Выбрать главу

Inzwischen verlor er kaum noch - nach sieben Jahren Boxen hatte er Übung. Er ließ sich von den Tänzerinnen mit einem Handtuch abtupfen und trank das Glas aus, das man ihm reichte. An der Wetttafel wartete bereits sein Gewinn auf ihn.

Vampa wischte sich mit seinem Hemd über den Nacken, dann zog er es sich über den Kopf und schlüpfte in seine Jacke. Als er sich durch die aufgeregte Menge drängte, beachtete er weder die argwöhnischen und ängstlichen Blicke noch das leise Gemurmel, das er wie einen rauschenden Umhang hinter sich herzog.

»He, Kumpel! Kamerad!« Ein Junge, kaum älter als er selbst, umwuselte ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. Vampa sah ihn nur flüchtig an, obwohl er über die ungewohnte Nähe erschrocken war. Wann hatte ihn das letzte Mal jemand so berührt?

»Hast echt klasse gekämpft, Mann. Zeigst du mir ein paar Tricks? Nur du und ich, ja? Draußen, hinter der Mauer? Na, nun warte doch ...!«

Vampa schüttelte den Jungen ab. Das Geld hielt er fest in seiner Faust. Er würde sich zuerst etwas zu essen kaufen und dann ... Nun, die Nacht war jung. Er hatte noch eine Adresse, zu der er musste. Bald würde er auch noch mal zu Professor Ferol gehen und in seiner Bibliothek weitersuchen. Es war gut möglich, dass er noch mehr Blutbücher besaß.

Man öffnete ihm die Tür und Bluthundgrube verstummte hinter Holz und Eisen.

Vampa lief die Treppe hinauf. Dotti saß nicht mehr am Empfang, statt ihr brütete ein finster dreinblickender Wächter am Schreibtisch und unterbrach sich nur kurz dabei, mit einem Messer zwischen seinen Zähnen zu pulen, um Vampa zuzunicken. Als Vampa die Treppe zu Fräulein Friechens Teestube hinauflief, hörte er von unten, wie der Wächter mit jemandem sprach. Ein Gewehrlauf streifte Vampa flüchtig, als er an den durchlöcherten Wänden vorbeikam. Die Wächter vor dem dunklen Vorhang blieben ungesehen, als er ging. Es war sehr viel schwerer, in Eck Jargo hineinzukommen als hinaus.

Vampa tastete sich durch die dunkle Teestube, denn mittlerweile war es draußen Nacht geworden, und die nächste Straßenlaterne stand so weit weg, dass kein Licht durch die Schaufenster fiel. Fräulein Friechen ließ sich nicht blicken. Aber Vampa wusste, dass die Alte nur den Eingang bewachte.

Am Fenster bog er links ab, ging an der rot gestrichenen Ladentür vorbei und ertastete eine schmale Öffnung in der Wand. Er schlüpfte hindurch und schob eine aus Brettern zusammengenagelte Tür auf. Dann war er endlich an der frischen Luft.

Obwohl die Bezeichnung »frisch« nicht ganz passend war. Der Ausgang von Eck Jargo führte hinter die Mauer am Ende der Sackgasse und der Abfall von Jahrzehnten türmte sich rings um Vampa auf. Es war bereits kühl geworden, Frost lag auf der Mauer und aus den Dreckhaufen stieg bestialisch stinkender Dampf.

Vampa schlug den Kragen hoch und vergrub die Hände in den Taschen. Es war unmöglich, über die Mauer zu klettern, da sie ein zwei Meter breiter Graben voller Scherben und Stacheldraht säumte. Um Eck Jargo zu verlassen, musste man den kleinen Innenhof umrunden und auf der anderen Seite durch ein Loch im Holzzaun schlüpfen. Vampa war auf halbem Weg durch die Abfälle, als er die Brettertür hinter sich knarren hörte. Dabei hätte doch der Nächste, der Eck Jargo verlassen wollte, eine Minute warten müssen, ehe er gehen konnte - und der Wächter an der Rezeption hatte Vampa schließlich gesehen. Er hätte den Gast nach ihm zurückhalten müssen. So schnell konnte niemand nachgekommen sein, es sei denn, er war gerannt.

»Wo ist er?«, flüsterte jemand in der Dunkelheit.

Vampa beeilte sich. Bis zum Loch im Zaun war es nicht mehr weit.

