Выбрать главу

»Genau!«, stimmte Flamm ihm zu und leckte sich Milchund Schnapsreste von der Oberlippe. »Jorel will nämlich ein paar Dinge für mich ermitteln.«

»Über Vampa?«, fragte Dotti.

»Wer ist Vampa?« Flamms Wange zuckte gefährlich.

»Vampa könnte mehr wissen, hat viele Kontakte«, log Tigwid schnell.

»Hab ihn wirklich nicht mehr gesehen«, meinte Dotti, und eine Spur Misstrauen trat in ihre Augen, als könne Vampa im nächsten Augenblick hinter Tigwid hervorspringen und ihr wer weiß was antun.

»Sie müssen meine Leute kennenlernen«, fuhr Flamm, an Dotti gewandt, fort. »Ich denke, wir sind Geschäftsleute in derselben Branche, sitzen sozusagen im gleichen Boot. Zusammen ist man stärker ...«

Dottis Blick leuchtete trotz des geleerten Feuermilchbechers auf. »Nach dem Geschäft ist vor dem Geschäft war früher mein Motto. Ich bin keine Frau, die so leicht aufgibt, wissen Sie.«

Flamm und Dotti schielten sich lange in die glasigen Augen. Dann lehnte sich Flamm zu ihr vor. »Wenn Sie einverstanden sind, Madame, können wir uns ... eingehender unterhalten, wo wir vor unerwünschten Zuhörern sicher sind. Dort hinten habe ich einen bewachten Tisch.«

Dotti nickte bezaubert und reichte Flamm die Hand. »Jetzt wo sowieso alles vorbei ist ... ich pfeif auf die blöde Sicherheit! Wissen Sie was: Eck Jargo stand unter meiner Führung.«

»Nein ...!«

Noch ehe Dotti und Flamm ein weiteres geschäftliches Geheimnis ausgetauscht hatten und noch lange bevor sie ihre ersten gemeinsamen Pläne schmiedeten, hatte Tigwid den Königsfuß verlassen und lief raschen Schrittes die Gasse hinunter. Immer wieder drehte er sich um, doch Flamm schickte seine Totschläger nicht hinter ihm her. Sein Herz flatterte ihm in der Brust wie Papier im Wind. Wenn Flamm wüsste, wer die Polizei in sein Büro geführt hatte ... und überdies auch noch an Eck Jargos Untergang Schuld trug! Er schloss die Augen.

Nach ein paar Atemzügen an der kalten Luft verließ Tigwid die Angst. Nun dachte er an Apolonia und Vampa. Sie waren also nicht bei den Spiegelgolds gewesen, sie waren nicht in Vampas Versteck, sie waren nicht im Untergrund. Blieb nur noch die Polizei oder die Dichter ... Verdammt, er musste unbedingt herausfinden, wo dieser Professor Ferol wohnte. Nur war zweifelhaft, ob die Banditen, die er befragen konnte, etwas über Kunstprofessoren wussten.

Er bog in eine Straße, in der sich eine Schänke an die andere reihte. Gedämpfter Lärm und Gläserklirren waren die Melodie der Nacht. Vor einer der Schänken lehnte ein junger Mann mit einer Pfeife im Mund und einer Zeitung in der Hand. Tigwid erkannte den Bekannten aus Eck Jargo wieder, den alle wegen seiner angeblich vornehmen Herkunft und seiner intellektuellen Allüren den Grafen nannten. Tigwid setzte ein Lächeln auf. Wenn überhaupt ein Ganove über die Kunstprofessoren der Stadt Bescheid wusste, dann der Graf.

»He, wie geht’s?«

Der junge Mann blickte von seiner Zeitung auf und grinste. »Jorel! Noch auf freiem Fuß, gut, gut. Mich haben sie auch nicht erwischt - als Eck Jargo passiert ist, war ich Gast bei Freunden, die eine Villa besitzen.« Das sagte er mit seiner typischen Überheblichkeit.

»Was machst du so?«, erkundigte Tigwid sich, um seine Frage nach Professor Ferol in ein lockeres Gespräch einflechten zu können.

»Ich spiel heute Abend Kindermädchen.«

Tigwid nickte. Kindermädchen spielen bedeutete, dass ein Ganove vor einer Schänke auf Betrunkene wartete, um sie auszurauben. Das kostete wenig Mühe, bloß die Zeit brauchte man, und im Winter hatten nur die wenigsten Banditen Lust, lange in der Kälte herumzustehen.

»Schon Beute gemacht?«, fragte Tigwid.

