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Apolonia fuhr zu Hunger herum. Der Junge ist hier?

Hunger witterte die Luft. Ja.

Ein Einbrecher! Ob es etwas mit ihrem Onkel zu tun hatte? Oder - ihrem Vater? Apolonia wurde ganz flau zumute.

Zeig mir, wo!

Apolonia schlüpfte in einen Morgenmantel und Pantoffeln, zündete die Öllampe auf ihrem Nachtschrank an und verließ mit dem Licht das Zimmer. Hunger lief ihr hinterher.

Die Korridore lagen in tiefer Dunkelheit. Die Lampe malte einen matten Lichtkreis um sie, doch alles, was eine Armeslänge von ihr entfernt war, blieb ihrem Blick verborgen. Hunger schnupperte über den Teppich.

Der Lampenschein glitt über die Gemälde hinweg, die die Wände schmückten. Ein Dutzend gemalter Augen folgten Apolonia, als sie an ihnen vorbeilief. Sie glaubte, in jedem Zimmer, an dem sie vorbeikam, unheimliche Schatten wahrzunehmen, aber das Haus schwieg wie ein Grab.

Jemand war hier. Ein Einbrecher, hier.

Und doch lag Apolonia nichts ferner, als Hilfe zu holen. Wer auch immer ins Haus eingedrungen war, hatte sich Hunger vorstellen können. Er war nicht mit den Absichten eines gewöhnlichen Diebes gekommen.

Hunger blieb unschlüssig stehen. Sein Geruch ist hier zu schwach ... vielleicht ist er schon weg.

Streng dich an!, flehte sie. Weißt du, wie er hereingekommen ist?

Warte ... er war gerade ganz nah!

Apolonia fuhr erschrocken herum. Da, gedämpft durch die Wände, hörte sie Schritte. Ihr Puls raste.

Hier!

Hunger lief auf die nächste Tür zu, Apolonia folgte ihm. Sie rannten durch den dunklen Raum bis zur gegenüberliegenden Tür, Apolonia schob sie auf und sie durchhasteten den langen Flur. Am Ende des Flurs huschte ein Schatten vorbei. Ihr wurde schlecht vor Aufregung. Sie hob ihr Nachthemd an, um nicht zu stolpern, und rannte, so schnell sie konnte.

Sie bogen um die Ecke, liefen an Fenstern und Treppen vorbei, liefen durch das finstere Haus.

Wo ist er hin?, rief sie Hunger zu. Ein Schauder glitt ihr über den Rücken, als sie erkannte, dass sie zu ihrem Zimmer zurückliefen. In der Ferne knarrte etwas.

Im tanzenden Lampenschein tauchte endlich die Tür zu ihrem Zimmer auf. Sie war weit aufgerissen.

Apolonia blieb wie versteinert stehen. Eisiger Nachtwind blies ins Zimmer und ließ die Bettvorhänge tanzen. Das Licht ihrer Lampe glitt über einen Jungen, der am Fenster stand. Er hatte sich tief hinausgebeugt und drehte sich hastig um, als er das Licht bemerkte. Er trug ein dunkelgrünes, etwas zu großes Jackett.

Der Lieferjunge.

»Stehen bleiben!«, rief Apolonia.

Hunger rannte auf den Jungen zu. Der Junge öffnete den Mund. Plötzlich flog die Bettdecke hoch. Der Stoff schoss durchs Zimmer, blähte sich auf wie ein Fallschirm und fiel über Hunger. Ein klägliches Jaulen drang durch die Decke, als sich der Hund darin verfing; der Junge war inzwischen aus dem Fenster geklettert.

Apolonia sprintete los. Sie warf die Lampe mehr oder weniger auf ihren Tisch und packte die nächstbeste Waffe, die sie finden konnte: eine lange Pinzette, mit der sie Hunger von seinen Zecken befreit hatte. Dann war sie am Fenster angekommen und beugte sich hinaus. Zu ihrem Erstaunen war ein langes schwarzes Seil am Fenster befestigt, das bis hinunter zur Straße hing. Dort stand der Junge im Schein der Straßenlaterne. Er blickte zu ihr auf. Dann lief er davon.

Ich kann hier nicht runter, sagte Hunger hinter Apolonia, der sich endlich aus der Decke befreit hatte.

Lauf durch den Hinterausgang, dann folge meiner Spur, so schnell du kannst!

Apolonia holte tief Luft. Dann schwang sie die Beine aus dem Fenster, packte das Seil und hangelte sich hinab.

