»Foltern sollten«, kam ihm Mr. Vandemar zur Hilfe.
»Wir sind«, sagte Mr. Croup, »schließlich in der gesamten Schöpfung bekannt für unsere großartige Beherrschung der Folterkunst.«
»Können gut Leuten wehtun«, erklärte Mr. Vandemar.
Der Engel fuhr fort, als hätte er keinen von beiden gehört. »Doch Miss Door scheint mir kein Mensch zu sein, der sich leicht eines besseren belehren läßt.«
»Geben Sie uns genug Zeit«, sagte Mr. Croup. »Dann brechen wir sie.«
»In nasse kleine Teile«, sagte Mr. Vandemar.
Islington schüttelte den Kopf und lächelte nachsichtig über diese unverhohlene Begeisterung. »Keine Zeit«, sagte er zu Richard, »keine Zeit. Allerdings scheint sie mir ein Mensch zu sein, der etwas unternehmen würde, um die Schmerzen und Leiden eines Freundes zu beenden, eines anderen Sterblichen, wie du einer bist, Richard …«
Und schon schlug Mr. Croup Richard in den Magen.
Richard klappte zusammen. Er spürte Mr. Vandemars Finger im Nacken, die ihn wieder emporzogen.
»Aber das ist ungerecht«, sagte Door.
Islington wirkte nachdenklich. »Ungerecht?« sagte er, als ob er versuchte, sich daran zu erinnern, was das bedeutete.
Mr. Croup wandte sich Richard zu. »Er ist mittlerweile soweit jenseits von Recht und Unrecht, daß er sie nicht einmal an einem schönen, klaren Abend mit einem Teleskop erkennen könnte«, sagte er. »Nun, Mister Vandemar, wenn Sie den Anfang machen würden?« Mr. Vandemar nahm Richards linke Hand in die seine. Er fand Richards kleinen Finger und bog ihn mit einer schnellen Bewegung nach hinten, bis er brach.
Richard schrie auf.
Der Engel drehte sich langsam um. Etwas schien ihm Kopfzerbrechen zu bereiten. Er blinzelte mit seinen dunklen Augen. »Es ist noch jemand draußen. Mister Croup?«
Dort, wo Mr. Croup gewesen war, schimmerte es dunkel, und schon war er nicht mehr dort.
Der Marquis de Carabas preßte sich an den Granitfelsen und schaute die Eichentüren an, die zu Islingtons Höhle führten. Pläne und Szenarien wirbelten ihm durch den Kopf. Er hatte eigentlich gedacht, er würde wissen, was zu tun sei, wenn er diesen Punkt erreicht hatte, und jetzt stellte er mit Abscheu fest, daß er nicht die geringste Ahnung hatte. Es gab keine Gefallen mehr einzufordern, keine Hebel zu betätigen, keine Knöpfe zu drücken.
Und so starrte er die Türen an. Vielleicht würde ihm etwas einfallen. Zumindest hatte er das Überraschungsmoment auf seiner Seite.
Und dann spürte er eine Messerklinge an seiner Kehle, und er hörte Mr. Croups ölige Stimme an seinem Ohr.
»Ich habe Sie heute schon einmal getötet«, sagte dieser. »Warum sind manche Leute bloß so begriffsstutzig?«
Richard trug bereits Handschellen und war zwischen zwei Eisenpfeiler gekettet, als Mr. Croup zurückkehrte, der dem Marquis das Messer zwischen die Rippen bohrte.
Der Engel schaute den Marquis an und schüttelte dann sanft seinen schönen Kopf. »Sie haben mir gesagt, er sei tot«, sagte er mahnend.
»Ist er auch«, erwiderte Mr. Vandemar.
»War er«, verbesserte Mr. Croup.
Die Stimme des Engels war jetzt einen Hauch weniger sanft und weniger liebevoll. »Ich lasse es nicht zu, daß man mich anlügt«, sagte er.
»Wir lügen nicht«, entgegnete Mr. Croup beleidigt.
»Doch«, sagte Mr. Vandemar.
Mr. Croup fuhr sich aufgebracht mit seiner schmutzigen Hand durch das schmierige Haar. »Natürlich lügen wir. Aber nicht dieses Mal.«
Der Schmerz in Richards Hand machte keine Anstalten, abzuflauen. »Wie können Sie nur so etwas tun?« fragte er zornig. »Sie sind ein Engel.«
»Was habe ich Ihnen gesagt, Richard?« fragte der Marquis trocken.
