»Also«, sagte er schließlich. »Es war sehr nett, dich kennengelernt zu haben.«
Sie blinzelte heftig. Er fragte sich, ob sie ihm wieder sagen würde, sie hätte etwas im Auge. Statt dessen fragte sie: »Bist du bereit?«
Er nickte.
»Hast du den Schlüssel?«
Er setzte seine Tasche ab und wühlte mit seiner gesunden Hand in seiner Gesäßtasche. Er nahm den Schlüssel und gab ihn ihr. Sie hielt ihn vor sich, als steckte sie ihn in eine imaginäre Tür.
»Gut«, sagte sie. »Geh einfach los. Schau dich nicht um.«
Er begann, einen kleinen Hügel hinabzugehen. Eine Möwe sauste vorbei.
Am Fuß des Hügels schaute er sich um. Sie stand oben auf dem Hügel, eine Silhouette vor der aufgehenden Sonne. Ihre Wangen glitzerten.
Das orange Sonnenlicht blitzte auf dem Schlüssel.
Door drehte ihn um, mit einer einzigen, entschiedenen Bewegung.
Die Welt wurde dunkel, und ein leises Dröhnen füllte Richards Kopf, wie das zornige Grollen von tausend wütenden Ungeheuern.
Kapitel Zwanzig
Die Welt wurde dunkel, und ein leises Dröhnen füllte Richards Kopf, wie das zornige Grollen von tausend wütenden Ungeheuern.
Er blinzelte in die Dunkelheit und hielt seine Tasche fest. Er fragte sich, ob es dumm von ihm gewesen war, das Messer wegzustecken.
Menschen drängelten sich an ihm vorbei. Richard zuckte vor ihnen zurück. Vor ihm befand sich eine Treppe. Er begann die Stufen emporzusteigen. Und während er das tat, löste die Welt sich auf und nahm neue Gestalt an. Das Grollen war der Verkehrslärm, und er tauchte aus einer Unterführung am Trafalgar Square auf.
Es war der Vormittag eines warmen Oktobertags, und er stand auf dem Platz, die Tasche in der Hand, und blinzelte ins Licht. Taxis und rote Busse und Autos jagten röhrend um den Platz herum, und Touristen warfen Taubenfutter für die Unmengen von pummeligen Tauben auf den Boden und fotografierten das Nelson-Denkmal und die riesigen Landseer-Löwen, die es flankierten.
Der Himmel war von dem vollkommenen, ungetrübten Blau eines Fernsehbildschirms, der auf einen leeren Kanal eingestellt war.
Er ging über den Platz und fragte sich, ob er selbst real war oder nicht. Die japanischen Touristen ignorierten ihn. Er versuchte, ein hübsches Mädchen anzusprechen, das lachte und etwas in einer Sprache sagte, die Richard für Italienisch hielt, doch in Wirklichkeit war es Finnisch.
Ein kleines Kind unbestimmten Geschlechts starrte ein paar Tauben an, während es mit dem Mund einen Schokoriegel vernichtete. Er hockte sich neben es.
»Ähm. Hallo, Kleines«, sagte Richard.
Das Kind lutschte konzentriert an seinem Schokoriegel und verriet mit keiner Reaktion, daß es Richard als menschliches Wesen erkannte.
»Hallo«, sagte Richard, und ein leichter Hauch von Verzweiflung stahl sich in seine Stimme. »Kannst du mich sehen? Kleines? Hallo?«
Zwei kleine Augen funkelten ihn wütend aus einem schokoladenverschmierten Gesicht an. Und dann ergriff das Kind die Flucht, schlang die Arme um die Beine der nächsten erwachsenen weiblichen Person und sagte: »Mami? Der Mann macht mir angst. Er macht mir angst, Mami. «
Wie eine Furie ging die Mutter des Kindes auf Richard los. »Was soll das?« fragte sie. »Was wollen Sie von unserer Leslie? Leute wie Sie sollte man einsperren.«
Richard begann zu lächeln. Es war ein riesiges und glückliches Lächeln. Dieses Lächeln wäre nicht mal erstorben, wenn man Richard einen Backstein auf den Hinterkopf geschlagen hätte.
»Es tut mir wirklich entsetzlich leid«, sagte er und grinste dabei wie eine Cheshire-Katze.
Und dann rannte er, seine Tasche fest in der Hand, über den Trafalgar Square, begleitet von dem plötzlichen Geflatter von Tauben, die sich aufgeschreckt in die Luft erhoben.
