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»Ich kann nichts sehen. Nichts! Es gibt Millionen Stadttauben hier, woher sollen wir wissen, welche die richtige ist?«, schnatterte Fiz Soligo und drehte sich um sich selbst. Er besaß so ungefähr alles, was Bassar nicht ausstehen konnte: Arroganz, Ungeduld, Aggressivität und schmierige blonde Locken. Und das alles wurde noch überboten von Soligos unerträglicher, unerschöpflicher Sprücheklopferei. Selbst wenn die Welt unterginge, würde ihm noch irgendeine Abenteuerroman-Bemerkung einfallen. Ums Brötchenverdienen muss sich jetzt keiner mehr Sorgen machen. Bassar brummte. Dass er Soligo nachahmen konnte, war eindeutig ein Zeichen, dass er zu viel Zeit mit ihm verbrachte.

Ruhelos tigerte er auf und ab. Was, wenn die kleine Spiegelgold tatsächlich Unfug geschrieben hatte? Das wäre eine Blamage. Und ein totaler Reinfall, ein vergeudeter Vormittag - was ihn beinahe noch wütender machte als die persönliche Niederlage.

»Mir ist kalt«, quäkte Soligo und begann, mit seinen langen Beinen hinter Bassar herzustaksen. »Wir bräuchten auch mal bessere Uniformen. Wenn ich Zivil trage, weiß ja niemand, dass ich von der Polizei bin.«

»Und das ist auch gut so«, schnauzte Bassar. Weil du eine verdammte Schande für uns bist, du Würstchen. Aber er unterließ es, diesen Gedanken auszusprechen, steckte sich stattdessen eine Zigarette in den Mund und nahm seine Wanderung wieder auf. Soligo schwieg für den Augenblick.

»Ich frage mich, wer uns den Tipp geliefert hat«, schaltete sich eine Kommissarin namens Betty Mebb ein. Sie trug einen schlichten schwarzen Wollmantel über dem nachtblauen Polizeirock und hatte die Hände in den Taschen vergraben. Sie war eine von den wenigen Frauen, die ihre Haare kurz trugen: Glatt und grau wie Blei reichten sie ihr zum Kinn und schmiegten sich um ihr spitznasiges Gesicht wie ein Helm. »Womöglich will uns wirklich jemand zum Narren halten.« Es klang nicht vorwurfsvoll oder tadelsüchtig - Mebb hatte einen monotonen Tonfall und bewegte kaum ihr Gesicht, was ihr die Autorität verlieh, die man in Soligos Gegenwart benötigte.

»Er ist ein anonymer Brief und wir müssen uns für alles bereithalten, das stimmt«, sagte Bassar ruhig. Er hatte niemandem erzählt, dass er den Absender an Schrift und Sprache sehr wohl erkannt hatte. »Allerdings bleibt uns nichts übrig, als dem Hinweis nachzugehen. Es zu finden ... Es wirklich zu finden, wäre der Preis für fast zwanzig Jahre harte Polizeiarbeit.«

Betty Mebb nickte und ein Lächeln zog über ihre Lippen. »Mit Eck Jargo würde das Herz der Unterwelt zu schlagen aufhören.«

»Und gleich hört mein Herz auf zu schlagen, wenn wir weiter in der Kälte stehen!« Soligo starrte Mebb an, auf der Suche nach Anerkennung für seine geistreiche Bemerkung.

»Vielleicht wollen Sie lieber in einem Automobil warten, wenn Sie kalte Füße haben«, schlug Mebb vor.

»Und den großen Augenblick verpassen, wenn unsere Taube auftaucht? Aber wer würde Sie denn im Falle eines Hinterhalts decken, Betty?«

»Bitte unterlassen Sie es, mich während Einsätzen bei meinem Vornamen zu nennen.«

»Was, wo er doch so schön ist ...«

Sie warf ihm einen blinzelnden Blick zu. »Hier geht es um Diskretion, Kommissar Soligo. Davon haben Sie gewiss schon mal gehört.«

»Wissen Sie«, erwiderte Soligo, »ich bin kein Mann der Diskretion, sondern der Tat. Ich entscheide schnell, ich entscheide hart, ich entscheide richtig. Bum! Und alles lotet sich aus. So was liegt im Blut, das kann man nicht lernen. Ich sag’s ja immer, man wird als Jäger geboren oder nicht ...«

Mebbs dünne Nasenflügel blähten sich. »Erfreulich, dass Sie diese Erkenntnis hatten.«