Der Wind drang durch ihre Kleider und ließ sie frösteln - dabei zitterte sie schon vor Schwindel und Angst. Ihr Zimmer befand sich im dritten Stock.

Ihre Füße rutschten und sie glitt die letzten zwei Meter am Seil hinab. Ihre Handflächen brannten. Dann stieß sie mit dem Rücken gegen die Wand und landete auf den Füßen.

Einen Moment lang war sie unfähig, sich zu bewegen. Dann verebbte allmählich das weiche Beben in ihren Gliedern und Apolonia taumelte los.

Am Ende der Straße stand der Junge. Als er sie sah, lief er davon.

»Bleib stehen!« Ihre Stimme hallte unheimlich durch die Nacht.

Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. Apolonia bog in die nächste Straße und sah, wie der Einbrecher in einem Hauseingang verschwand. Er saß in der Falle!

Apolonia keuchte. Die Pinzette in ihrer Hand fühlte sich rutschig und heiß an. Vor dem Hauseingang blieb sie stehen, dann hob sie die Pinzette wie ein Messer und stieß die Tür auf. Sie war nur angelehnt. Mit einem sanften Luftzug glitt sie nach innen auf.

Apolonia trat ein. Finsternis empfing sie, nur durch die Glasscheiben in der Tür drang Licht und umhauchte die Treppen, die nach oben und unten führten. Ihr Atem leuchtete in der Kälte.

Plötzlich packte sie jemand von hinten.

»Dieb-«

Eine Hand presste sich auf ihren Mund und erstickte den Schrei. Der Junge riss ihr die Pinzette aus der Faust. Er lächelte, ganz nah an ihrem Ohr. »Ist es wirklich Diebstahl, wenn die Beute einem freiwillig folgt?«

Eine Nacht im Treppenhaus

Die Pinzette fiel klirrend zu Boden.

»Nicht schreien«, mahnte der Junge hinter ihr. »Nicht schreien ... Ich will dir nichts tun. Verstanden?«

Vorsichtig löste sich die Hand von ihrem Mund und glitt zu ihrem Hals hinab. Apolonia rang nach Atem.

»Ich weiß es«, japste sie. »Ich weiß, wer du bist! Du bist nicht nur Mone Flamms Lieferbote.«

»Flamm - woher ...« Der Junge hielt lächelnd inne. »Und du bist nicht nur Spiegelgolds Nichte, sondern auch eine neugierige Schnüfflerin, die anderer Leute Gespräche belauscht.«

»Lass mich los!« Als sie mit dem Fuß ausholte, um nach ihm zu treten, wich er geschmeidig zur Seite und ließ von ihr ab. Einen Moment konnte Apolonia ihn in der Dunkelheit nicht sehen. Dann tauchte sein Gesicht im blassen Mondlicht auf. Ein Grinsen malte ihm zarte Grübchen.

Apolonia ballte die Fäuste. »Jetzt hast du verloren. Du hast dich gleich zweimal verraten, erst mit dem Fenster und jetzt mit der Decke. Motte! Oder sollte ich dich besser Tauben und Kutschenrattern nennen?«

Die Augen des Jungen flackerten. »Das weißt du von dem Hund, nicht wahr? Du kannst wirklich mit Tieren sprechen!«

Seine Worte trafen Apolonia wie ein Schwall Eiswasser. Sie blinzelte, dann stampfte sie fest mit dem Fuß auf. »Schweig! Du bist festgenommen!«

Der Junge kratzte sich am Nacken. »So, und weshalb? Hausfriedensbruch? Ich würde wetten, dass dein Onkel lieber geheim hält, wer alles in seinem Haus rumspaziert.«

»Du bist festgenommen wegen Mitgliedschaft in einem verschwörerischen Geheimbund, dem organisiertes Verbrechen, Brandstiftung und Mord zur Last gelegt werden!«

Der Junge lächelte. »Das musst du mir aufschreiben, so viel kann ich mir nicht merken.«

Apolonia spürte, wie Zorn in ihr aufflammte. Blitzschnell schnappte sie die Pinzette vom Boden.

»Was, willst du mir vielleicht die Augenbrauen zupfen?« Der Junge kam lässig auf sie zu - als plötzlich die Tür aufschwang und ihn von den Füßen fegte. Mit einem schmerzerfüllten Laut fiel er, landete auf den Stufen der Treppe und kugelte in die Dunkelheit. Apolonia schnappte nach Luft.

Komm ich zu spät? Verdutzt lauschte Hunger dem Poltern des stürzenden Jungen.