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»Wir brauchen deine Hilfe«, sagte Vampa tonlos. »Wir suchen jemanden.«

»Wen?« Dotti strich sich über die ungekämmten Locken. »Es sind so viele verschwunden, fast alle meine Bekannten sitzen im Gefängnis oder sind tot. Ich weiß nicht, wo irgendwer ist.« Sie schloss die Augen und wartete, bis die Tränen zurückgedrängt waren. »Wen sucht ihr?«

»Ein Mädchen«, sagte Vampa. »Ihr Name ist Apolonia. Sie wurde von Leuten verschleppt, die sich die Dichter nennen.«

»Einer von ihnen heißt Ferol«, fügte Tigwid hinzu. »Professor Rufus Ferol. Er hat ein Zimmer in Laternenreich gemietet.«

»Laternenreich ... da sind so manche komische Vögel rumgegeistert, aber bestimmt niemand, an den ich mich erinnert hätte.«

»Und von den Dichtern hast du nichts gehört? Denk nach. Bitte«, sagte Vampa.

Dotti biss sich auf die Lippen. »Tut mir leid. Ich weiß wirklich nichts von Dichtern. Es waren so viele Leute in Eck Jargo ... so viele ...« Schluchzend zog sie ein frisches Taschentuch aus dem Ausschnitt ihres Kleides und drückte ein paar Tränen in den zerknitterten Stoff. Tigwid beschloss, etwas zu unternehmen. Er stand auf, holte eine Cognacflasche aus der Glasvitrine, schüttete Dottis Tee in die Kanne zurück und schenkte ihr dafür einen Schluck Cognac ein. Dann trank er seinen Tee aus und goss auch sich aus der Kristallflasche ein. Schluchzend griff Dotti nach den Pralinen und schob sich drei auf einmal in den Mund. »Alles, alles vorbei ... so viele ... hick ... tot! Fast, fast wäre ich ... hick, im Knast gelandet!«

Tigwid wusste gar nicht, was er tun sollte. Vor ihnen saß eine Frau, deren Existenz gestern zerstört worden war, und er und Vampa quetschten sie nach Informationen aus, um das Mädchen zu retten, das an allem Schuld trug. Beschämt nahm Tigwid einen großen Schluck Cognac. Er brannte ihm im Hals wie Feuer und trieb ihm Tränen in die Augen.

Vampa schenkte sich ebenfalls Cognac ein und trank alles in einem Schluck leer. Seine Augen waren rot und glasig, als er die Tasse wieder abstellte. »Dotti. Du musst uns helfen.«

Wimmernd steckte sie sich neue Pralinen in den Mund. »Ich weiß nichts ... Es tut mir leid, Vampa.«

Vampas Blick schwenkte zu Tigwid herüber. Als er dessen sorgenvolle Miene bemerkte, ballte er die Fäuste und sagte, an Dotti gewandt: »Apolonia wird ihre Vergangenheit verlieren, wenn wir ihr nicht helfen. Erinnere dich!«

Dotti spähte über ihr Taschentuch hinweg auf Vampa. In diesem Augenblick mischte sich ihre Furcht mit zaghafter, wachsender Wut. Mehr als sieben Jahre lang hatte sie alles getan, was dieser Junge von ihr verlangt hatte. Sie hatte so lange vor ihm Angst gehabt, hatte sich von der Angst regieren lassen. Verdammt, sie war sogar eine Zeit lang mit Knoblauchketten rumgelaufen! Und jetzt, wo Eck Jargo untergegangen war, wo alles vorbei war, hatte sie keine Lust mehr. Ein Trotz erwachte in ihr, den sie sich nie zu fühlen getraut hatte.

»Ich weiß wirklich nichts von Dichtern«, flüsterte sie. »Ich habe schon genug Probleme.«

Vampa schien durch diese eindeutige Antwort nicht aus dem Konzept gebracht. Reglos stierte er sie an, wartend.

Tigwid wurde unruhig. Dotti konnte ihnen nicht weiterhelfen, das hatte er doch gewusst. Sie vergeudeten hier nur ihre Zeit.

»Gut. Vielen Dank trotz allem.« Tigwid erhob sich und wischte sich verstohlen über die Lippen, auf denen noch der Cognac brannte. Sein Magen sagte ihm ganz deutlich, was er von Alkohol in der Früh hielt, und grummelte vernehmlich.

Auch Vampa stand auf. Zitternd tupfte sich Dotti ein paar Tränen aus den Augenfalten.

»Passt auf euch auf«, murmelte sie und schob die Tassen zusammen.

»Du weißt es. Du weißt, wer und wo die Dichter sind.«

»Nein, Vampa. Wirklich ...«

Einige Momente lang glühte sein Blick auf ihr, dann wandte er sich ab, und Tigwid folgte ihm.

