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Tigwid berührte verzagt ihre Schulter, als sie schluchzte, doch sie wehrte seine Hand ab.

»Schon in Ordnung«, murmelte sie und wischte sich die Nase an ihrem kostbaren Kleid ab. »Jetzt ist sowieso alles vorbei. Morbus und Nevera haben den Treuen Bund wahrscheinlich schon nach Caer Therin gebracht und eignen sich gerade ihre Gaben an. Wir könnten sowieso nichts mehr gegen sie ausrichten. Und wenn schon. Ich habe genug von ihnen allen.«

Tigwid sagte nichts. Dann machte er die Augen schmal. »Du hattest recht... unsere Gaben sind etwas Böses. Sie haben uns alle ins Verderben gestürzt. Selbst Collonta hatte Pläne von Regierungsübernahme und Macht... Dabei kann jedes Orakel, jeder Zufall eine gerechtere Welt schaffen als jemand, der als Einziger zu wissen meint, was das Beste für die Menschen ist.«

»Ich dachte, du warst auf der Seite des Treuen Bunds«, flüsterte Apolonia.

»Die meisten von ihnen waren meine Freunde. Und ich hoffe, dass ihnen nichts passiert. Aber ich hoffe auch, dass sie niemals die Staatsgeschäfte führen werden. Obwohl Collonta so weise war und so... so mächtig, hat er nicht gesehen, dass die Menschheit keinen Vormund braucht.«

»Nun...«, murmelte Apolonia und schniefte. »Wenigstens wusste er, wie man aus diesem verfluchten schwarzen Loch rauskommt!«

Sie grinsten sich in ihrem Elend an.

»Für uns ist jetzt wohl alles zu Ende«, flüsterte Apolonia dann. »Die Dichter werden die mächtigsten Menschen der Welt... sie werden alle manipulieren und die Herrschaft ergreifen.«

»Oder Collonta konnte sie besiegen. Dann wird Fuchspfennig nichts mehr im Weg stehen, um eine Regierung aus Motten aufzustellen.«

»Ist doch egal, wer am Ende den blöden Kuchen bekommt. Ich hätte nur gerne verhindert, dass es die Dichter sind, weil sie bereits so viele schreckliche Taten begangen haben. Der TBK würde sich wahrscheinlich erst mit der Zeit gezwungen sehen, Böses zu tun... Aber ob die Welt sich wirklich verändert, wenn sie die Geschicke des Landes lenken? Ob es den Menschen danach besser oder schlechter geht... ich bezweifele es.«

Während sie sprach, hatte Apolonia unbewusst eine Haarsträhne zum Schweben gebracht und eingedreht. Fasziniert beobachtete Tigwid sie dabei. Abrupt ließ sie die Strähne fallen und Tigwid sah sie nachdenklich an.

»Es ist doch unglaublich, dass wir unsere Gaben voneinander stehlen können.«

Apolonia blickte unbehaglich zur Seite, dabei hatte Tigwid ihr keinen Vorwurf machen wollen. Er stützte den Kopf auf die Knie. »Ich habe oft daran gedacht, dass nichts von meinen Gaben in meinem Blutbuch stand. Wieso hätte Ferol sie mir lassen sollen? Und mehr noch - wäre ich als Motte nicht gegen Ferols Manipulation resistent gewesen wie du damals? Womöglich war ich vorher gar keine Motte. Womöglich ist bei dem Eingriff, als sein Bewusstsein meines durchwühlt hat, etwas von Ferol an mich verloren gegangen. Was, wenn er einen Teil seiner Mottengabe in mir vergessen hat?«

Apolonia sah ihn verwundert an. »Das wäre durchaus möglich ... Soweit ich weiß, ist Ferol auch nicht sehr begabt. Morbus hat mir mal erzählt, dass er keine Blutbücher mehr schreiben kann. Ich dachte immer, er hätte seine Kräfte wegen seines Rauschgiftkonsums verloren.«

»Also, mir gefällt der Gedanke, dass ich Ferol die Macht weggenommen habe.« Er lächelte.

Eine Weile dachte Apolonia nach. Dann fasste sie Tigwid am Arm. »Glaubst du - es gibt hier einen Weg raus, wenn wir unsere Gaben einsetzen?«

»Wie denn?«

»Na, wenn wir - wenn wir unsere Umgebung nicht als Nichts betrachten, sondern als eine Art Körper.« Sie wurde immer aufgeregter. »Du hast gesagt, Collonta wird alle umbringen, indem er die gesamte Energie im Umkreis in sich aufnimmt. Und vielleicht könnten wir auf demselben Weg, wie Collonta Energie angezogen hat, hier einen festen Ort anziehen...« Sie stand auf und sah sich um. Dann schloss sie die Augen. Ihre Hände öffneten sich. Sie dachte nicht mehr an die Bibliothek in Caer Therin - sie beschwor sie herbei. Jedes Fenster, jedes Möbelstück und Buch zwang sie zum Erscheinen, wie sie einen Gegenstand gezwungen hätte, sich zu bewegen. Eine halbe Minute verstrich.

