Er bog um eine Ecke, und er sah sie.
»Hunter! Door!« keuchte er atemlos. »Halt! Vorsicht!«
Door drehte sich um.
Mr. Croup und Mr. Vandemar traten hinter einem Pfeiler hervor. Mr. Vandemar riß Door die Hände auf den Rücken und fesselte sie mit einem Nylonstreifen.
Mr. Croup hatte etwas Langes und Dünnes in einer braunen Stoffhülle in der Hand. In solchen Hüllen hatte Richards Vater immer seine Angeln transportiert.
Hunter stand mit offenem Mund da.
»Hunter! Schnell!«
Sie schoß herum und trat zu, mit einer weichen, fast tänzerischen Bewegung.
Ihr Fuß traf Richard direkt in den Magen. Er fiel zu Boden, nach Luft ringend und verletzt.
»Hunter?« keuchte er.
»Ich fürchte, ja«, sagte Hunter.
Mr. Croup und Mr. Vandemar beachteten Richard und Hunter gar nicht. Mr. Vandemar schnürte Doors Arme zusammen, während Mr. Croup dastand und zusah.
»Betrachten Sie uns nicht als Mörder, Miss«, warf Mr. Croup im Plauderton hin. »Betrachten Sie uns als einen Escort Service.«
»Bloß ohne Busen«, sagte Mr. Vandemar.
Mr. Croup drehte sich zu Mr. Vandemar um. »Escort im Sinne von Begleitung, Mister Vandemar. Damit unsere feine Lady sicher dort ankommt, wo sie hinwill. Ich wollte Sie weder auf eine Stufe mit einer Schönen der Nacht noch mit einer gemeinen Straßendirne stellen.«
Mr. Vandemar war hartnäckig. »Sie haben gesagt, wir seien ein Escort Service«, murmelte er. »Ich weiß, was das ist.«
»Tun Sie so, als hätte ich nichts gesagt, Mister Vandemar. Ich habe mich versprochen. Von jetzt an sind wir Gesellschafter. Beschützer. Begleiter.«
Mr. Vandemar kratzte sich mit einem Rabenschädelring die Nase. »Na gut«, sagte er.
Mr. Croup wandte sich wieder zu Door um und lächelte, wobei er viele Zähne zeigte. »Da sehen Sie’s, Lady Door. Wir werden aufpassen, daß Sie Ihr Ziel sicher erreichen.«
Door beachtete ihn nicht. »Hunter«, rief sie. »Was geht hier vor?«
Mr. Croup strahlte stolz. »Bevor Hunter eingewilligt hat, für Sie zu arbeiten, hat sie eingewilligt, für unseren Auftraggeber zu arbeiten. Indem sie sich um Sie kümmert.«
»Wir haben’s Ihnen ja gesagt«, frohlockte Mr. Vandemar. »Wir haben Ihnen gesagt, daß einer von Ihnen ein Verräter ist.« Er warf den Kopf in den Nacken und heulte wie ein Wolf.
»Ich dachte, Sie meinten den Marquis«, sagte Door.
Mr. Croup kratzte sich theatralisch am Kopf. »Apropos: Ich möchte wissen, wo der Marquis ist. Wir haben ihn so lange nicht gesehen, daß die Erinnerung an ihn bereits geradezu verblichen ist, nicht wahr, Mister Vandemar? «
»Allerdings, Mister Croup. So verblichen wie er selbst.«
»Dann werden wir ihn von jetzt an den verblichenen Marquis de Carabas nennen müssen. Ich fürchte, er ist ein ganz klein wenig – «
»Mausetot«, beendete Mr. Vandemar den Satz.
Richard, der sich japsend auf dem Boden gewunden hatte, schaffte es, seine Lungen mit genug Luft zu füllen, um zu keuchen: »Sie gemeine Verräterin!«
Hunter warf einen Blick auf den Boden. »Nichts für ungut«, murmelte sie.
»Der Schlüssel, den Sie von den Black Friars erhalten haben«, sagte Mr. Croup zu Door. »Wer hat den?«
»Ich«, japste Richard. »Sie können mich durchsuchen, wenn Sie wollen.« Er fischte in seinen Taschen herum – wobei er etwas Hartes und Ungewohntes in seiner Gesäßtasche bemerkte, doch er hatte nicht die Zeit, das jetzt näher zu untersuchen – und zog den Haustürschlüssel zu seiner alten Wohnung hervor. Er rappelte sich auf und stolperte hinüber zu Mr. Croup und Mr. Vandemar. »Hier.«
Mr. Croup streckte die Hand aus und nahm ihm den Messingschlüssel ab. »Potzblitz«, sagte er, ohne überhaupt richtig hinzusehen. »Fast wäre ich diesem äußerst raffinierten Trick aufgesessen, Mister Vandemar.« Er gab den Schlüssel Mr. Vandemar, der ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hochhielt und dann zerknüllte wie Alufolie. »Pech gehabt, Mister Croup«, sagte er.
