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Vampa setzte sich in Bewegung. Der Gehstock glitt von seinem Hals hinunter zu seinem Rücken. Fräulein Friechen folgte ihm mit humpelnden Schritten durch das dunkle Geschäft. Die Möbel und die Blechdosen in den Regalen überzog längst eine dicke Staubschicht. Als Vampa einen dunklen Vorhang am Ende des Raumes erreichte, verschwand der sanfte Druck an seinem Rücken.

»Eure Angelegenheit, Jungs«, sagte die Alte friedlich, und Vampa hörte das dumpfe Klopfen ihres Gehstocks, als sie sich entfernte. Er drehte sich um, als sie verschwunden war, und schob den Vorhang hinter sich auf, den Blick zum Schaufenster hinaus gerichtet. Zwei Hände griffen ihn von hinten an den Schultern und zogen ihn am Vorhang vorbei. Erst jetzt, da der schwarze Stoff vor ihm zufiel, durfte Vampa sich umdrehen.

Er stand unter einer nackten Glühbirne, die von der niedrigen Decke baumelte, und konnte nur Schemen von den Männern erkennen, die rings um ihn an der Wand saßen. Aber die Gewehrläufe glänzten hell im Lichtschein.

»Vampa. Sei gegrüßt«, knurrte eine Stimme.

»Seid gegrüßt«, erwiderte Vampa. Vor ihm führte eine schmale Treppe in die Tiefe. Er setzte sich in Bewegung und schritt die Stufen hinab. Als die Treppe eine Wendung machte, drückte ihm flüchtig ein Gewehrlauf gegen die Schläfe, der durch eine Öffnung in der Wand ragte - die Wände waren hier voller Löcher, und man wusste nie, aus welchen die Wächter von Eck Jargo gerade auf einen zielten.

Am Ende der Treppe leuchtete Vampa Licht entgegen. Er trat in einen Raum mit schwarzen Wänden. Die acht Türöffnungen ringsum waren wie aufgesperrte Rachen, in denen Treppen gleich roten Zungen schimmerten. Ein massiver Schreibtisch aus Kirschbaumholz stand in der Mitte des Zimmers und darauf ein großer goldener Kerzenständer, der über und über mit Kerzen beklebt war. Ihr Licht bestrahlte das Gesicht einer stark geschminkten, rundlichen Dame.

»Grüß dich, Vampa«, sagte Dotti. »Wie immer alleine?«

»Wie immer«, sagte Vampa leise. Es kam nicht oft vor, dass Dotti höchstpersönlich der Anmeldung vorsaß. Für gewöhnlich war sie im Mauseloch oder in der Roten Stube bei den Tänzerinnen beschäftigt. Sie war die Einzige, die Kontakt zu jenen geheimnisvollen Leuten zu haben schien, die das Wirtshaus führten. Jeder wusste, dass sie das schlagende Herz von Eck Jargo war.

»Du kommst gerade rechtzeitig«, fuhr Dotti in geschäftsmäßigem Ton fort. »Dein Kampf findet in drei Minuten statt.« Dabei blickte sie auf eine Taschenuhr und wies mit einem Kopfnicken auf eine der Türöffnungen. »Vielleicht schaue ich später noch vorbei.«

Vampa trat durch die Türöffnung von Bluthundgrube. Die schmalen Holzstufen führten ihn zu einer Tür, von der er in der Dunkelheit nur die schweren Eisenschrauben schimmern sah. Gedämpfter Lärm drang zu ihm. Vampa klopfte an, ein Schiebefenster öffnete sich und zwei Augen richteten sich auf ihn.

»Was willst du hier in Bluthundgrube?«, fragte der Wächter unwirsch, dabei kannte er Vampa gut - er musste jedem diese Frage stellen.

»Ich bin ein Bluthund«, sagte Vampa.

Der Wächter schob das Fenster wieder zu. Einen Moment später öffnete er die Tür und Vampa trat in Bluthundgrube ein.

Wenn man darüber nachdachte, war es nichts als ein muffiger Keller, in den die unzähligen Männer allnächtlich strömten. Die Decke war niedrig und feucht, die Luft brannte vor Rauch und Schnaps in den Augen. Der Boden aus festgestampfter Erde und Holzbrettern war längst von Wasser, Bier und Blut durchtränkt. Es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. Männer grölten, Gläser wurden zerschlagen, Zähne flogen - das finstere Erdloch vibrierte vor Krach und Gewalt. Aber genau deshalb füllte sich Bluthundgrube auch Nacht um Nacht mit den aufgebrachten Scharen: Sie wollten sich vom Anblick der Kämpfe entsetzen lassen. Und wenn sie bei den Wetten auch noch ein paar Münzen gewannen, schwelgte der ganze Keller in Gier und Euphorie.