»Apolonia.«

Sie öffnete ein Auge.

»Ich glaube nicht, dass das was bringt.«

Wütend stemmte sie die Hände in die Seiten. »Wenigstens hab ich’s versucht. Soll ich lieber Däumchen drehend auf den Tod warten?«

Tigwid blickte nachdenklich in die Schwärze. »Ich frage mich, ob man hier überhaupt sterben kann ... wer weiß, vielleicht vergehen in der Welt Jahrhunderte, ohne dass wir uns hier drinnen - oder hier draußen, besser gesagt - verändern. Wenn der Grüne Ring nicht erschienen wäre, wären wir beide außerdem längst tot.«

Apolonia wollte zu einer Antwort ansetzen, da sprang Tigwid plötzlich auf. Einen Moment lang sah es aus, als wollte er etwas sagen, doch dann schloss er bloß die Augen und schien sich zu konzentrieren. Seine Stirn legte sich in Falten. Mit verschränkten Armen beobachtete Apolonia, wie er leise vor sich hin murmelte und flehte.

»... Tigwid? Wenn Gott existiert, ist er bestimmt an einem gemütlicheren Örtchen als...« Sie verstummte mitten im Satz. Es dauerte einen Augenblick, ehe sie erkannte, dass Tigwid schwebte.

Tatsächlich - er hing schwerelos in der Luft! Und er stieg immer höher... Erschrocken riss er die Augen auf und bestaunte seinen fliegenden Körper. »Es - ja! Es funktioniert! Nimm meine Hände!«

Sie rannte auf ihn zu und sprang in die Höhe. Er zog sie hoch. Vor Überraschung schnappte sie nach Luft, als jegliches Gewicht von ihr abzufallen schien. Erst drehte sich ihr der Magen um, doch dann spürte sie ihren Körper fast gar nicht mehr. Tigwid zog sie näher, damit sie sich nicht in der Dunkelheit verloren.

»Nicht der Ort muss hergerufen werden, wir müssen uns an den Ort schicken!«, rief er aus. »Ich versteh es nicht ganz, aber offenbar sind wir hier gerade weniger echt als die Wirklichkeit draußen.«

Apolonia stieß ein verblüfftes Lachen aus. »Ich werde gar nicht erst versuchen, darüber nachzudenken. Das habe ich noch nie zu jemandem gesagt.« Sie schwebten immer höher und sahen sich an.

»Du bist ... unfassbar«, murmelte Tigwid grinsend.

»Du ebenfalls.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich bin total durchschaubar.«

»Und was jetzt?«, murmelte Apolonia. »Ich muss uns in die Bibliothek wünschen, ja?«

Er nickte langsam. Dann fasste er Mut und legte die Arme um sie. Sie spürte die Wärme seiner Hand an ihrer Taille, erschrak beinahe, aber sie wich nicht zurück. Seine Wange berührte ihre. »Die ganze Zeit... egal was du getan hast, ich dachte immer ... dass ich dich kenne.« Sein Flüstern war kaum zu hören. »Egal was passiert ist, sollen sich doch alle die Köpfe einschlagen, soll doch die Stadt in ihrem eigenen Schlamm versinken! Ich hab mir nur gewünscht, einen Moment zu haben mit dir. Um ...«

Sie hielt den Atem an. Lag es an der Schwerelosigkeit, dass ihr Herz so flatterte? »Um was?«

Die Finsternis schien um sie zu rotieren. Schatten traten immer deutlicher hervor, die sich rasch in flirrende Gegenstände verwandelten, während Tigwid über ihre Haare strich und ihre Lippen sich näherten.

Nocturna

Vampa kam zu sich, als er mit dem Kopf gegen Glas stieß. Mit einem brennenden Schmerz öffnete er die Augen und sah sich um.

Er saß in einem fahrenden Automobil. Neben ihm waren mehrere Gefangene, die wie er Handschellen trugen, bluteten, wimmerten oder bewusstlos waren. Der Polizist am Steuer fuhr eine Kurve und hielt vor einem imposanten Hauseingang. Vampa spähte hinaus und erkannte das Anwesen von Caer Therin wieder.