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Eine Bande von Räubern war gerade dabei, die Beute aufzuteilen. Der Anblick der riesigen Polizeieinheit traf sie wie ein Schlag; nur einer versuchte zu fliehen und wurde angeschossen, die anderen ergaben sich freiwillig.

Bald wurden die Begegnungen zwischen Verbrechern und Polizisten häufiger und sie fielen blutiger aus. Die Nachricht, dass der Untergrund entdeckt worden war, verbreitete sich durch die Kanalschächte und Katakomben wie Wasser, das sich unbemerkt seinen Weg bahnt. Als Mebb und die neuen Truppen sie einholten, waren alle erleichtert, dass sie rechtzeitig Unterstützung bekommen hatten. Inzwischen hatten sie mehrere Gefangene gemacht. Als ein paar Polizisten flüchtenden Banditen nachrennen wollten, rief Bassar sie energisch zurück. »Wir sind wegen des TBK hier. Die Zerstörung des TBK ist unser Hauptanliegen. Bleibt alle zusammen!«

Morbus nickte Apolonia heimlich zu. Sie starrte den Inspektor an, doch nichts an ihm verriet, dass er manipuliert worden war. Sie schluckte und konnte Morbus’ vertrauenswürdiges Lächeln nicht erwidern.

Bald erreichten sie eine Weggabelung: Vier Stollen lagen vor ihnen, erhellt von Lampen, die immer wieder an- und ausflackerten. Vampa blieb stehen, die Schultern gesenkt, und drehte sich zu Apolonia um.

»Hier lebt Tigwid mit seinen Freunden.«

Morbus trat vor. »Inspektor, ich schlage vor, dass Sie Ihre Männer aufteilen und in jeden dieser Gänge schicken. Die Terroristen sollen nicht getötet werden. Ich schlage vor, dass wir sie auch nicht zur Wache bringen, sondern nach Caer Therin, zu meinem Anwesen. Dort sind die Sicherheitsvorkehrungen genau dem TBK angepasst.«

Ein widerwilliges Zucken glitt über Bassars Gesicht. Dann befahl er seinen Kommissaren, was Morbus vorgeschlagen hatte. Apolonia, Nevera und die Dichter blieben bei Vampa stehen, als die Polizisten in die vier Stollen liefen.

»Heute Nacht ... heute Nacht werden wir ihnen alle Gaben nehmen und den Treuen Bund für immer vernichten.« Nevera trat neben Apolonia und griff ihr mit zitternden Fingern in die Schulter. »Mach dich darauf gefasst, die ganze Nacht hindurch Blutbücher zu schreiben. Und morgen, wenn der Tag anbricht, sind wir die mächtigsten Menschen der Welt.«

Vampa beäugte Nevera aus den Augenwinkeln; dann ergriff er plötzlich Apolonia an den Händen und rief: »Apolonia, die -«

Morbus holte aus und schlug ihm dreimal mit der Pistole gegen den Kopf, bis er zusammensackte und reglos liegen blieb. Apolonia schnappte nach Luft.

»Sie bleiben doch immer gefährlich«, sagte Nevera verächtlich und legte einen Arm um Apolonia.

Endlich konnte sie ihren Blick von Vampa losreißen. Schweigend starrte sie in die Stollen. Lichter und laute Stimmen drangen aus der Ferne zu ihnen. Dann fiel der erste Schuss. Sie zuckte vor Schreck zusammen.

»Ich muss es sehen«, sagte sie und deutete überflüssigerweise in die Gänge. »Ich will den Kampf sehen und mit meinen Gaben eingreifen, wenn nötig.«

»Lieber nicht, Apolonia...«, mahnte Morbus. Nevera sah sie wortlos an.

»Ich bin gleich zurück.« Apolonia drehte sich um und ging in einen der Gänge. Die Lampe knisterte und flimmerte. Für Sekundenbruchteile war alles stockfinster. Als sich Apolonia noch einmal umdrehte, war sie bereits außer Sichtweite der Dichter. Irgendwo ganz nah fielen Schüsse. Schweiß trat ihr auf die Stirn. Sie fühlte sich, als würde sie auf Watte laufen. Was suchte sie überhaupt? Die Antwort lag irgendwo tief in ihr vergraben und vielleicht wollte sie sie gar nicht hören.

