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Tigwid! Sie fuhr herum und entdeckte ihn auf dem Boden, die uniformierten Männer über sich.

Sie wollte ihm helfen oder irgendetwas tun, aber sie konnte sich nicht bewegen. Wie gelähmt sah sie zu, wie Tigwid zusammenbrach. Einer der Polizisten rannte jetzt auf sie zu.

»Apolonia!« Vampa war zu ihr zurückgelaufen und zerrte sie am Ärmel. »Komm!«

»Lass mich - Tigwid!«

»Der ist bewusstlos!«

Apolonia fand endlich ihre Fassung wieder, versuchte, sich aus Vampas Umklammerung zu befreien, schwenkte mit ihm im Kreis und schaffte es, sich eine leere Holzkiste von einem Stapel zu greifen. Sie holte damit aus und zielte ohne rechte Überzeugung auf den heraneilenden Polizisten. Noch während sie die Kiste hob, wollte Vampa sie ihr wegreißen. Da sie nicht losließ, konnte Vampa sie ein paar Schritte außer Reichweite des Blaurocks ziehen. Gemeinsam taumelten sie über die Gleise.

»Gib - zurück!«

Vampa hielt die Kiste in der einen Hand, mit der anderen umklammerte er Apolonias Handgelenk. Aus Nebel, Dampf und Schnee rauschte ein zweiter Zug heran.

Der Polizist zog seine Pistole und sprang über das Bahngleis. »Stehen bleiben!«

Vampa warf die Kiste mit letzter Kraft nach dem Blaurock. Sie traf ihn vor die Brust, er stolperte zurück und fiel über die Gleise. Apolonia schnappte nach Luft.

Das Pfeifen des Zuges machte sie taub.

Schwarze Räder sausten über den Polizisten hinweg. Alle Stimmen verblassten im entsetzlichen Kreischen des Zuges.

Der Boden kreiste unter Apolonia. Sie spürte, wie eine dunkle Welle über ihr zusammenbrach. Die Arme, die sie auffingen, nahm sie schon nicht mehr wahr.

Bassars Plan

Eiligen Schrittes ging Betty Mebb durch die Korridore des Polizeipräsidiums. Die elektrischen Lichter an der Decke tauchten ihr Gesicht in einen grünlichen Glanz und malten ihr unruhige Schatten unter die Füße. In der Ferne quietschten Schritte, ansonsten herrschte hier unten eine angenehme, satte Stille. Verhörzimmer zogen links und rechts an ihr vorbei. Durch manche Türfenster konnte sie Kollegen bei der Arbeit sehen.

Sie bog in einen Korridor ab, öffnete eine grün gestrichene Tür und trat ein.

»Ah, Betty!« Soligo, der sich mit hochgekrempelten Hemdsärmeln auf den Tisch gestützt hatte, richtete sich auf und nahm einen Zigarettenstummel aus dem Mundwinkel. »Die Rettung naht!«

Mebb setzte sich dem Verhafteten gegenüber auf den Stuhl, streifte ihre Handschuhe ab und legte sie bedächtig übereinander. »Guten Tag, Junge. Möchtest du ein Glas Wasser?«

Ohne Tigwid anzusehen oder eine Antwort abzuwarten, zog sie eine Schublade unter dem Tisch auf und holte ein zweites Glas hervor, das sie neben Soligos halb geleertes stellte. Sie schenkte ihm ein und schob das Glas vor ihn.

Tigwid beobachtete sie ungerührt.

Mebb zog ihre Taschenuhr hervor. »Schon kurz nach neun.«

Soligo beugte sich tief über Tigwid und blies ihm Rauch ins Gesicht. Noch unerträglicher fand Tigwid allerdings den Anblick der blonden Brusthaare, die dem Kommissar aus dem geöffneten Hemdkragen quollen und dabei erschreckend nahe an sein Gesicht kamen - wie die Fühler eines Unterwassertiers.

»Du sitzt hier seit mehr als fünf Stunden. Und es werden noch doppelt und dreifach so viele, wenn du uns weiterhin an der Nase herumführst!« Soligo schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wo sind deine Freunde? Sie haben einen Polizisten umgebracht, verstehst du das?«

Tigwid warf dem Kommissar trotz seiner Erschöpfung einen funkelnden Blick zu. »Ich habe die Wahrheit gesagt. Es war ein Unfall. Außerdem schweben sie in großer Gefahr. Und es werden noch mehr Menschen sterben, wenn -«

Soligo riss ihn am Kragen hoch. »Noch ein Wort über Motten und du fliegst für die nächsten zehn Jahre in den Knast, kapiert?«

»Kommissar Soligo.« Mebb faltete die Hände. »Erwürgen Sie nicht den Gefangenen.«

Knurrend ließ Soligo von ihm ab und zerdrückte seine Zigarette im Aschenbecher.