»Tun Sie ihm weh, Mister Vandemar«, sagte Mr. Croup.
»Mit Vergnügen, Mister Croup«, sagte Mr. Vandemar, und er trat Richard gegen die Kniescheibe. Richard fiel zu Boden und umklammerte sein Knie, das höllisch weh tat.
Wie aus weiter Ferne hörte er Mr. Vandemars Stimme. Er schien ihm einen Vortrag zu halten. »Die Leute glauben immer, je stärker man zutritt, desto mehr tut es weh«, sagte Mr. Vandemars Stimme. »Aber nicht, wie stark man zutritt, ist wichtig, sondern, wo man hintritt. Also, dies ist wirklich ein sehr sanfter Tritt – «
– etwas donnerte in Richards linke Schulter. Sein linker Arm wurde taub, und eine Blüte des Schmerzes öffnete sich in seiner Schulter. Es fühlte sich an, als stünde sein ganzer Arm in Flammen und würde gleichzeitig vereist, als ob ihm jemand ein Elektroschockgerät tief ins Fleisch gestoßen und den Strom so weit aufgedreht hätte, wie es ging. Er wimmerte. vor sich hin. Und Mr. Vandemar sagte derweiclass="underline"
»… aber er tut genauso weh wie dieser – der doch viel härter ist – «
Der Stiefel schoß wie eine Kanonenkugel in Richards Flanke. Er hörte sich schreien und schluchzen, und er wünschte, er hätte eine Idee, wie er damit aufhören konnte.
»Ich habe den Schlüssel«, hörte er Door sagen.
»Wenn Sie ein Schweizer Armeemesser hätten«, sagte Mr. Vandemar zuvorkommend zu Richard, »könnte ich Ihnen zeigen, was Sie mit all den Teilen daran anfangen können. Sogar mit dem Flaschenöffner und dem Ding, mit dem man Steinchen aus Pferdehufen entfernt.«
»Lassen Sie ihn in Ruhe, Mister Vandemar. Für Schweizer Armeemesser bleibt immer noch genug Zeit. Hat sie den Talisman?«
Mr. Croup durchsuchte Doors Taschen und nahm die geschnitzte Obsidianfigur heraus: das winzige Ungeheuer.
Hunters Stimme klang tief und voll. »Was ist mit mir? Wo bleibt mein Lohn?«
Mr. Croup schniefte. Er warf ihr die Angelhülle zu. Sie fing sie mit einer Hand auf.
»Waidmannsheil«, sagte Mr. Croup. Dann drehten er und Mr. Vandemar sich um und gingen, Door in der Mitte zwischen sich, die Spirale der Down Street hinab.
Hunter kniete sich auf den Boden und begann, die Riemen an der Hülle zu lösen. Ihre Augen waren groß und glänzend. Richard lag am Boden und sah ihr zu.
»Was ist das?« fragte er. »Dreißig Silberlinge?«
Sie zog es langsam aus der Stoffhülle, und ihre Finger liebkosten es, streichelten es. Liebten es.
»Ein Speer«, antwortete sie.
Er bestand aus einem bronzefarbenen Metall; die Klinge war lang und gebogen wie ein Kris, scharf auf der einen Seite, gezackt auf der anderen; in die Seite des Hefts, das grün vor Grünspan und mit fremdartigen Zeichnungen und seltsamen Schnörkeln verziert war, waren Gesichter eingraviert. Er war von der Spitze der Klinge bis zum Ende des Hefts etwa eineinhalb Meter lang. Hunter berührte ihn beinahe ehrfürchtig, als sei er das Schönste, was sie je gesehen hatte.
»Sie haben Door für einen Speer ans Messer geliefert«, sagte Richard.
Sie sagte nichts. Sie leckte mit ihrer rosa Zunge ihren Finger an und fuhr dann sanft damit an der Klinge entlang, um die Schneide zu prüfen; und sie war zufrieden mit dem, was sie fühlte.
»Werden Sie mich töten?« fragte er.
Da wandte sie den Kopf und sah ihn an. Sie wirkte lebendiger, als er sie je gesehen hatte; schöner und gefährlicher. »Was sollte mich daran reizen, Sie zu jagen, Richard Mayhew? Auf mich wartet eine größere Beute.«
»Das ist der Speer, mit dem Sie das Große Ungeheuer von London jagen wollen, nicht wahr?«
Sie sah den Speer auf eine Weise an, wie keine Frau Richard je angesehen hatte. »Es heißt, er sei unschlagbar.«