»Nee, noch zu früh ... ich lese gerade diesen Artikel, hochinteressant.« Der Graf wies gerne darauf hin, dass er lesen konnte und Zeitungen nicht nur als Unterlage zum Schlafen benutzte. Nun pfiff er leise und blies ein paar Rauchringe. »Es gibt eine Terroristengruppe, hast du das gewusst? Die stecken hinter den Kindermorden, stell dir das vor. Das ist eine Riesensache, aber die Bande ist so geheim, dass nicht mal die größten Verbrecher sie kennen. Sogar ich habe jetzt zum ersten Mal vom TBK gehört. Die wollten vor acht Jahren die Regierung stürzen. TBK steht übrigens für Treuer Bund der Kräfte.«

Tigwid wurde blass. Mehrere Sekunden wollte seine Zunge sich nicht bewegen. Dann brachte er hervor: »Wer hat behauptet, dass es die gibt?«

»So’ne Kleine, die von ihnen entführt wurde und sich befreien konnte.«

Tigwid zog die Zeitung mit klammen Fingern an sich. Die Schlagzeile lautete: ENTTARNT. Als Tigwid das Wort entziffert hatte, benetzte bereits kalter Schweiß seinen Nacken. Dann packte er den Banditen am Arm und drückte ihm zitternd die Zeitung an die Brust. »Lies - mir das - bitte vor«, schnaufte er. »Alles. Den ganzen Artikel. Jetzt.«

Das Mädchen Loreley

Apolonia schlug die Zeitung auf und las sich die Schlagzeilen durch, während ein Dienstmädchen ihren morgendlichen Tee einschenkte. Der Duft von Brötchen und Rührei hing in der Luft. Die bleiche Wintersonne hauchte Licht durch die Fenster und umschmiegte alles mit kühlem Frieden. Apolonia nippte an ihrem Tee. Der umfangreichste Artikel, den eine Fotografie von zwei finster dreinblickenden Männern begleitete, trug die Überschrift: GEFASST! STAATSANWALT FORDERT HÖCHSTSTRAFE. Apolonia überflog den Text, obwohl nichts darin stand, was sie nicht schon wusste:

Heute, zehn Tage nach dem gleichermaßen spektakulären wie schockierenden Wahrheitsbekenntnis des Entführungsopfers Apolonia Spiegelgold, stehen die ersten TBK-Terroristen seit dem Putschversuch vor Gericht: Rumford K. und Marel T. Beiden werden die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Brandstiftung, die Entführung und grausame Ermordung von mindestens zwölf Kindern vorgeworfen. Die Leichen konnten bei der Stürmung von Eck Jargo vor knapp drei Wochen geborgen werden - es handelt sich um Jungen und Mädchen zwischen sechs und fünfzehn Jahren, deren Verschwinden der Polizei nur in sieben Fällen bekannt war. Die Motive des TBK sind noch unklar. Polizeiaussagen zufolge bekannten Rumford K. sowie Marel T. sich der Straftaten schuldig, ohne ihre Beweggründe zu erläutern. »Bei derart unberechenbaren Tätern«, äußerte sich Staatsanwalt Elias Spiegelgold gestern Morgen, »müssen wir dem einzigen überlebenden Opfer des TBK, Apolonia Spiegelgold, volles Vertrauen schenken.« Die Nichte des Staatsanwaltes hatte in den vergangenen Tagen mehrmals ihre Erlebnisse mit dem Treuen Bund geschildert. Unter anderem erklärte sie das Handeln des TBK damit, dass »Terroristen wie die des Treuen Bunds keine Ideologie vertreten; ihr einziges Ziel ist die totale Herrschaft, und solange diese außerhalb ihrer Reichweite liegt, werden sie so viel Schaden wie möglich anrichten, aus Rache an der funktionierenden Gesellschaft ...«

Apolonias Blick driftete zu anderen Artikeln ab. Auf der nächsten Seite stand ein ausführlicher Bericht über die einstigen Verschwörer und ihren Prozess: Elias Spiegelgold hatte die Todesstrafe für die drei verhafteten TBK-Anhänger gefordert und durchgesetzt. Bis zum heutigen Tag waren die Terroristen die letzten Verurteilten, die den Tod durch den Strang gefunden hatten. Viele, die Elias Spiegelgolds Härte vor acht Jahren befürwortet hatten, forderten auch heute die Exekution der beiden Terroristen; andere sahen in dem laufenden Verfahren Spiegelgolds rücksichtslosen Versuch, an den verjährten Höhepunkt seiner Karriere anzuknüpfen. Was Apolonia betraf, so kümmerten die Beweggründe ihres Onkels sie wenig. Sie wusste, dass er ein ehrgeiziger, durch und durch konservativer Mann war. Solange die Anhänger des Treuen Bunds ihre gerechten Strafen erhielten, war ihr gleich, was die Leute darüber dachten - die Wahrheit kannte ja sowieso niemand ganz.