer und reichverzierter, in den Felsen gehauener spiralförmiger Weg, der um einen Schacht herumlief. Und am oberen Ende des Schachts, ein paar tausend Meter über dem festem Boden, hing der Aufzug. Er schwankte ein wenig.

Richard holte tief Luft und trat auf den hölzernen Sims. Dann schaute er, obwohl er wußte, daß das keine gute Idee war, hinab. Zwischen ihm und dem Felsboden, Tausende von Metern weiter unten, war nichts als ein Holzbrett.

Eine lange Planke führte von dem Sims, auf dem sie standen, zum oberen Ende der drei Meter entfernten Felsstraße.

»Und ich schätze«, sagte er, erheblich weniger unbekümmert, als er vorgehabt hatte, »dies ist auch kein guter Zeitpunkt, um darauf hinzuweisen, daß ich schreckliche Höhenangst habe.«

»Es ist ungefährlich«, sagte Lamia. »Oder zumindest war es das das letzte Mal, als ich hier war. Schauen Sie.«

Sie ging über das Brett, ein Rascheln schwarzen Samtes. Sie hätte ein Dutzend Bücher auf ihrem Kopf balancieren können, ohne eins davon fallenzulassen. Als sie den Steinweg erreicht hatte, blieb sie stehen, drehte sich um und lächelte ihnen ermutigend zu.

Hunter folgte ihr hinüber, wandte sich dann um und wartete neben ihr am Rand.

»Siehst du?« sagte Door. Sie streckte die Hand aus und drückte Richards Arm. »Alles in Ordnung.«

Richard nickte und schluckte. In Ordnung.

Door ging hinüber. Es schien ihr keinen Spaß zu machen, aber sie ging trotzdem.

Die drei Frauen warteten auf Richard, der einfach dastand. Er stellte fest, daß er sich offenbar nicht anschickte, die Holzplanke zu überqueren, trotz der ›Gehen!‹-Kommandos, die er an seine Beine sandte.

Hoch über ihnen wurde ein Knopf gedrückt.

Richard hörte das Klonk und das entfernte Knirschen eines alten Elektromotors. Die Tür des Aufzugs knallte zu, so daß Richard nun ohne einen Halt auf einer schmalen hölzernen Plattform stand, die nicht breiter war als die Planke selbst.

»Richard!« schrie Door. »Beweg dich!«

Der Aufzug begann nach oben zu entschwinden. Richard trat von der wackligen Plattform auf das Holzbrett, dann spürte er, wie seine Beine unter ihm nachgaben, und schon klammerte er sich mit allen vieren an die Planke und fürchtete um sein liebes Leben.

In seinem Verstand funktionierte noch ein winziger, rationaler Teil, der über den Aufzug nachgrübelte: Wer hatte ihn wieder hochgeholt, und warum? Der Rest seines Hirns war jedoch damit beschäftigt, all seinen Gliedmaßen zu befehlen, die Planke fest zu umklammern, und so laut zu schreien, wie es seiner geistigen Stimme möglich war: »Ich will nicht sterben!« Richard schloß die Augen, so fest er konnte, denn er war sicher, wenn er sie öffnete und die Felswand unter sich sah, würde er die Planke einfach loslassen und fallen und fallen und –

»Ich habe keine Angst vorm Fallen«, sagte er sich. »Wovor ich Angst habe, ist der Teil, an dem man aufhört zu fallen und anfängt, tot zu sein.« Aber er wußte, daß er sich etwas vormachte. Es war das Fallen, wovor er sich fürchtete – hilflos rudernd durch die Luft zu segeln, zu wissen, daß es nichts gab, was er tun konnte, daß kein Wunder ihn retten würde …

Langsam wurde ihm bewußt, daß jemand mit ihm redete.

»Klettere einfach die Planke entlang, Richard«, sagte jemand.

»Ich … kann nicht«, flüsterte er.

»Du hast Schlimmeres durchgemacht, um an den Schlüssel zu kommen, Richard«, sagte jemand. Es war Door.

»Ich habe wirklich Höhenangst«, sagte er trotzig, das Gesicht gegen das Holzbrett gepreßt. Dann: »Ich will nach Hause.«

Er spürte, wie sich das Holz der Planke an sein Gesicht drückte.

Und dann begann die Planke zu wackeln.

Hunters Stimme sagte: »Ich weiß nicht, welche Last das Brett tragen kann. Sie beide stellen sich zum Ausgleich hier hin.«

Die Planke vibrierte, während sich jemand in Richtung auf ihn zu darauf entlangbewegte. Er umklammerte sie mit geschlossenen Augen. Dann sagte Hunter leise und zuversichtlich in sein Ohr: »Richard?«

»Mm.«

»Schieben Sie sich einfach vorwärts, Richard. Stück für Stück. Kommen Sie …« Ihre Karamelfinger streichelten seine Hand, die sich um die Planke krampfte. »Kommen Sie.« Er holte tief Luft, und schob sich ein kleines Stück vorwärts. Und erstarrte wieder.

»Das machen Sie gut«, sagte Hunter. »Sehr gut. Weiter. «

Und Zentimeter für Zentimeter ließ sich Richard von ihr überreden, die Planke entlangzukriechen, und dann, an deren Ende, schob sie ihm einfach die Hände unter die Arme, hob ihn hoch und stellte ihn auf festen Boden.

»Danke«, sagte er. Ihm fiel nichts anderes ein, was dem, was sie gerade für ihn getan hatte, angemessen gewesen wäre. Er sagte es noch einmal. »Danke.« Und dann sagte er zu allen: »Es tut mir leid.«

Door schaute zu ihm auf. »Schon gut«, sagte sie. »Du bist jetzt in Sicherheit.«

Richard sah die spiralförmige Straße unter der Welt an, die sich tiefer und tiefer wand; und er sah Hunter und Door und Lamia an; und er lachte, bis ihm die Tränen kamen.

»Was«, fragte Door schließlich, »ist denn so lustig?«

»›In Sicherheit!‹« sagte er.

Door starrte ihn an, und dann lächelte auch sie.

»Und wo gehen wir jetzt hin?« fragte Richard.

»Hinunter«, sagte Lamia.

Sie begannen, die Down Street hinabzugehen. Hunter marschierte voran, mit Door an ihrer Seite. Richard ging neben Lamia her, atmete ihren Duft nach Maiglöckchen und Geißblatt ein und genoß ihre Gesellschaft.

»Ich bin wirklich froh, daß Sie mit uns gekommen sind«, erklärte er. »Als Fremdenführerin. Ich hoffe, daß Ihnen das kein Unglück bringt oder so.«

Sie fixierte ihn mit ihren fingerhutfarbenen Augen. »Warum sollte es mir Unglück bringen?«