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Plötzlich teilte sich der Kopf und entblößte ein riesiges, rosafarbenes Maul mit etlichen Reihen großer, weißer Zähne. Das Wesen trieb immer näher an Cha Thrat heran, so daß sie sogar das regelmäßige Trüben des Wassers rings um die Kiemen sehen konnte. Dann öffnete sich das Maul noch weiter.

„Hallo, Schwester“, begrüßte sie der Alien schüchtern.

5. Kapitel

Cha Thrat fragte sich allen Ernstes, ob der Dienstplan der AUGL-Station von Oberschwester Hredlichli oder von einem unter einer schweren Betriebsstörung leidenden Computer, den das Wartungspersonal bei der letzten technischen Kontrolle übersehen hatte, aufgestellt worden war. Sich danach zu erkundigen war ihr jedoch nicht möglich, es sei denn, ihr war daran gelegen, das Niveau der geistigen Fähigkeiten von irgendeinem Mitarbeiter in Frage zu stellen. Jedenfalls konnte die- oder derjenige nach ihrem Dafürhalten nicht ganz normal sein, ganz gleich, ob es sich dabei um ein namenloses Wesen vom Wartungsdienst, um Hredlichli oder um den Plan selbst handelte. Nach sechs Tagen und zweieinhalb Nächten, in denen sie wie ein überarbeiteter Aal zwischen den riesengroßen Chaldern hin- und hergeflitzt war, hatte man ihr zwei ganze Tage gewährt, in denen sie tun durfte, was sie wollte — vorausgesetzt, sie verbrachte einen Teil der Freizeit mit Lernen.

Dabei sollte laut ihres unnachgiebigen nidianischen Ausbilders Cresk-Sar der Anteil für das Lernen am besten gleich neunundneunzig Prozent an der Freizeit betragen.

Inzwischen wirkten die Korridore des Orbit Hospitals nicht mehr ganz so furchterregend auf Cha Thrat wie noch vor ein paar Tagen, und sie versuchte gerade, sich zu entscheiden, ob sie auf Erkundung gehen oder lieber weiterlernen sollte, als es an der Tür klingelte.

„Tarsedth? Komm rein!“ rief sie erfreut.

„Ich hoffe, der fragende Ausruf meines Namens bezieht sich auf den Zweck meines Besuchs und ist nicht wieder mal ein Ausdruck des Zweifels an meiner Identität“, murrte die kelgianische Schwesternschülerin, als sie sich in wellenförmigen Bewegungen ins Zimmer hereinschlängelte. „Allmählich müßtest du mich wirklich von den anderen unterscheiden können!“

Wie Cha Thrat wußte, war keine Antwort oft die beste Antwort.

Die DBLF blieb vor dem Bildschirm stehen und fragte dann: „Was ist das denn? Der Unterkieferknochen eines ELNT? Du bist gut dran, Cha Thrat. Diese Sache mit der physiologischen Klassifikation hast du viel schneller kapiert als der Rest von uns. Ist das nur Glück, oder liegt das etwa daran, daß du in jeder freien Minute lernst? Als uns Cresk-Sar diese Abbildung ganze drei Sekunden lang vorgesetzt hat und du sie als Vergrößerung des großen Mittelfußknochens und der Fußwurzel eines FGLIs erkannt hast, noch bevor das Bild vom Schirm verschwunden war, da.“

„Du hast recht, ich habe nur Glück gehabt“, unterbrach Cha Thrat sie. „Zwei Tage vorher war der Diagnostiker Thornnastor bei uns auf der Station gewesen. Als wir damals den Patienten zur Untersuchung vorgeführt haben, hat es ein unbedeutendes Mißverständnis gegeben, ein kleines Mißgeschick meinerseits. Jedenfalls bin ich gestolpert und habe ein paar Augenblicke lang einen tralthanischen Riesenzeh von ganz nahem gesehen, während der Fuß versucht hat, nicht auf mich draufzutreten.“

„Und Hredlichli ist wahrscheinlich mit diesen fünf schwabbeligen Dingern, die sie als Füße bezeichnet und sogar als solche benutzt, direkt auf dich zugesprungen, oder?“

„Sie hat mir gesagt, daß ich.“, begann Cha Thrat, aber Tarsedths Mund und Fell hatten nicht aufgehört, sich zu bewegen.

„Das tut mir leid für dich“, fuhr die Kelgianerin fort.