»Tja, wissen Sie, ich hab noch einiges mehr als das ...«

»Soligo!« Wütend paffte Bassar ein paar Rauchwölkchen. »Das hier ist kein verdammter Ausflug und schon gar nicht der Zeitpunkt für lauschige Gespräche. Reißen Sie sich zusammen.«

Soligo blökte. »Hallo? Viel gibt es hier nicht, worauf ich mich konzentrieren könnte, oder soll ich die verdächtigen Schneeflöckchen im Auge behalten?«

»Das reicht. Gehen Sie zum Automobil zurück.«

»Aber -«

»Gehen Sie.«

»Ich -«

»Gehen Sie einfach.«

»Moment, ich -«

»Gehen Sie, verdammt, gehen Sie mir aus den Augen!«

»Das ist Wahnsinn!« Hoheitsvoll riss Soligo sich seinen Mantel zurecht und streckte Bassar zwei Finger entgegen. »Zwei Worte: WAHN-SINN.«

»Das ist ein Wort«, bemerkte Mebb, glitt mit einer behandschuhten Hand in ihren Mantel und zog eine silberne Taschenuhr hervor. »Zwölf Uhr sechzehn. Wo bleibt die Taube?«

Bassar warf seinen Zigarettenstummel in den Schnee und trat fester und öfter drauf, als nötig gewesen wäre. »Soligo, verschwinden Sie.«

»He - ich HAB’S verstanden. Keine Sorge. Hab’s kapiert!«

»Schön«, knurrte Bassar. Er hasste ihn. Am liebsten hätte er ihn sofort auf die Straße gesetzt. Aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund war Soligo tatsächlich erfolgreich und hatte schon viele Übeltäter gefasst. Nur leider sich selbst noch nicht.

Gerade wandte Fiz Soligo sich grummelnd um, da erschien ein gräulicher Fleck über der Statue Apollos.

»Da!« Ein untersetzter Kommissar deutete in den Himmel. »Eine Taube!«

Soligo fuhr herum. Er hatte seine Pistole schon gezogen und zielte auf den Vogel, der sich gurrend auf Apollos Arm niederließ und aufplusterte.

»Gut. Alles im Griff«, murmelte Soligo. Die Taube legte den Kopf schief und musterte den Menschenhaufen unter ihr eine Weile interessiert; dann spreizte sie die Flügel, segelte elegant über ihre Köpfe hinweg ... und ließ etwas fallen. Auf Soligos ehrenwertes Haupt.

»Verfluchte -« Die Pistole in seiner Hand ging los, als er erschrocken zur Seite sprang. Die Kugel zischte durch die Luft und bohrte sich mit einem Knall ins Knie des steinernen Gottes.

»SOLIGO!« Bassar sprintete auf dem Weg zu den Polizeiwagen an ihm vorbei. »Das werden Sie teuer bezahlen. Das kommt in Ihre Akte!«

»Diese - Taube!« Puterrot im Gesicht blickte Soligo zu seinen Haarwellen auf, von denen es weiß herabtröpfelte. Seine Unterlippe begann, angewidert zu zittern.

»Kopf hoch, Herr Kollege. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, lieber Kopf runter.« Mebb lächelte und folgte eilig Bassar und den Kommissaren. Die Taube flog bereits die Straße hinauf.

Zum Teeladen

Wo sind wir hier ... ist das überhaupt noch ein Teil der Stadt?«

»Das hier ist die wahre Stadt.«

Apolonia blickte sich mit gerümpfter Nase um. Die Häuser standen so eng, dass man mit einer ordentlichen Kutsche kaum hindurchgepasst hätte. Wäscheleinen spannten sich über ihren Köpfen von Wand zu Wand. Manche Hauseingänge hatten keine Türen mehr, Fenster waren mit Brettern vernagelt und überall türmte sich der Dreck auf.

Apolonia hielt sich den Schal vor Mund und Nase; nicht nur wegen des Gestanks, sondern auch aus Angst vor ansteckenden Krankheiten. Man wusste ja nie - vielleicht hatte die Pest das Mittelalter in dieser Gegend überdauert. Sie stieß einen erschrockenen Laut aus, als sich plötzlich etwas im Abfall bewegte. Ein Mann, über und über in Lumpen gehüllt, richtete sich träge auf und entblößte den fast zahnlosen Mund in einem Grinsen. »He, he, Jorel!«, schnaufte er.