Mebb öffnete die Protokollmappe, die vor ihr auf dem Tisch lag, und überflog das Geschriebene. »Du hast uns deinen Namen nicht verraten.«

»Ich heiße Tigwid«, sagte Tigwid, und ein kleines Lächeln gelang ihm, obwohl Soligos Würgegriff ihn noch ein wenig schwindelig machte.

»Dass du deinen Namen nicht nennen willst, spricht nur gegen dich. Wer bist du? Arbeitest du für jemanden? Was hast du mit einem Boxer namens Vampa aus Eck Jargo zu tun?«

Tigwid stöhnte leise. Wie oft sollte er das noch erzählen?

»Er und ich sind beide Opfer der Dichter. Vampa kann nicht sterben und nicht altern, weil die Dichter ihm seine Vergangenheit geraubt und in ein Blutbuch geschrieben haben. Und mir haben sie die glücklichsten Erinnerungen gestohlen. Das ist alles, was ich mit ihm gemeinsam habe.«

Als Soligo erneut die Hände nach Tigwid ausstreckte, hielt Mebb ihn mit einer Geste zurück. »Es war auch ein Mädchen dabei.«

»Sie wurde von den Dichtern entführt. Sie war heute Morgen sogar hier bei euch! Aber es hat ihr ja keiner geholfen.«

»Vielleicht hat sie genauso viel Mist erzählt wie du«, sagte Soligo und bohrte Tigwid mit jedem Wort seinen Zeigefinger in die Brust.

»Wenn wir Ihnen Mist erzählen wollten, würden wir die Geschichte doch wenigstens so simpel machen, dass jemand wie Sie sie auch kapiert, oder?«

»Was soll denn das heißen?«, fragte Soligo drohend, wobei Tigwid nicht den leisesten Zweifel hatte, dass der Kommissar es wirklich nicht begriff. »Willst du meine Autorität anzweifeln? Soll ich dir mal sagen, was ich mit Pissern wie dir mache?«

Mebb verschnürte die Protokollmappe und sah Tigwid an. Unter dem kalten Blick der Kommissarin musste er schlucken. Aufgeblasene Kerle wie Kommissar Soligo kannte er zur Genüge - wenn sie keine lästigen Polizisten wurden, schlugen sie die Laufbahn lästiger Ganoven ein, aber hinter der großen Klappe verbarg sich in beiden Fällen nichts als heiße Luft. Vor stillen Leuten wie der Kommissarin aber hatte Tigwid gelernt, sich in Acht zu nehmen.

»Ich werde ehrlich zu dir sein, Junge. Du steckst in großen Schwierigkeiten. Deine Freunde werden des Mordes bezichtigt. Und du verrätst uns nicht, wo sie sind. Du verrätst uns nicht einmal deinen Namen.« Sie lehnte sich vor. »Früher oder später wird dich jemand identifizieren. Gewiss hast du dich in Eck Jargo herumgetrieben. Viele deiner Freunde von dort sind schon längst bei uns und die sind redseliger als du. Sag uns deinen Namen. So schlimm kann er nicht sein, du bist noch jung und hattest noch nicht so viel Zeit, um ihn allzu sehr zu belasten. Und wenn du für jemanden gearbeitet hast, an dem wir womöglich Interesse haben ... können ein einziger Name, eine kleine Information dich vor einem Prozess bewahren. Verstehst du, was ich meine? Es ist nur zu deinem Besten.«

Tigwid begann, leise zu lachen. »O nein! Ihr spielt die Böser-Bulle-guter-Bulle-Nummer? Nachdem mich die Schmalzlocke einschüchtert, gewinnen Sie mit Ihrer Fürsorglichkeit mein Vertrauen! Ich bitte Sie. Das durchschaut doch jeder.«

»Falsch geraten«, knurrte Soligo. »Meine Kollegin ist alles andere als fürsorglich, das wirst du noch merken.«

Tigwid erwiderte nichts, als die Kommissarin ihn ausdruckslos ansah. Im Grunde bezweifelte er auch, dass Kommissar Soligo seine Widerwärtigkeit während der vergangenen Stunden nur gespielt hatte. So viel Einfallsreichtum und Ausdauer besaß kein Schauspieler.