Im Türrahmen blieb Tigwid stehen und drehte sich um. Dotti sah ihn mit bebendem Kinn an. »Ich weiß wirklich nichts.«

Er lief zu ihr zurück und legte zögernd eine Hand auf ihre Schulter. »Seien Sie nicht traurig, Fräulein Dotti. Eck Jargo war das herrlichste Wirtshaus, das die Welt je gesehen hat, und egal was geschehen ist - man wird sich immer daran erinnern, solange es Polizisten und Banditen gibt! Sie haben eine Welt erschaffen, die mein Zuhause war und aus der all die schönen Erinnerungen stammen, die ich noch habe. Danke dafür.«

Dotti lächelte schwach. »Ich... Tut mir leid, dass ich euch nicht helfen konnte. Trotzdem viel Glück.«

Tigwid nickte, klopfte ihr auf die Schulter und wandte sich um. »Ach, und - einen Morbus kennen Sie auch nicht, oder?«

»Morbus!« Dotti runzelte die Stirn. »Jonathan Morbus, natürlich.«

Jede Zelle seines Körpers begann zu kribbeln. »Sie kennen ihn?«

»Ja, er mietet eine Lagerhalle, drüben im Ostviertel, beim alten Bahnhof. Erst hat die Halle einer Druckerei gehört, dann habe ich sie gekauft, um sie an verschiedene Geschäftsmänner mit Großwaren zu verpachten. Und seit ein paar Jahren mietet Morbus die Halle. Ich erinnere mich so gut an ihn, weil er nie Waren in die Halle brachte - er ist weder ein Hehler noch ein Schmuggler oder sonst was. Ich glaube, er ist ein Romanautor. Seltsam fand ich ihn schon. Aber ich dachte, er ist eben ein Schreiber. Die sind ja alle ein bisschen exzentrisch.«

»Glauben Sie, dass er da ist?«

»Das weiß ich wirklich nicht. Aber... meine Informanten haben mir berichtet, dass er nur selten hingeht.«

»Gut. Danke. Vielen Dank!« Tigwid lief aus dem Zimmer, stieß im Flur auf Vampa und zog ihn auf die Tür zu.

»Was hat sie -«

»Wir müssen zum alten Bahnhof, in eine Lagerhalle!« Eilig schob Tigwid die Schlossriegel und Ketten auf, öffnete die Tür und sprang in zwei Sätzen die Treppe hinab, die zur Straße hinunterführte. Vampa zog die Tür hinter sich zu und lief ihm nach.

Zusammen

Dotti saß eine Weile auf dem Sofa, ohne sich zu bewegen, und drückte sich das Taschentuch unter die Nasenspitze. Ein eigenartiger Gedanke hatte von ihr Besitz ergriffen. Eine Idee.

Vielleicht war es falsch. Vielleicht würde es ihn nicht aufhalten, vielleicht würde er wiederkommen und sich an ihr rächen.

Aber zur Hölle mit den Ängsten - sie hätte das, was sie jetzt tun würde, schon vor Jahren tun sollen. Und sie hatte nichts mehr zu verlieren.

Sie stand auf und ging in den Flur. An der Wand hing das modernste Gerät, das man in ihrem mit antiken Schätzen vollgestopften Haus finden konnte: ein Telefon. Sie nahm den Hörer ab. Das Knistern der Leitung flüsterte ihr ins Ohr. Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer der Polizei ...

»Also, fassen wir noch einmal zusammen«, sagte der Polizeibeamte gewichtig und legte die Fingerspitzen aneinander. »Sie behaupten, dass es Menschen mit übernatürlichen Kräften gibt, sogenannte Motten. Diese Motten stehlen Erinnerungen und schreiben sie in Bücher, die so wahr und schön sind, dass man seinen Verstand verliert, wenn man sie liest. Und Ihnen wollen die Motten ebenfalls Erinnerungen entwenden, speziell die Erinnerung an Ihre verstorbene Mutter.«

»So ist es«, bestätigte Apolonia. »Und in diesem Augenblick befinden sie sich in einer Lagerhalle beim alten Bahnhof und werden nur von Krähen und Hunden bewacht.«

Die Augenbrauen des Beamten waren irgendwo in die Höhe seines spärlichen Haaransatzes gewandert. »Ah. Krähen und Hunde.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zeigte Apolonia ein kurzes, unfreundliches Grinsen. »Fräulein Spiegelgold, Sie hätten nicht zur Polizei gehen sollen, wie mir scheint, sondern zu einem Arzt. Hier verschwenden Sie nicht nur Ihre, sondern auch meine kostbare Zeit. Die Polizei hat schon genug Verbrechen zu bekämpfen, die keinem Hirngespinst entspring-«