„Cresk-Sars Fell sieht fürchterlich aus“, flüsterte die Kelgianerin. „Bei diesem Anblick habe ich immer das Gefühl, daß andauernd irgendwelche unsichtbaren Parasiten, die ich mir natürlich nur einbilde, zu mir herübergesprungen kommen. Davon kriege ich ein furchtbares, psychosomatisch bedingtes Jucken.“
Diesmal warf ihnen Cresk-Sar einen zweiten langen Blick zu, stieß ein verärgertes Schnaufen aus, das vom Translator nicht übersetzt wurde, und fuhr mit seinen Ausführungen fort.
„.ein zweiter Punkt ist die Geschlechtszugehörigkeit von Aliens, mit der jede Menge unlogischer Verhaltensweisen verbunden sind. Ich möchte betonen, daß man dieses Thema möglichst ignorieren oder sogar bewußt vermeiden sollte, es sei denn, das Geschlecht eines bestimmten Patienten hat direkten Einfluß auf die Behandlungsmethode. Einige von Ihnen sind vielleicht der Meinung, daß ein solches Wissen über Mitarbeiter einer anderen Spezies hilfreich oder nützlich sein könnte, insbesondere für Gespräche bei Treffen in der Freizeit oder wenn gerade ein besonders interessantes Gerücht kursiert, wie es hier oft vorkommt. Aber glauben Sie mir, auf diesem Gebiet ist Unwissenheit ausnahmsweise eine Tugend.“
In der unteren Hälfte der Reihe meldete sich ein Melfaner zu Wort. „Es gibt doch bestimmt gesellschaftliche Ereignisse, gemeinsame Mahlzeiten oder Vorträge, an denen verschiedene Spezies teilnehmen und wo es eine grobe Verletzung guter Manieren wäre, das Geschlecht eines intelligenten und gesellschaftspolitisch interessierten Lebewesens nicht zu beachten. Ich glaube, es.“
„Und ich glaube“, unterbrach ihn Cresk-Sar mit einem Bellen oder Lachen, „daß Sie das sind, was unsere terrestrischen Freunde einen Kavalier nennen. Sie haben mir nicht zugehört. Übersehen Sie den geschlechtlichen Unterschied. Betrachten Sie jeden, der nicht zu Ihrer Spezies gehört, einfach als Neutrum. Einige unserer Aliens müßten Sie sowieso ganz genau betrachten, um den Unterschied überhaupt festzustellen, und das allein könnte schon große Verlegenheit hervorrufen. Im Fall der Hudlarer, bei denen die Lebensgefährten die männliche und weibliche Rolle wechseln, sind die Verhaltensmuster zum Beispiel äußerst kompliziert.“
„Und was passiert, wenn die zeitliche Abstimmung zwischen den hudlarischen Partnern nur noch teilweise oder gar nicht mehr funktioniert?“ fragte die Kelgianerin neben Cha Thrat.
Aus der Reihe der Auszubildenden kam eine Anzahl Laute, von denen Cha Thrats Translator keinen übersetzte. Der Chefarzt musterte die Kelgianerin, deren Fell sich jetzt aus irgendeinem Grund in raschen und unregelmäßigen Wellenbewegungen kräuselte.
„Ich werde das als eine ernsthafte Frage behandeln“, erwiderte Cresk-Sar, „obwohl ich bezweifle, daß sie so gemeint war. Aber anstatt sie selbst zu beantworten, werde ich einen von Ihnen darum bitten. Würde der hudlarische Schüler bitte so nett sein vorzutreten?“ Das ist also ein Hudlarer, staunte Cha Thrat.
Er war ein untersetztes, kräftiges Wesen mit einer fast konturlosen, dunkelgrauen Lederhaut, die mit Flecken übersät war, die wiederum von der getrockneten Farbe stammten, mit der sich der Hudlarer vor dem Betreten des Unterrichtsraums besprüht hatte. Cha Thrat hatte ihn dabei beobachtet und war zu dem Schluß gelangt, daß er beim Auftragen seiner kosmetischen Mittel ausgesprochen nachlässig war. Der Körper wurde von sechs starken Tentakeln getragen, an deren Spitze jeweils ein biegsames Fingerbüschel saß. Die Tentakel waren nach innen gerollt, damit das Körpergewicht auf den kräftigen Ballen ruhte und die Finger nicht den Boden berührten.
Cha Thrat konnte keine Körperöffnungen entdecken, nicht einmal am Kopf. Dort befand sich aber neben den von harten, durchsichtigen Deckeln geschützten Augen auch eine halbkreisförmige Membran, die durch Vibrieren die Worte des Wesens hörbar machte, als es sich jetzt an die anderen Auszubildenden wandte.