Der Gang mündete in eine kleine Steinhalle. Nur das ferne Licht der Gänge, die von hier abzweigten, und die Lampen der Polizisten brachten Helligkeit ins Dunkel. Ein Gefecht war im Gange. Gestalten wurden von den Blauröcken zu Boden gedrückt und in Handschellen gelegt. Hier und dort geschahen eigenartige Dinge mit Polizisten: Manche ließen ihre Pistolen schmerzerfüllt fallen, stolperten drei Meter zurück oder rutschten wie von unsichtbaren Mächten gepackt über den Boden. Apolonia lehnte sich an die modrige Wand und bewegte sich unauffällig auf einen der Gänge zu, ohne den Kampf aus den Augen zu lassen. Eine Kugel bohrte sich direkt neben ihr ins Gestein und sie huschte das letzte Stück in den Gang. Das Echo ihrer raschen Schritte jagte sie voran. Finstere Öffnungen zogen links und rechts vorbei. Überall glaubte sie Gestalten zu sehen, doch es waren nur ihre eigenen Schatten, die bleich und durchsichtig an den Wänden vorbeihetzten. Der Gang wurde immer schmaler. Dann machte er eine Biegung und endete in einer Sackgasse. Im Näherkommen erkannte Apolonia, dass eine Tür in die Wand eingelassen war. Vorsichtig zog sie sie auf.

Vor ihr war eine Holzwand. Nein ... nein, es war die Rückseite eines Möbelstücks, eines Regals. Apolonia fuhr mit den Fingern in eine Kerbe an der Seite und schob die Holzwand zur Seite.

Licht strömte ihr entgegen. Sie betrat ein rundes Zimmer, das von Bücherregalen bedeckt war. Sie blickte empor. Über ihr verloren sich die Regale in Finsternis, keine Decke war zu sehen. Ein Schreibtisch füllte die Mitte des Raumes aus, auf dem lauter seltsame, tickende und schwingende Apparaturen standen. Apolonia kam näher. Das hier war eindeutig das Zimmer einer Motte. Die Runenkarten - das Pendel - die Sanduhr, die sich von selbst umdrehte - das alles kannte Apolonia von ihrer Mutter. Ferne Erinnerungen berührten sie. Es roch sogar nach etwas, das sie aus ihrer Kindheit kannte - ein feiner Duft nach Wüstenerde, nach Rauch und schwersüßen Blüten mischte sich mit dem staubigen Aroma alter Bücher. Ohne dass sie es verhindern konnte, sog sie tief die Luft ein und schloss die Augen. Als sie ausatmete, klang es wie ein zittriges Seufzen.

»Hallo, Apolonia.«

Sie fuhr herum, jeden Muskel gespannt.

Im Raum standen ein alter Mann mit wirrem weißem Haar, der sich auf einen Gehstock stützte, und ein apathisch wirkendes Mädchen. Das Herz schlug Apolonia bis zum Hals, als sie Loreley wiedererkannte. Sie streckte die Hände aus und griff den Mann an.

Er hielt seine Handfläche gegen den Energiestoß. Sein Gesicht zuckte; dann machten seine Finger eine rasche Bewegung und der Angriff verpuffte. Bücher flogen aus den Regalen und stürzten auf den Mann herab. Doch kurz über seinem Kopf machten sie eine abrupte Bewegung, als würden sie an einem unsichtbaren Dach abprallen, und fielen rings um ihn zu Boden.

»Hör auf damit, Apolonia. Ich bitte dich.«

Apolonia wich hinter den Schreibtisch. »Ich weiß, wer Sie sind! Sie sind Erasmus Collonta, der Anführer des Treuen Bunds!«

Collonta sah sie schweigend an. Apolonia starrte zurück, bis sie spürte, wie ihr Zorn und ihre Erregung allmählich schwanden. Hatte Collonta das bewirkt? Vielleicht manipulierte er sie mit seinem Blick! Aber das würde sie nicht zulassen; wie um sich selbst daran zu erinnern, sagte sie: »Sie haben meine Mutter ermordet, wegen Ihnen ist mein Vater verrückt geworden. Sie haben mir alles weggenommen ...«

Collonta schüttelte den Kopf. »Das ist nicht wahr. Magdalena war eine gute Freundin von mir. Ich war bei der Hochzeit deiner Eltern. Ich war bei deinen ersten Geburtstagen dabei, Apolonia. Ich habe dir damals ein magisches Holzkästchen geschenkt, das zwei Böden hatte - darin lag eine kleine Porzellanpuppe. Als ich dir den Trick vorführte und die Porzellanpuppe im zweiten Boden verschwand, hast du angefangen zu weinen und mich geschlagen.« Collonta lachte auf und seufzte. »Magdalena hat dich so geliebt. Allein um ihretwillen würde ich dir nie Schaden zufügen.«

Ihre Hände hatten sich um die Tischkante geklammert. Sie erinnerte sich an das Holzkästchen - wie oft hatte sie früher damit gespielt und gestaunt, wenn das Püppchen darin verschwunden war ... Sie hatte nicht begriffen, dass ein Trick dahintersteckte, und es immer als gutes oder schlechtes Omen betrachtet, wenn sie das Kästchen geöffnet und nachgesehen hatte, ob die süße Porzellanfigur da war oder nicht.