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»Ich habe jahrelang versucht, es zu finden«, sagte Vampa.

Apolonia schluckte den letzten Bissen hinunter und legte das Brot vorerst neben sich ab. »Wo hast du Tigwids Buch gefunden?«

»Du meinst Der Junge Gabriel?«, fragte Vampa.

»So, Gabriel heißt du?« Bevor Tigwid antworten konnte, stand auch sie auf und setzte nachdenklich einen Finger an die Lippen. »Also, Vampa? Wo hast du sein Blutbuch her?«

»Aus der Bibliothek von Professor Ferol.«

Apolonia und Tigwid starrten sich an.

»Du weißt, wo der Professor wohnt?«, fragte Tigwid mit zitternder Stimme. »Wieso hast du das denn nicht gleich gesagt? Verdammt, du - du verrückter Kerl! Den Professor knüpf ich mir vor, diesen schwammigen Bücherwurm, diesen... Vampa, als Boxer weißt du doch, wohin man schlagen muss, damit es schön wehtut? Wir prügeln einfach alles aus ihm raus, was wir wissen wollen, und dann schleppen wir ihn zur Polizei, damit er beichtet!« Tigwids Augen leuchteten. »Glaub mir, ich weiß, wie man Leute zum Sprechen bringt. Die Dichter sind uns ausgeliefert!«

Apolonia lächelte. Wie war das doch gerade mit der Hilflosigkeit gewesen ...? Wie sie sich auch eben noch gefühlt haben mochte, es schien wie weggeblasen. Vampas Unsterblichkeit und dazu sein Blutbuch waren der beste Beweis für die Schreckenstaten der Dichter - sie würden Morbus und seine Lehrlinge vernichten!

Tigwid ergriff ihre Hände. Seine Finger drückten ihre warm und fest. »Apolonia, glaub mir, wir beide -«

Die Bürotür stieß auf. Ein Polizist in blauer Uniform betrat das Zimmer, zwei weitere folgten ihm.

»Wer von euch ist der Boxer aus Eck Jargo

Der Zug

Apolonia war wie erstarrt. Auch Tigwid stand mit offenem Mund da. Nur Vampa zeigte keine Überraschung - natürlich.

»Ich bin der Boxer.«

An den misstrauischen Blicken der Polizisten konnte Apolonia ablesen, dass Vampa auch sie irritierte. Der eine ließ die Hand unwillkürlich zu seinem Schlagstock hinabgleiten, ein anderer gaffte mit leicht geöffnetem Mund.

»Sie - Sie sind festgenommen«, stotterte der Letzte und zog Handschellen aus seinem Gürtel.

Vampa kam langsam auf sie zu. »Was ist mit meinen Freunden?«

»Ihren was...?« Der Polizist riss seinen Blick von Vampa los und blinzelte Tigwid und Apolonia an. Sofort ließ Apolonia ihn los. »Die werden wir vorerst mitnehmen.« Der Polizist öffnete die Handschellen und griff zögernd nach Vampas Arm, fast als erwarte er, dass er sich in Luft auflösen würde wie ein Geist. Als nichts dergleichen geschah, packte er ihn fester und zog ihn zu sich heran.

In diesem Augenblick riss Vampa ihn nach vorne und stieß ihm mit dem Kopf gegen die Nase. Der Polizist schrie auf und stürzte zu Boden, während Vampa sich vor dem Schlagstock des zweiten duckte. Blitzschnell zog er dem Mann seinen Schlagstock aus der Hand und hob ihn wie ein Schwert zur Abwehr des Dritten. Er drehte sich zur Seite, seine Waffe traf einen der Polizisten am Hinterkopf und den Letzten im Nacken. Alle drei Männer lagen jaulend auf dem Boden.

»Lauft«, sagte Vampa, ließ den Schlagstock fallen und sprang über die Polizisten hinweg aus dem Büro.

Apolonia und Tigwid gehorchten aufs Wort. Eine Hand griff noch nach Tigwids Fuß, konnte ihn aber nicht mehr zurückhalten.

Sie stürzten die wackelige Treppe hinunter und rannten durch die Halle. Hinter ihnen verwandelten sich die wüsten Rufe in Gepolter, als die Polizisten ihre Verfolgung aufnahmen. Ein Schuss ging los - irgendwo seitlich von ihnen sprang eine Kugel durch die Luft. Sie sprinteten nach links, unter einer mächtigen Druckmaschine hindurch. Als sie wieder herauskamen, waren ihre Haare und Schultern vor Staub ergraut - aber die Feuertreppe, die ins Freie führte, war nur noch wenige Meter entfernt.

Apolonia schnaufte. In zwei Jahren hatte sie sich sportlich nicht so betätigt wie in den letzten zwei Tagen - langsam reichte es ihr mit den ständigen Fluchten und Hetzjagden! Ihre Füße schlitterten über den Boden, dann hatten sie die Treppe erreicht. Mehrere Stufen auf einmal nehmend, stürzte sie hinter Vampa her und fühlte Tigwids Keuchen im Nacken. Dann waren sie bei der Tür angekommen und Vampa stieß sie auf.