»Ich hab ihn doch gerade noch gesehen.« Das war die Stimme des Jungen, der Vampa vorher in Bluthundgrube angesprochen hatte. Vampa warf einen Blick über die Schulter zurück, doch er sah nichts in der Finsternis.

Plötzlich packte ihn eine Hand an der Kehle. Vampa würgte vor Schreck. Ein Gesicht schälte sich direkt vor ihm aus der Dunkelheit, dahinter erkannte er eine ganze Gruppe schemenhafter Gestalten.

»So, Missgeburt.« Ein leises Klickgeräusch, dann blitzte ein Taschenmesser auf. »Du verpatzt uns keine Wette mehr.«

Alles geschah so schnell ... Vampa spürte die kalte Klinge am Hals, dann einen Druck. Die Kälte des Metalls durchdrang ihn, er fühlte, wie seine Haut und sein Fleisch durchtrennt wurden wie Butter. Warm ergoss es sich auf sein Hemd. Die Münzen fielen ihm aus der zitternden Faust.

»Na also ...«

Der Mann ließ von ihm ab. Vampa ächzte und schnappte nach Luft, doch kein Atemzug drang ihm in die Lungen. Mit ringenden Händen betastete er seinen Hals. Der Schnitt ging ihm quer über die Kehle und das Blut floss in Bächen.

Die Gestalten warteten. Doch das zufriedene Gemurmel erstarb, als Vampa nicht zu Boden fiel. Keuchend stand er da. Der Mann mit dem Messer verlor die Fassung. Er stürmte auf Vampa zu und rammte ihm die Klinge in die Brust. Vampa krümmte sich. Lichtfunken hüpften vor seinen Augen. Er fiel in einen Tunnel, rasend schnell ...

»Das, das ist -« Der Mann wimmerte, als Vampa sich das Messer aus der Brust zog. Einen Augenblick stand er vor ihm und stützte sich auf den Arm des Mannes. Dann ließ er das Messer fallen.

»Nichts wie weg!«, schrie der Junge, den Vampa vorher abgeschüttelt hatte. Die Gestalten ergriffen die Flucht. Auch der Mann suchte das Weite, ohne sein Messer aufzuheben.

Schwerfällig schleppte Vampa sich durch den Dreck und kroch durch das Loch im Zaun. In der Ferne schwamm das Licht einer Straßenlaterne in der Nacht.

Er schlich an den Hauswänden vorbei. Kein Geräusch erreichte seine Ohren. Die Stadt schwieg allein für ihn.

Wärme durchwogte seinen Körper. Das Blut klebte an ihm wie ein Anzug aus Wasser, heißem, mildem Badewasser. Tot ... Er war tot. Vampa lächelte. Ihm ging der Mund auf und die roten Zähne blühten zwischen seinen Lippen. Tot war er! Tausendmal würde er tot sein und niemals sterben. Lachend schleppte er sich durch die nächtlichen Straßen und keine Menschenseele kreuzte seinen Weg. Als die Kirchtürme in der Ferne ein Uhr schlugen, blieb er unter dem Mondlicht stehen und breitete dem Himmel die Arme aus.

»Rettet mich«, sagte er in die Finsternis, die sich über ihm erstreckte. Wie kalte Augen starrten die Sterne ihn an. Ihr ewiges Licht spiegelte sich in seinen Tränen. Mit ausgestreckten Armen wartete er, bis das Blut über Brust und Kinn in seine Kehle zurückgeronnen war. Die Krusten schmolzen. Kein Tropfen blieb auf den Kleidern zurück. Das Herz in seiner Brust begann mit einem flammenden Stich wieder zu schlagen. Dann schloss sich der schwarze Schnitt an seinem Hals, er verschwand, als sei er nie da gewesen, verschwand wie ein ausradierter Bleistiftstrich.

»Rettet mich endlich ...«

Mottentochter

Im Hause Spiegelgold waren fast alle Lichter erloschen. In der Küche hatte die Köchin die Glühbirne ausgeknipst, sobald sie mit dem Abwasch fertig geworden war, Trude schnarchte friedlich in ihrem Zimmer, Stricknadeln und Wolle noch in greifbarer Nähe neben der gelöschten Nachttischlampe, Frau Nevera Spiegelgold schlief seit drei Uhr nachmittags, denn sie hatte Migräne, und ihr Ehemann war aus seinem Büro getreten, als die Taschenuhr in seiner Weste Punkt elf Uhr gezeigt hatte. Die Fenster des Hauses blickten finster zum Park hinüber, der auf der anderen Straßenseite lag.