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»Nichts, was du tust ... soll angezweifelt werden«, wiederholte Elias mit einer merkwürdigen Erschöpftheit. Er sah aus, als wäre ihm übel.

»Fein. Dann setz dich hin und warte auf meine Rückkehr, Liebling.«

Apolonias Herz gefror zu einem Eisklumpen. Neveras Flüstern rief eine merkwürdige, bizarre Erinnerung in ihr wach; sie empfand ein Gefühl von Angst und Spannung, das sie ganz deutlich kannte, aber nicht zuordnen konnte. Wo hatte sie Nevera nur so flüstern gehört?

»Apolonia.«

Sie fuhr herum - Morbus stand vor ihr.

»Ich habe schon erfahren, was passiert ist.« Er nahm sie am Arm und führte sie den Korridor zurück und die Treppe hinab. Forschend sah sie ihn an. Sein Gesicht gab nichts von seinen Gedanken preis.

»Wie fühlen Sie sich?«

Er lächelte flüchtig und erwiderte ihren Blick, ohne stehen zu bleiben. »Ein wenig ärgerlich, dass der TBK mein Fest gestört hat; ein wenig aufgeregt, weil wir sie nun aufstöbern werden. Und ich bin beeindruckt, dass du den Jungen in deine Gewalt bringen konntest. All meine Dichter zusammen haben es damals nicht geschafft.«

Nichts von seiner eigenartigen Stimmung von vorhin war mehr erkennbar. Er hatte lediglich eine Alkoholfahne und seine Augen wirkten noch träger als sonst.

»Er ist der unschuldige Junge, nicht wahr?«, flüsterte Apolonia, als sie die Haustür erreichten. »Vampa ist der Junge, von dem Sie eben gesprochen haben.«

Morbus blieb stehen und sah sie lange an. »Das ist jetzt nicht wichtig. Heute Nacht finden wir den TBK, danach reden wir über die Dichter.«

Sie traten hinaus und setzten sich links und rechts neben Vampa, der den Kopf hängen ließ und halb ohnmächtig war. Morbus nahm Apolonia die Pistole ab - sie zögerte erst, sie ihm zu geben -, dann richtete er den Lauf locker auf Vampa, räusperte sich und wartete auf Nevera.

Sie erschien kaum eine Minute später, in eine weiße Pelzstola gehüllt, und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Jacobar eilte hinter ihr her und setzte sich ans Steuer. Sie fuhren los. Als Apolonia einen Blick in den Rückspiegel warf, sah sie, dass die Dichter ihnen in zwei weiteren Wagen folgten. Sie zog zitternd die Luft ein.

Die Dunkelheit flitzte an den Fenstern vorbei, der schneebedeckte Weg verwandelte sich im Licht der Scheinwerfer in eine ferne Strömung, die irgendwo tief unter ihnen fortriss.

»Wir werden Collonta kriegen, ich fühle es«, sagte Nevera, die mit starren Augen nach vorne blickte. »Apolonia wird die Prophezeiung erfüllen. Und dann steht uns nichts mehr im Weg.«

Morbus saß gelassen da, die Waffe auf Vampa gerichtet, als wäre sie so harm- und belanglos wie ein Stift, und betrachtete Neveras Nacken. In der Dunkelheit mochte Apolonia sich irren, doch sie glaubte zu sehen, wie er eigentümlich lächelte.

Nacht der Motten

Als sie die Stadt erreichten, herrschte reges Leben auf den Straßen. Fröhliche Menschen riefen sich Glückwünsche fürs neue Jahr zu, tranken miteinander und küssten sich und überall hallte das Heulen von Feuerwerk wider. Vampa war so weit zu sich gekommen, dass er Jacobar einsilbige Anweisungen geben konnte, wohin er fahren sollte. Dabei sah er immer wieder Apolonia aus den Augenwinkeln an, auf der Suche nach Mitleid oder zumindest irgendeiner anderen Gefühlsregung. Apolonia war so weit vor ihm zurückgewichen, wie es auf der Rückbank ging, und versuchte, ihn zu ignorieren. Wieso benahm er sich so eigenartig? Wenn Morbus ihm wirklich alles genommen hatte, sollte er eigentlich nicht sagen können, dass er sie liebte. Er sollte gar keine Gefühle haben, und schon gar nicht für sie! Apolonia presste die Augen zu. Sie wusste gar nicht mehr, was sie denken und tun sollte. So oft hatte sie widersprüchliche Dinge gehört und Verrücktheit erlebt, dass sie selbst schon ganz durcheinander war. Ihre Überzeugung von der Gerechtigkeit ihres Kampfes gegen den TBK hatte sie längst verloren, irgendwo im Chaos der Stimmen, die sie auf verschiedene Seiten riefen. Trotzdem würde sie den TBK vernichten. Sie war zu weit gegangen, um nun stehen zu bleiben. Es gab kein Zurück. An dem Tag, an dem sie eine Dichterin geworden war, war sie in besserer Verfassung für eine Entscheidung gewesen als jetzt. Sie würde ihrem Beschluss von damals mehr trauen als den Zweifeln der Gegenwart.

