Nach einer halben Seite hielt Tigwid inne. Neveras Lachen hatte sich in ein hysterisches Kreischen verwandelt, draußen hörten sie das Fußgetrappel mehrerer Dienstmädchen.
Apolonia blickte nieder und Tigwid beobachtete sie eine Weile schweigend. Sie war blasser geworden, die Schatten unter ihren Augen schimmerten dunkler, seit sie wieder die Pflege ihres Vaters übernommen hatte. Und auch Neveras neuer Gemütszustand schien nicht ohne Einfluss zu sein.
»Willst du mit mir weggehen?«
Sie sah überrascht auf. »Wohin?«
»Weg - ich meine, richtig weg. In die Welt hinaus.« Er lächelte gewinnend. »Dann zeig ich dir vielleicht sogar, wo Dottis neues Wirtshaus ist.«
Sie riss die Augen auf. »Es gibt ein neues Eck Jargo? Wo?«
Er zuckte die Schultern. »Kann ich dir vertrauen? Alle vom Treuen Bund wohnen momentan dort. Alle wichtigen Leute haben sich bei Dotti versammelt - sie hat sich mit Mone Flamm zusammengetan. Wie es aussieht, werden sie ziemlich erfolgreich sein. Die Welt der Banditen braucht einen neuen Unterschlupf. Und neue Legenden.«
Eine Weile leuchtete die Neugier in ihren Augen, dann biss Apolonia sich auf die Unterlippe. »Und ich soll mit dir in ein verbotenes Wirtshaus ziehen, zu deinen TBK-Freunden, die mich alle lynchen wollen?«
»Das wollen sie nicht. Nicht mehr. Ich kann mit ihnen reden ...«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss hierbleiben. Schließlich muss sich jemand um meinen Vater kümmern und Onkel Elias traue ich nicht allzu viel zu. Er wurde so oft von Nevera beeinflusst, dass er durchaus mentale Schäden davongetragen haben könnte.«
Tigwid kratzte am Einband von Der Junge Gabriel herum. »Du willst wirklich hierbleiben, umgeben von Verrückten?«
»Egal wo wir sind, Verrückte umgeben uns immer«, erwiderte Apolonia ruhig. »Hier weiß ich wenigstens, woran ich bin. Abgesehen davon ...« Sie nahm ihren Füllfederhalter zur Hand und zog ihr Notizbuch heran. Die Erinnerungen an ihre Mutter füllten die ersten Seiten; nun blätterte sie zur unbeschrifteten Mitte und strich das Papier glatt. »Es ist Zeit für die Wahrheit. Inspektor Bassar wird sich freuen, wenn ich aufschreibe, was wirklich vorgefallen ist. Schließlich schweigt Morbus wie ein Grab. Vielleicht sollte ich ein Buch verfassen ... ein Buch mit einer wahren Geschichte.«
Tigwid verkrampfte sich. »Du meinst doch nicht ...«
Apolonia sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Mottengaben habe ich nicht nötig - zweifelst du etwa daran, dass meine Geschichte auch so fantastisch sein wird?« Sie setzte die Feder an und lächelte. »Keine Angst, Gabriel. Ich werde keine Menschen in mein Buch sperren. Nur meine eigenen Erinnerungen, damit sie niemals verblassen. Und so fängt es an ...« Sie nahm eine gerade Haltung an und begann zu schreiben. Den Füllfederhalter führte sie so elegant wie einen Degen, doch schon bald verlor sie die Geduld und ihre schöne Schrift verwandelte sich in ein hastiges Gekrakel. Tigwid beugte sich vor und las den ersten Satz:
Am Abend traf sich Jorel mit dem Mädchen.
Ein Wort der Autorin
Wieso werden Bücher eigentlich für Geld verkauft?«, fragte Apolonia einmal, als sie fünf war.
»Weil«, antwortete Alois Spiegelgold, »man in Büchern die Gedanken anderer Menschen finden kann. Und nichts ist mehr wert als schlaue Gedanken.«
Danksagung
Ich danke den Menschen, die ihre Gedanken mit mir teilen: meine Familie, Bo, Lizzy, Thomas Montasser, meine liebe Lektorin Susanne Evans.
Und ich danke den Lesern, mit denen ich nun meine Gedanken teile.
Copyright
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Der Taschenbuchverlag für Jugendliche
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1. Auflage
Erstmals als Taschenbuch März 2009
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