„Das ist ganz einfach, verehrte Kolleginnen und Kollegen“, sagte der Hudlarer. „Während ich momentan männlich bin, sind alle Hudlarer bis zur Pubertät geschlechtslos. Welche Richtung danach eingeschlagen wird, hängt von den Einflüssen des sozialen Umfelds ab, die manchmal sehr subtil sind und bei denen Körperkontakt keine Rolle spielt. Beispielsweise kann das Bild eines attraktiven männlichen Angehörigen unserer Spezies einen geschlechtslosen Hudlarer zum weiblichen Geschlecht drängen oder umgekehrt. Falls für die Laufbahn, die man einzuschlagen beabsichtigt, ein bestimmtes Geschlecht bevorzugt wird, kann man sich auch bewußt entscheiden. Hat man keinen Lebensgefährten, ist das nach der Pubertät gewählte Geschlecht für den Rest des Lebens festgelegt.
Werden aber zwei erwachsene Hudlarer ein Paar, das heißt, verbinden sie sich, um eine Familie zu gründen und nicht nur zum vorübergehenden Vergnügen, dann setzt die Geschlechtsumwandlung kurz nach der Empfängnis ein. Bei der Geburt des Kindes ist das männliche Elternteil schon viel weniger aggressiv und seiner Gefährtin gegenüber aufmerksamer und gefühlvoller geworden, wohingegen diese allmählich die weiblichen Wesenszüge verliert. Nach der Geburt setzt sich der Vorgang fort. Der ehemalige Vater übernimmt nun die Verantwortung für das Kind, während er sich vollkommen in ein weibliches Wesen verwandelt, und die Mutter bildet sämtliche männlichen Eigenschaften aus, die sie dazu befähigen, ein zukünftiger Vater zu werden.
Natürlich gibt es einen Zeitpunkt, zu dem sich beide Lebensgefährten vom Gefühl her als geschlechtslos betrachten“, fügte der Hudlarer hinzu, „aber das ist stets die Phase der Schwangerschaft, in der die körperliche Vereinigung sowieso schädlich erscheint.“
„Ich danke Ihnen“, sagte Cresk-Sar, hob aber eine der kleinen, behaarten Hände, um dem Hudlarer zu signalisieren, er solle es dabei belassen. „Irgendwelche weiteren Anmerkungen oder Fragen?“
Der Chefarzt blickte jetzt zwar die Kelgianerin an, die vorhin die Frage zu diesem Thema gestellt hatte, trotzdem meldete sich die neben ihr stehende Cha Thrat spontan zu Wort.
„Mir scheinen die Hudlarer insofern Glück zu haben, als sie sich nicht darüber ärgern müssen, daß sich die Angehörigen des einen Geschlechts denen des anderen von Natur aus überlegen fühlen, wie es auf Sommaradva der Fall ist.“
„Und auf allzu vielen anderen Planeten der Föderation auch“, warf die Kelgianerin ein, deren Fell sich dabei hinter dem Kopf gleich büschelweise sträubte.
„.jedenfalls danke ich dem Hudlarer für seine Erläuterungen, aber mich hat die Feststellung überrascht, daß er momentan männlich ist“, fuhr Cha Thrat fort. „Wegen der Farbe auf seinem Körper, die ich fälschlicherweise für ein kosmetisches Mittel gehalten habe, dachte ich zuerst, er sei ein weibliches Wesen.“
Die Sprechmembran des Hudlarers begann zu vibrieren, aber Cresk-Sar bat mit einem Handzeichen um Ruhe und fragte: „Und was haben Sie danach gedacht?“
Verdutzt starrte sie den kleinen, behaarten Alien an und fragte sich, was sie sagen sollte.
„Kommen Sie schon“, bellte Cresk-Sar. „Erzählen Sie uns, was Ihnen zu dieser Lebensform sonst noch für Gedanken, Beobachtungen und Vermutungen, ob nun richtig oder falsch, durch Ihren sommaradvanischen Kopf gegangen sind. Denken und sprechen Sie klar und deutlich.“
Cha Thrat richtete all ihre Augen auf den Chefarzt, und das auf eine Art, die auf Sommaradva eine sofortige verbale und körperliche Reaktion ausgelöst hätte. „Meinen ersten Gedanken habe ich Ihnen gerade genannt. Mein zweiter war, daß bei den Hudlarern möglicherweise eher die männlichen als die weiblichen Wesen, vielleicht auch beide Geschlechter, Kosmetika benutzen. Dann habe ich beobachtet, daß sich der Alien sehr vorsichtig bewegt hat, als hätte er Angst, andere Lebewesen oder Geräte in seiner Nähe zu beschädigen oder zu verletzen. Das sind die Bewegungen eines Wesens von ungeheurer Körperkraft. Zusammen mit der gedrungenen, untersetzten Gestalt und der Tatsache, daß er nicht zwei oder vier, sondern sechs Beine hat, deutet das auf den Bewohner eines Planeten mit einer sehr dichten Atmosphäre, hoher Schwerkraft und entsprechendem atmosphärischen Druck hin, wo ein versehentlicher Sturz Verletzungen zur Folge hätte. Die sehr harte, aber biegsame Haut, die nirgends irgendwelche ständigen Körperöffnungen zur Aufnahme oder Ausscheidung von Nahrung aufweist, läßt darauf schließen, daß es sich bei der Farbe, mit der sich der Hudlarer nach meiner Beobachtung besprüht hatte, um so etwas wie ein Nahrungspräparat handelt.“