Sie erreichten das Polizeipräsidium. Eine Einheit von gut hundert Mann wartete bei den Automobilen. Jacobar hielt an und stieg aus. Eiligen Schrittes kam er auf den Inspektor zu, der ihn misstrauisch beäugte. Jacobar zog ein Stück Papier aus seiner Westentasche.

»Keine Sorge«, sagte Morbus, als Apolonia zu einer Frage anhob. »Wir haben eine Kleinigkeit vorbereitet, damit die Polizei uns gehorcht und nicht zu viele Fragen stellt.«

Durch das Fenster beobachtete Apolonia, wie Inspektor Bassar das Papier las, das Jacobar ihm vorhielt. Die beiden Männer standen sich reglos gegenüber; dann drehte Bassar sich zu seinen Kommissaren um und bedeutete ihnen mit einem Wink, in die Wagen zu steigen. Jacobar lief zurück und stopfte das Papier eilig wieder in seine Tasche.

»Was stand drauf?«, fragte Apolonia leise, als sie losfuhren. Die Polizeiwagen folgten ihnen wie dreißig stumme Schatten durch die Straßen.

»Jonathan Morbus gehört unser Gehorsam«, murmelte Nevera. Im Rückspiegel sah Apolonia, dass ihre Tante in sich hineinlächelte. Morbus schien gar nicht hinzuhören und drückte stattdessen Vampa den Revolver ans Ohr. »Also, wo ist der TBK?«

»Im Untergrund«, erwiderte Vampa tonlos.

»Und der Eingang?«

Vampa blickte unruhig zwischen Morbus und Apolonia hin und her. »Was wirst du mit Tigwid machen?«

»Wo ist der Eingang?«, wiederholte Morbus. Apolonia starrte aus dem Fenster. Da hob Vampa matt den Arm und deutete nach vorne. »Gleich hier um die Ecke ist ein Eingang.«

Als sie das leere Haus am Ende der Straße betraten und unter dem Kanaldeckel eine Leiter fanden, nahm Bassar seine Melone ab.

»Der Untergrund ... es gibt ihn wirklich.«

»Schicken Sie Ihre Männer los«, befahl Morbus. Bassar starrte ihn erst an, dann nickte er zerstreut und schickte seine Kommissare und deren Männer hinab. Mebb trat dicht neben Bassar.

»Was ist mit Ihnen los?«, flüsterte sie. »Ich dachte, Morbus ist ...«

»Wir tun, was er sagt«, erwiderte Bassar, und seine Finger verkrampften sich um seinen Hut. Dann setzte er sich die Melone wieder auf und fasste Mebb am Arm. »Kommen Sie. Ich gehe vor.«

Apolonia, die Dichter und Nevera blieben mit Vampa zurück und warteten, bis die Polizisten hinabgestiegen waren. Die Echos, die zu ihnen heraufdrangen, ließen erahnen, wie groß der Raum unten sein musste. Als alle Männer unten waren, stiegen auch sie hinab.

Die Lampen der Polizisten erhellten einen Kanal, der sich zu beiden Seiten in Finsternis verlor. Die Dichter drängten sich mit Vampa bis nach vorne zu Inspektor Bassar. Dann übernahm Vampa die Führung. Als sie eine Viertelstunde unterwegs waren, sagte Morbus zum Inspektor: »Ich denke, wir brauchen mehr Männer. Noch wissen wir nicht, was uns erwartet. Je mehr wir sind, desto besser.«

Bassar zögerte einen Moment, dann drehte er sich zu Mebb um. »Sie haben gehört. Fahren Sie, so schnell Sie können, zum Präsidium zurück und organisieren Sie noch zwei Trupps. Dann kommen Sie wieder her.«

Mebb blähte die Nasenflügel. »Wenn Sie meinen, Herr Inspektor ...«

Sie setzten ihren Weg fort. Vampa ging ihnen voran. Nur die verzweifelten Blicke, die er Apolonia über die Schulter zuwarf, verrieten, dass er sich seines Gefolges noch bewusst war.

Es ging endlos scheinende Steintreppen hinab. Die Polizisten staunten nicht schlecht über die Gewölbe und Hallen - direkt unter ihren Füßen hatte all die Zeit über eine Welt existiert, von der sie nicht die leiseste Ahnung gehabt hatten. Ein wahres Labyrinth aus Gängen erstreckte sich vor ihnen, manche niedrig und schmal wie lang gezogene Särge, andere meterhoch wie die Flure eines versunkenen Palasts. Vampa führte sie zielsicher weiter. Bei der Kreuzung mehrerer Wege begegneten sie das erste Mal Menschen.