Vampa drängte sich durch die Menge, atmete den Schweiß und Moder und Schnaps, bis er den Boxring erreichte. Eine grell geschminkte Tänzerin aus der Roten Stube nahm ihm Mütze, Jacke und Hemd ab. Eine zweite umwickelte seine Fingerknöchel und Handgelenke mit Bandagen. Das Stimmengewirr schwoll an. Die Menge drückte sich enger an den Ring. Der Schiedsrichter, ein bulliger Boxer in früheren Tagen, der jetzt hinkte, trat in den Ring und schwang eine Klingel über seinem Kopf. Jubel brach aus und Wettzettel wurden geschwenkt.

»Zur Linken«, schrie der Schiedsrichter, wobei er auf Vampa wies, »der unzerstörbare, der unsterbliche, höllische Vampirjunge!«

Aus der Menge wogte ein zugeknöpftes »Huh-huh-huhu!«

»Und zur Rechten der Herausforderer, der große, der kolossale, der furchtlose Metzger!«

»Ja! Ja! Ja ...«

Der pickelige Mann wälzte die Schultern. Sein Gesicht sah aus wie ein geschwollenes Fleischstück, auf dem der Schimmel weiß blühte. Vampa tänzelte auf der Stelle. Im bröseligen Licht der Glühbirne, die einsam über dem Boxring hing, verschwammen die Zuschauer zu zuckenden Schatten. Allein der Metzger blieb erkennbar, der massige Körper vom schummrigen Licht wie in Senf getaucht.

Die Klingel schrillte. Gejohle erklang. Mit einem Schrei stürzte der Metzger auf Vampa zu.

Vampa erinnerte sich gut an seinen ersten Kampf. Er lag fast sieben Jahre zurück.

»Dotti«, hatte er gesagt, »du musst mir helfen.«

Die Tänzerin hatte ihn mit ihren klugen Augen angesehen, ohne eine Miene zu verziehen. Und doch standen ihr die Ängste sichtbar ins Gesicht geschrieben: Vampa klang nicht, als bräuchte er Hilfe. Er klang nie nach irgendwas. Es war, als gehöre seine Stimme nicht ihm; als habe ein Geist von ihm Besitz ergriffen, der weder wusste, wie man den Worten einen Klang verlieh, noch einen menschlichen Gesichtsausdruck hervorbringen konnte. Vampa hatte kein Anzeichen von Menschlichkeit. Er hatte keine Gefühle.

»Wie soll ich dir helfen?«, erwiderte Dotti mit der Gelassenheit einer Frau, die diese Bitte oft hört.

»Ich brauche Arbeit. Irgendwas. Ich ... ich brauche Essen.«

»Hol dir die Abfälle vom Mauseloch, da gibt es doch genug.« Als Dotti ihn fortwinken wollte, sagte er fest: »Ich brauche kein Essen nur für heute Abend. Ich dachte, ich komme ohne aus. Aber ... ich lag falsch.«

»Wie meinst du das, du dachtest, du kommst ohne aus? Ohne was?«

»Ohne Essen.«

»Seit wann?«

Er dachte nach. Irgendetwas regte sich hinter der Maske seines bleichen Gesichts. »Seit wir Tee getrunken haben.«

Dottis Augen wurden groß. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, obwohl sie gerne die Hände vor den Mund geschlagen hätte.

Genau drei Monate zuvor war Dotti in der Stadt unterwegs gewesen. Sie hatte Geschäftspartner besucht und war in einigen der einflussreichsten Häuser der Stadt zum Tee gewesen, um Gäste von Eck Jargo zu treffen. Danach hatte sie ihrem Schneider einen Besuch abgestattet, der ihr ein neues Cape aus Hermelinfell machen sollte, wie Dotti es sich schon so lange wünschte.

Als sie auf dem Weg zu Fräulein Friechens Teestube war, entdeckte sie etwas am Straßenrand, zusammengekauert zwischen Schutt und Abfall. Sie blieb stehen. Es sah aus wie eine Leiche. Ein Paar alter, abgetragener Schuhe ragte hervor.

Dotti blickte nervös zu allen Seiten. Es kam hin und wieder vor, dass sich solche Überreste in der Nähe von Fräulein Friechens Teestube fanden ... Die Wächter kümmerten sich meistens um ihre rasche Entsorgung, denn eine derartige Spur konnte geradewegs an die Pforten von Eck Jargo führen, vor allem jetzt, da die Polizei aufmerksamer war denn je und ihre Spitzel schon den kleinsten Blutstropfen witterten. Als Dotti näher trat, um zu prüfen, ob sie den Toten gekannt hatte, erschrak sie: Der Tote war gar nicht tot, sondern blinzelte träge mit den Augen.