Richard dachte nach. »Sie haben gesagt, auch Luzifer sei ein Engel gewesen.«
Islington begann zu lachen. »Luzifer? Luzifer war ein Idiot. Er hat es zum Herrscher über nichts und niemanden gebracht.«
Der Marquis grinste. »Und Sie haben es zum Herrscher über zwei Schurken und einen Raum voller Kerzen gebracht?«
Der Engel leckte sich die Lippen. »Sie haben mir gesagt, das sei meine Strafe für Atlantis. Ich habe ihnen erklärt, daß ich getan habe, was ich konnte. Die ganze Sache ist …«, er suchte nach dem passenden Wort, »unglücklich gelaufen.«
»Aber Millionen von Menschen sind dabei umgekommen«, sagte Door.
Islington faltete die Hände vor der Brust, als ob er Modell für eine Weihnachtskarte stünde. »So etwas kann passieren«, räsonierte er. »Jeden Tag gehen Städte unter.«
»Und Sie hatten nichts damit zu tun?« fragte der Marquis milde.
Trotz all der furchterregenden Dinge, die Richard in letzter Zeit erlebt hatte, war dies das Furchterregendste, was er je gesehen hatte: Die heitere Schönheit des Engels bekam Risse; seine Augen blitzten, und wahnsinnig und unbeherrscht schrie er sie an. »Sie hatten es verdient.«
Es war, als hätte man einen Deckel gelüftet, unter dem sich ein dunkles, sich windendes Etwas verbarg: ein Ort des Irrsinns und der Wut und der Bösartigkeit.
Es folgte ein Moment des Schweigens. Und dann senkte der Engel den Kopf, hob ihn wieder und sagte leise und bedauernd: »So etwas kommt vor.« Er zeigte auf den Marquis. »Legt ihn in Ketten.«
Croup und Vandemar befestigten Handschellen an den Handgelenken des Marquis und ketteten sie an die Pfeiler neben Richard fest. Der Engel hatte seine Aufmerksamkeit wieder Door zugewandt. Er ging zu ihr, streckte seine Hand aus, legte sie ihr unters Kinn und hob ihren Kopf, um ihr in die Augen zu schauen. »Deine Familie«, sagte er sanft. »Du kommst aus einer sehr bemerkenswerten Familie. Sehr bemerkenswert.«
»Warum haben Sie uns dann töten lassen?«
»Nicht alle«, sagte er. Richard dachte, er meinte Door, doch dann sagte er: »Ich mußte immerhin damit rechnen, daß du doch nicht so gut … funktionieren würdest.«
Er ließ ihr Kinn los und streichelte ihr mit langen, weißen Fingern übers Gesicht, und er sagte: »Deine Familie kann Türen öffnen. Sie kann Türen schaffen, wo keine waren. Sie kann Türen entriegeln, die verriegelt sind. Türen öffnen, die niemals geöffnet werden sollten.« Er fuhr mit den Fingern ihren Hals entlang, sanft, als ob er sie liebkoste, und dann schloß er die Hand um den Schlüssel.
»Als ich hier eingesperrt wurde, gaben sie mir die Tür zu meinem Gefängnis. Und sie nahmen den Schlüssel zu der Tür und hinterlegten ihn ebenfalls hier. Eine höchst raffinierte Foltermethode.«
Er zupfte sacht an der Kette und zog sie unter Doors Schichten von Seide und Baumwolle und Spitze hervor, bis ihr silberner Schlüssel zum Vorschein kam; und dann fuhr er mit den Fingern am Schlüssel entlang wie bei einem Liebesspiel.
Da wußte Richard Bescheid. »Die Black Friars haben ihn vor Ihnen beschützt«, sagte er.
Islington ließ den Schlüssel los. Neben Door befand sich die Tür aus Feuerstein und Silber. Dorthin ging der Engel. Er legte eine Hand darauf, weiß gegen die Schwärze der Tür.
»Vor mir«, bestätigte er. »Ein Schlüssel. Eine Tür. Ein Türöffner. Diese drei Dinge müssen vorhanden sein, versteht ihr – ein besonders ausgeklügelter Witz. Sie hatten sich gedacht, wenn sie der Meinung seien, daß ich mir die Begnadigung und meine Freiheit verdient habe, schicken sie mir einen Öffner und geben mir den Schlüssel. Ich habe nur beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und jetzt gehe ich eben ein bißchen früher.«
Er wandte sich wieder zu Door. Noch einmal streichelte er den Schlüssel. Dann schloß er die Hand darum und zog heftig daran. Die Kette riß. Door zuckte zusammen.
»Zuerst habe ich mit deinem Vater gesprochen, Door«, fuhr der Engel fort. »Er machte sich Sorgen um die Unterseite. Er wollte Unter-London vereinen, die Baronien und Lehnsgüter – vielleicht sogar irgendein Bündnis mit Ober-London schließen. Ich habe ihm gesagt, ich würde ihm helfen, wenn er mir helfen würde. Doch als ich ihm sagte, welche Hilfe ich benötigte, lachte er mich aus.« Er wiederholte die Worte, als könne er sie immer noch nicht glauben. »Er lachte. Mich aus.«