Выбрать главу

»Professor Ferol kennst du ja schon«, bemerkte Morbus. Ferol vollführte eine krampfhafte Verbeugung und schloss die Hände zu roten Fäusten. »Ich fühle mich geehrt, Fräulein Apolonia.«

»Constantin van Ulir«, stellte Morbus den nächsten Dichter vor. Er war ein kompakter, älterer Herr mit schütterem weißem Haar und einer Narbe, die sich vom Hals bis zur rechten Wange zog. Mit einem ehrgeizigen Leuchten in den Augen nickte er Apolonia zu.

»Und schließlich Augustus Noor, mein alter Freund. In Kürze wird sein zweiter Roman erscheinen, der erste hat bereits im vergangenen Frühling für Furore gesorgt - was wir natürlich erwartet haben. Diese Veröffentlichungen dienen uns übrigens nur zur Tarnung. Aber ich muss gestehen, dass uns die Honorare bei der Bekämpfung des Bösen nicht ganz ungelegen kommen.«

Der alte Herr Noor sah nicht unbedingt wie ein Dichter und Künstler und schon gar nicht wie eine begabte Motte aus. Er trug einen dunkelbraunen Anzug, der über seinem mächtigen Bauch spannte, und hatte kurzes, pomadisiertes Haar, das eher zu einem Bankdirektor gepasst hätte. Seine fleischigen Wangen und sein Doppelkinn hingen ihm über den Hals wie zerlaufenes Kerzenwachs. Weder er noch sonst ein Dichter verkörperte und verschleierte die wahre Natur ihres Bundes so perfekt wie Morbus; keiner wirkte annähernd so elegant und erschreckend, vertrauenswürdig und undurchschaubar wie ihr Meister, und Apolonia bezweifelte, dass es überhaupt einen Menschen gab, der Morbus ähnelte.

Jetzt da die Dichter vorgestellt waren, klatschte Morbus einmal in die Hände und wandte sich an Apolonia und Vampa. »So, da unsere Runde komplett ist, müssen wir uns von dem Jungen verabschieden. Meine verehrten Herren, darf ich Ihnen die Aufgabe überlassen, sich seiner anzunehmen? Manthan, dies ist eine gute Gelegenheit für Sie, um Ihre Fähigkeiten zu erproben.«

»Was meinen Sie?«, fragte Apolonia alarmiert.

»Nun«, erklärte Morbus mit vor Bedauern gerunzelter Stirn, »der Junge hat unser Gespräch mitangehört und außerdem erfahren, dass er einst ein Mitglied des TBK war. Zudem weiß er, dass Caer Therin unser bescheidenes Versteck ist. Das alles sind Dinge, an die er sich später, wenn er zu Collonta läuft, erinnern wird ... besser, er erinnert sich nicht.«

Der stämmige van Ulir und Kastor fassten Vampa an den Armen. Er wehrte sich nicht.

»Ist das wahr?«, flüsterte sie ihm zu.

»Verschwende deine Zeit nicht mit ihm«, mahnte Nevera. »Er war ein boshafter, tückischer Verbrecher, auch wenn er sich nicht daran erinnern kann - und er wird zu seinem einstigen Meister zurückkehren, falls wir den Namen Collonta nicht ein zweites Mal aus seinem Gedächtnis schreiben!«

Vampa schien das nicht zu hören. Fast abwesend starrte er Apolonia an, sein Blick saugte ihr Gesicht in sich auf, als wolle er es sich besonders gut einprägen.

»Sag was«, befahl Apolonia, aber ihre Stimme zitterte. Was dachte sie sich denn - dass Vampa ihr versichern könnte, es stimme nicht? Dass er widersprechen und rufen würde, es sei nicht wahr - er sei nie ein Terrorist gewesen, die Dichter logen, Apolonia solle ihrer Freundschaft mehr vertrauen als Morbus’ Worten? Nein, Vampa sagte nichts. Er wusste ja selbst nichts über seine Vergangenheit. Und über Freundschaft und Glauben und Vertrauen erst recht nicht.

»Ich schlage vor, dass die Sache in unseren Laborräumen erledigt wird«, warf Morbus ein, der mit verschränkten Armen am Fenster stand und allen anderen den Rücken gekehrt hatte, als könne er die Szene nicht mitansehen.

»Komm, Junge«, sagte Ferol und winkte Vampa. Kastor und van Ulir zogen ihn zur Tür. Als die Dichter ihn umdrehten, wandte er den Kopf zu ihr zurück. Tränen glänzten in seinen leeren Augen. Apolonia fühlte, wie es ihr die Kehle zuschnürte, doch sie regte sich nicht und sagte nichts.