Ein Polizeiwagen parkte auf der Straße und der verdatterte Blaurock am Steuer ließ bei ihrem Anblick sein belegtes Brötchen fallen. Die drei bogen in eine enge Seitengasse ab, in der sich leere Kisten stapelten und der Schnee über rauchenden Kanalschächten schmolz. Rufe hallten in der Ferne wider. Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. Sie bogen wieder ab und wieder, bis sich die Gassen öffneten und alte Bahngleise vor ihnen auftauchten. Zwischen abgestellten Zugwaggons und verrosteten Tonnen blieben sie stehen und rangen keuchend nach Atem.

»Also - hat der Kerl Spaß daran, Leute zu schlagen?!«, fauchte Apolonia, sobald sie wieder Luft bekam, und wies wütend auf Vampa.

»Er ist Boxer«, erklärte Tigwid.

Apolonia wandte sich an den unheimlichen Jungen, der sie wortlos beobachtete. »Wieso war das eben nötig? Womöglich ist dir das noch nicht in den Sinn gekommen, aber mit Polizisten kann man auch SPRECHEN! Nicht nur kloppen, verstehst du das? Ich hätte uns da schon rausreden können, aber du wirst ja lieber kriminell!«

Tigwid lächelte. »Reden nützt bei Vampa nichts mehr.«

Apolonia maß erst Tigwid, dann Vampa mit einem verächtlichen Blick.

»Vampa war Boxer in Eck Jargo«, fuhr Tigwid fort. »Da pufft man sich nicht mit Wattebäuschen. Gut möglich, dass die Polizei Vampa Totschlag oder so was anhängen will.«

»Versuch nicht, mich zu beeindrucken«, erwiderte Apolonia trocken.

»Das ist die Wahrheit, ob du’s beeindruckend findest oder nicht.«

»Die Wahrheit ist, dass der Kerl eine verdammte Bedrohung auf zwei Beinen ist!«

»Mach dich nicht über ihn lustig, er hat auch dir gerade den Kragen gerettet. Uns blieb keine andere Wahl als wegzurennen.«

»Natürlich. Für dich ist Flüchten ja die Problembewältigung Nummer eins.«

»Wa- also, wenn du schon von Problemen sprechen willst, verglichen mit dir, bin ich ein verdammter Heiliger und -«

Plötzlich meldete sich Vampa zu Wort: »Woher wussten die Polizisten, dass ich in der Lagerhalle war?«

Überrascht blickten Apolonia und Tigwid ihn an.

»Vielleicht waren es die Dichter«, überlegte Tigwid nach einem Moment.

»Unmöglich.« Apolonia massierte ihre Ohren, die vom Rennen in der kalten Luft wehtaten. »Die Polizei hat schließlich nach Vampa gesucht. Woher sollten die Dichter wissen, dass er dort sein würde?«

»Vielleicht haben sie es rausgefunden«, meinte Vampa leise. »Mit Mottengaben.«

Apolonia schüttelte energisch den Kopf, obwohl die Vorstellung sie schaudern ließ. »Unsinn. Bevor wir nach einer übersinnlichen Erklärung suchen, sollten wir uns lieber irdischen Tatsachen zuwenden: Wer hätte wissen können, wo ihr ...«

Apolonia sah Tigwid an und erstarrte. Hinter einem alten Waggon waren die drei Polizisten aufgetaucht. Lautlos hoben sie ihre Schlagstöcke.

Apolonia riss den Mund auf. Innerhalb eines Wimpernschlags begriff Tigwid und fuhr herum - aber es war zu spät. Der erste Schlag traf ihn gegen die Schläfe. Er fiel beinahe auf die Knie, wehrte den nächsten Schlag jedoch mit der Hand ab, versuchte, sich aufzurappeln, und stolperte los.

Apolonia fühlte sich wie aus ihrem Körper gerissen. Ihre Beine begannen zu rennen, aber sie kontrollierte es nicht. Vor ihr rannte Vampa, sprang über Bahngleise und huschte zwischen Kisten und verrosteten Tonnen hindurch. Irgendwo erklang ein ohrenbetäubendes Brausen. Apolonia stieß einen Schrei aus, als direkt vor ihr ein Zug vorbeirauschte und sie um Haaresbreite überrollte. Vampa war schon auf der anderen Seite. Waggons sausten wie ein schwarzes, röchelndes und dampfendes Monstrum an ihr vorüber, dann war der Zug davongefahren und vor Apolonias Augen tanzten flimmernde Funken. Der Schock drückte ihr das Herz gegen den Hals; nur allmählich bekam sie wieder Luft. Hinter ihr erklangen Schritte, dann dumpfe Schläge, ein Aufschrei.