„Hredlichli ist eine knallharte Chloratmerin. Bevor sie sich um die Arbeit mit anderen Spezies bei den Chaldern beworben hat, war sie Oberschwester auf der PVSJ-Station, auf der ich jetzt bin. Ich habe alles über sie erfahren, auch eine Episode, die sich zwischen ihr und einem PVSJ-Chefarzt auf Ebene dreiundfünfzig abgespielt haben soll. Ich wüßte zu gern, was da wohl passiert ist. Man hat mir das zwar zu erklären versucht, aber wer weiß schon, was bei Chloratmern so etwas wie richtiges, falsches, normales oder völlig empörendes Verhalten ist? Einige der Aliens in diesem Hospital sind mir wirklich äußerst fremd.“

Einen Moment lang starrte Cha Thrat den silbrigen Körper mit den dreißig Gliedmaßen, der wie ein pelziges Fragezeichen vor dem Bildschirm hockte, erstaunt an. „Das ist allerdings wahr“, stimmte sie ihrer Freundin schließlich zu.

„Hast du mit Hredlichli denn Ärger gehabt?“ erkundigte sich Tarsedth neugierig und kam damit auf ihre ursprüngliche Frage zurück. „Ich meine, wegen deines Mißgeschicks, als dieser Diagnostiker auf der Station war. Hat er vor, dich bei Cresk-Sar zu melden?“

„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Cha Thrat. „Nachdem wir die abendliche Visite bei den frisch operierten Patienten beendet hatten, sagte sie, daß ich ihr die nächsten zwei Tage lieber aus den Augen gehen solle und diese Maßnahme zweifellos genauso genießen würde wie sie. Habe ich dir schon erzählt, daß sie mir kurz darauf erlaubt hat, bei einigen Operationswunden den Verband zu wechseln? Natürlich unter ihrer Aufsicht und nur bei fast verheilten Wunden.“

„Also, wenn du ihr doch wieder unter die Augen kommen darfst, können die Probleme mit ihr ja nicht allzu groß sein. Was hast du eigentlich mit den beiden freien Tagen vor, Cha Thrat? Willst du lernen?“

„Ja, aber nicht nur. Ich möchte das Hospital erkunden, das heißt die Bereiche, in die ich mit meinem Schutzanzug hineinkomme. Cresk-Sars Hochgeschwindigkeitsführungen und Unterrichtsstunden lassen mir einfach nicht genügend Zeit, um ihm mal in Ruhe ein paar Fragen stellen zu können.“

Die Kelgianerin ließ weitere drei oder vier Beinpaare auf den Boden fallen, ein deutliches Zeichen, daß sie im Begriff war, sich zu verabschieden.

„Das hier wird ein gefährliches Leben für uns, Cha Thrat“, sagte sie. „Mir reicht es völlig, wenn ich über dieses medizinische Tollhaus nach und nach immer mehr erfahre und vor allem alles zu seiner Zeit. Außerdem verringert sich auf dieses Weise die Wahrscheinlichkeit, daß ich hier eines Tages womöglich noch als eins der Unfallopfer ende. Aber wie ich gehört habe, soll der Freizeitbereich unbedingt einen Besuch wert sein. Zu deinen Erkundigungen könntest du ja von dort aus starten. Kommst du mit?“

„Klar!“ stimmte Cha Thrat begeistert zu. „Dort werden sich wohl selbst diese Schwergewichtler mal entspannen und ausruhen und nicht wie bewegliche Katastrophen, die nur darauf warten, über einen hereinzubrechen, die Korridore entlangstürmen.“

Später mußte sich Cha Thrat wundern, wie sie sich dermaßen hatte täuschen können.

Auf den Schildern über dem Eingang stand in den verschiedensten Sprachen und Schriftzeichen:

FREIZEITBEREICH DER SPEZIES

DBDG, DBLF, DBPK, DCNF, EGCL, ELNT, FGLI & FROB.

SPEZIES GKMN & GLNO AUF EIGENE GEFAHR.

Für Personalangehörige, deren Schriftsprache nicht vertreten war, wurde dieselbe Auskunft pausenlos über den Translator wiederholt.

„DCNF“, stellte Tarsedth fest. „Die haben deine Klassifikation schon da oben draufstehen. Wahrscheinlich eine routinemäßige Aktualisierungsmaßnahme vom Personal.“

„Wahrscheinlich“, stimmte Cha Thrat ihr beiläufig zu, doch insgeheim freute sie sich und fühlte sich zum erstenmal wichtig.

Nach Tagen auf überfüllten Krankenhausfluren, in ihrem kleinen Zimmer und den noch beengteren Verhältnissen des Anzugs, den sie in den lauwarmen, grünen Tiefen der AUGL-Station tragen mußte, rief die bloße räumliche Ausdehnung der Freizeitebene bei ihr ein Gefühl der Verunsicherung und Bedrohung hervor. Doch waren die Weite, der offene Himmel und die großen Entfernungen mehr Schein als Sein, wie sie bald feststellen konnte, und der anfängliche Schock ließ schnell nach und wich angenehmer Überraschung.