»Apolonia«, murmelte Vampa - allein um ihren Namen noch einmal auszusprechen, so schien es. Dann schloss sich leise die Tür und Vampa war mit den Dichtern verschwunden.

Eine Hand legte sich auf Apolonias Schulter. Sie zuckte zusammen. »Es ist besser so«, sagte Nevera und atmete erleichtert aus.

Irgendwo vernahm er leise flüsternde Stimmen. Stoff raschelte und Füße scharrten über den Boden.

»Ist der Verband sauber?«

»Loo hat ihn frisch besorgt.«

»Die Kugel hier rein ...«

Ein zartes Klirren von Metall.

»Saß ganz schön tief, was?«

»Gerade noch mit dem Skalpell erreichbar.«

Tigwid kam zu sich. Allmählich kehrte sein Bewusstsein zurück, doch er erinnerte sich an nichts. Was war geschehen? Wieso hatte er das Gefühl, mit der Schulter in einem Schraubstock zu stecken? Er versuchte, die schweren Augenlider zu öffnen. Immer wieder überkam ihn die Panik, das Gleichgewicht zu verlieren und nach links oder rechts in irgendeine Tiefe zu stürzen - dann erst wurde ihm bewusst, dass er mit dem Rücken auf festem Boden lag.

Zwei verschwommene Gesichter erschienen über ihm. Das eine war breiter als das andere... Das Gesicht eines Mannes, durchschoss Tigwid ein Gedanke, obwohl er nur Schemen erkannte. Vielleicht war es auch eine ziemlich männliche Frau mit buschigen Augenbrauen. Daneben beugte sich das andere Gesicht über ihn, umrahmt von kurzem weißgrauem Haar.

Eine Hand berührte seine Stirn. Kühle Finger strichen ihm die Schläfe entlang. »Jorel ...« Die Stimme war erschreckend nah und eindringlich.

»Er ist noch im Fieberwahn.« Eindeutig eine männliche, alte Stimme.

Das schmalere Gesicht beugte sich näher zu ihm herab. »Hörst du mich?« Es war ein Flüstern, doch es erreichte ihn so intensiv, dass Tigwid das Gefühl hatte, sein Kopf müsse zerspringen. »Keine Sorge. Du wirst nicht sterben.«

»Sterben?«, lallte er erschrocken. »Wieso?« Er spannte die Nackenmuskeln und hob den Kopf. Wie zur Antwort ging ihm ein betäubender Schmerz durch das rechte Schulterblatt. Er stöhnte und sank zurück. Völlig unpassenderweise begleitete den Schmerz ein plätscherndes Lachen.

»Sei beruhigt«, sagte dieselbe Stimme wie zuvor. »Du bist in Sicherheit. Du bist beim Treuen Bund der Kräfte, Mottenbruder.«

Das Buch der Antworten

Sobald die Tür sich geschlossen hatte, griffen die Dichter ihn links und rechts fester an den Armen, als sei er ein wildes Tier, das gerade aus seinem Käfig geführt wurde. Dabei wehrte sich Vampa jetzt genauso wenig wie vorher. Er taumelte, von den Dichtern umringt, den Flur entlang und eine schmale Treppe hinab. Die Dichter drängten sich eng hinter und vor ihm und hatten es immer eiliger; immer schneller, immer ungeduldiger drückten sie Vampa vorwärts.

Die Treppe endete in einem hellen Pavillon und kaltes Tageslicht fiel über sie. Vampas Augen irrten zu den Fenstern, und er blickte in den weißen Winterhimmel, bis die Dichter ihn in einen schattigen Flur geführt hatten und das Licht verschwand.

Vampa rang zitternd nach Luft. Ein Dichter trat ihm versehentlich vor die Füße und Vampa stolperte. Mehrere Hände packten ihn an seinem Mantel, seinen Armen und seinem Nacken. Er wurde wieder auf die Füße gezerrt und umso hastiger angetrieben. Er hörte die Drohungen kaum, fühlte nicht die eisernen Griffe und die Finger, die sich in seine Haut gruben. Das alles passierte irgendwo hinter einem dunstigen Schleier.

Apolonia... ihr Gesicht hatte so verwirrt ausgesehen, so zweifelnd und vorwurfsvoll. Tränen hatten in ihren Augen geglänzt. Ihre Augen! Heiße Übelkeit spülte durch ihn hindurch. Es war, als hätte er von ihr gelesen, in einem Blutbuch. So sehr berührte ihr Gesicht ihn.