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Friedrich Nietzsche

Nietzsche kontra Wagner

VORWORT

Die folgenden Kapitel sind sämtlich aus meinen älteren Schriften nicht ohne Vorsicht ausgewählt — einige gehn bis auf 1877 zurück — , verdeutlicht vielleicht hier und da, vor allem verkürzt. Sie werden, hintereinander gelesen, weder über Richard Wagner, noch über mich einen Zweifel lassen: wir sind Antipoden. Man wird auch noch andres dabei begreifen, zum Beispiel, daß dies ein Essay für Psychologen ist, aber nicht für Deutsche… Ich habe meine Leser überall, in Wien, in St. Petersburg, in Kopenhagen und Stockholm, in Paris, in New York — ich habe sie nicht in Europas Flachland Deutschland… Und ich hätte vielleicht auch den Herrn Italienern ein Wort ins Ohr zu sagen, die ich liebe, ebenso sehr als ich… Quousque tandem, Crispi… Triple alliance: mit dem «Reich» macht ein intelligentes Volk immer nur eine mésalliance…

Turin, Weihnachten 1888

Friedrich Nietzsche

WO ICH BEWUNDERE

Ich glaube, daß die Künstler oft nicht wissen, was sie am besten können: sie sind zu eitel dazu. Ihr Sinn ist auf etwas Stolzeres gerichtet als diese kleinen Pflanzen zu sein scheinen, welche neu, seltsam und schön, in wirklicher Vollkommenheit auf ihrem Boden zu wachsen wissen. Das letzthin Gute ihres eignen Gartens und Weinbergs wird von ihnen obenhin abgeschätzt, und ihre Liebe und ihre Einsicht sind nicht gleichen Ranges. Da ist ein Musiker, der mehr als irgend ein Musiker seine Meisterschaft darin hat, die Töne aus dem Reich leidender, gedrückter, gemarterter Seelen zu finden und auch noch dem stummen Elend Sprache zu geben. Niemand kommt ihm gleich in den Farben des späten Herbstes, dem unbeschreiblich rührenden Glück eines letzten, allerletzten, allerkürzesten Genießens, er kennt einen Klang für jene heimlich-unheimlichen Mitternächte der Seele, wo Ursache und Wirkung aus den Fugen gekommen zu sein scheinen und jeden Augenblick etwas «aus dem Nichts» entstehen kann. Er schöpft am glücklichsten von allen aus dem untersten Grunde des menschlichen Glücks und gleichsam aus dessen ausgetrunkenem Becher, wo die herbsten und widrigsten Tropfen zu guter- und böserletzt mit den süßesten zusammengelaufen sind. Er kennt jenes müde Sich Schieben der Seele, die nicht mehr springen und fliegen, ja nicht mehr gehen kann; er hat den scheuen Blick des verhehlten Schmerzes, des Verstehens ohne Trost, des Abschiednehmens ohne Geständnis; ja als Orpheus alles heimlichen Elends ist er größer als irgend einer, und manches ist durch ihn überhaupt erst der Kunst hinzugefügt worden, was bisher unausdrücklich und selbst der Kunst unwürdig erschien — die zynischen Revolten zum Beispiel, deren nur der Leidendste fähig ist, insgleichen manches ganz Kleine und Mikroskopische der Seele, gleichsam die Schuppen ihrer amphibischen Natur — , ja er ist der Meister des ganz Kleinen. Aber er will es nicht sein! Sein Charakter liebt vielmehr die großen Wände und die verwegene Wandmalerei!… Es entgeht ihm, daß sein Geist einen andren Geschmack und Hang — eine entgegengesetzte Optik — hat und am liebsten still in den Winkeln zusammengestürzter Häuser sitzt: da, verborgen, sich selber verborgen, malt er seine eigentlichen Meisterstücke, welche alle sehr kurz sind, oft nur Einen Takt lang, — da erst wird er ganz gut, groß und vollkommen, da vielleicht allein. — Wagner ist einer, der tief gelitten hat — sein Vorrang, vor den übrigen Musikern. Ich bewundere Wagner in allem, worin er sich in Musik setzt. —