Er nahm seine Bankkarte aus der Brieftasche und steckte sie in den Geldautomaten.
Der Automat erkannte seine vierstellige Geheimzahl, wies ihn an, sie vor jedermann geheimzuhalten, und fragte, was er für ihn tun könne.
Richard bat um Bargeld, und er bekam reichlich davon. Er boxte vor Freude in die Luft und tat dann verlegen so, als habe er einem Taxi gewunken.
Daraufhin hielt ein Taxi vor ihm – es hielt! – vor ihm! –, und er stieg ein und setzte sich auf den Rücksitz und strahlte. Er sagte dem Fahrer, er solle ihn ins Büro bringen. Und als dieser ihn darauf hinwies, daß er zu Fuß fast schneller dort wäre, grinste Richard noch breiter, und er bat – bettelte den Taxifahrer praktisch an, ihn, Richard, mit seinen Ansichten zu den Themen Innerstädtische Verkehrsprobleme, Wie man am besten mit der Kriminalität fertig wird und Heikle Politische Themen des Tages zu ergötzen.
Der Taxifahrer unterstellte Richard, er würde ihn ›auf den Arm nehmen‹, und schmollte auf der ganzen fünfminütigen Fahrt bis zum Strand. Richard kümmerte das nicht. Er gab dem Mann trotzdem ein unglaublich hohes Trinkgeld.
Und dann ging er in sein Büro.
Als er das Gebäude betrat, spürte er, wie das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. Mit jedem Schritt wurde er ängstlicher, beklommener. Was, wenn er noch immer keinen Job mehr hatte? Was, wenn kleine, schokoladenverschmierte Kinder und Taxifahrer ihn sehen konnten, er jedoch für seine Kollegen unsichtbar blieb? Was, wenn …
Mr. Figgis, der Pförtner, schaute von einem Sexy-Lolitas-Club- Heft auf, das er in seiner Sun versteckt hatte, und er schniefte.
»Morgen, Mister Mayhew«, sagte er. Es war kein einladendes ›Morgen‹. Es war ein ›Morgen‹, das besagte, daß es dem Sprecher gleichgültig war, ob der Empfänger lebte oder starb – ganz zu schweigen davon, ob es überhaupt Morgen war.
»Figgis!« rief Richard vergnügt. »Auch Ihnen einen guten Morgen, Mister Figgis, Sie Ausnahmeportier!«
Niemand hatte je so etwas zu Mr. Figgis gesagt, nicht einmal die nackten Damen seiner Fantasie. Er starrte Richard mißtrauisch an, bis er im Aufzug war und aus dem Blickfeld verschwand. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den sexy Lolitas zu, von denen, wie ihm langsam der Verdacht kam, keine unter neunundzwanzig war, Lollis hin, Lollis her.
Richard stieg aus dem Aufzug und ging zögernd den Korridor entlang.
Alles wird gut, sagte er sich, wenn bloß mein Schreibtisch da ist. Wenn mein Schreibtisch da ist, wird alles gut.
Er betrat das Großraumbüro, in dem er drei Jahre lang seinem Job nachgegangen war. Menschen arbeiteten an Schreibtischen, führten Telefongespräche, wühlten in Aktenschränken, tranken schlechten Tee und noch schlechteren Kaffee. Es war sein Büro.
Und da war die Stelle am Fenster, wo einmal sein Schreibtisch gestanden hatte, die jetzt von einer grauen Ansammlung von Aktenschränken und einer Yucca-Palme eingenommen wurde.
Er wollte sich gerade umdrehen und weglaufen, als ihm jemand einen Styroporbecher mit Tee reichte.
»Die Rückkehr des verlorenen Sohns, he?« sagte Garry. »Hier, nimm.«
»Hallo, Garry«, sagte Richard. »Wo ist mein Schreibtisch?«
»Hier entlang«, antwortete Garry. »Wie war’s denn so auf Mallorca?«
»Mallorca?«
»Fährst du nicht immer nach Mallorca?« fragte Garry. Sie gingen die Treppe hinauf, die zum dritten Stock führte.
»Diesmal nicht«, erwiderte Richard.
»Ich wollt’ schon sagen«, sagte Garry. »Braun bist du nicht gerade geworden.«
»Nein«, pflichtete Richard ihm bei. »Na ja. Du weißt schon. Ich hatte mal ein bißchen Veränderung nötig.«
Garry nickte. Er deutete auf eine Tür, die, solange Richard dort arbeitete, die Tür zum Raum für die Chefakten und das Büromaterial gewesen war.