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Während sie den Freizeitbereich verließen, fuhr er fort: „Code Blau steht für einen Notfall höchster Alarmstufe, der äußerste Gefahr sowohl für die Patienten als auch für das medizinische Personal bedeutet, also treten dabei jene Arten von Problemen auf, bei denen das ungeschulte Personal generell angewiesen wird, sich rauszuhalten. Ich verstehe das nicht. Warum hat man Sie, eine Schwesternschülerin, bloß aufgerufen? Und dann noch unter allen möglichen Lebewesen im Hospital ausgerechnet diesen Chefpsychologen O'Mara!

Was haben Sie bloß angestellt?“

6. Kapitel

Cha Thrat und der Chefarzt trafen ein paar Minuten vor O'Mara und Oberschwester Hredlichli auf der AUGL-Station ein und begaben sich sofort zu den drei diensthabenden Schwestern — zwei kelgianischen DBLFs und einer melfanischen ELNT —, die ihre Patienten im Stich gelassen und im Personalraum Zuflucht gesucht hatten.

Nach Aussage des Ausbilders konnte dieses normalerweise tadelnswerte Verhalten aber nicht als schuldhaftes Versäumnis der medizinischen Pflicht betrachtet werden, da es in der weit zurückreichenden Geschichte des Hospitals bezüglich des Verhältnisses zwischen Patienten und dem medizinischen Personal noch nie vorgekommen war, daß ein Chalder in fremder Gesellschaft plötzlich gewalttätig geworden war.

Im grünen Halbdunkel am anderen Ende der Station trieb ein langer, dunkler Schatten langsam von einer Seitenwand zur anderen, wie es Cha Thrat während ihrer Arbeitszeit schon bei vielen der wendigen, häufig apathischen und dennoch rastlosen Chaldern beobachtet hatte. Bis auf ein paar abgelöste und zwischen den Streben durcheinandertreibende Teile der Dekorationspflanzen wirkte die Station ganz friedlich und normal.

„Was ist mit den anderen Patienten, Oberschwester?“ erkundigte sich Cresk-Sar ohne Umschweife; als anwesender Chefarzt trug er die alleinige medizinische Verantwortung. „Ist jemand verletzt?“

Hredlichli schwamm die Reihe der Überwachungsmonitore entlang und meldete: „Die Patienten sind zwar alle aufgeregt und verängstigt, haben aber keine Verletzungen davongetragen, und das Versorgungssystem für die Nahrung und Medikamente ist ebenfalls nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Die haben großes Glück gehabt.“

„Oder der Patient ist bei seinen Gewalttätigkeiten wählerisch, weil…“, setzte O'Mara an, verstummte aber gleich wieder.

Der lange Schatten am anderen Ende der Station hatte sich perspektivisch verkürzt und wurde jetzt rasch größer, während er auf sie zugeschossen kam. Cha Thrat konnte kurz die vom schnellen Schlagen verwischten Flossenumrisse erkennen sowie die nach hinten flatternden, streifenförmigen Tentakel und die dicht geschlossenen, glänzenden Zahnreihen, die das riesige, gähnende Maul umsäumten, bevor der Chalder gegen die durchsichtige Wand des Personalraums krachte. Die Wand bog sich zwar beängstigend weit nach innen, hielt dem Druck aber stand.

Wie Cha Thrat erkennen konnte, war der Chalder für den türlosen Eingang zu groß, doch er wechselte die Stellung und streckte drei seiner Tentakel in den Raum. Zum Glück waren sie nicht lang oder stark genug, als daß er damit jemanden nach draußen ziehen und sich womöglich ins Maul stopfen konnte, trotzdem mußte eine der kelgianischen Schwestern einige Angstmomente durchstehen. Schließlich wandte sich der Chalder enttäuscht ab und schwamm davon. Im Sog hinter ihm wirbelten einige abgetrennte Dekorationspflanzen herum.

O'Mara stieß einen Laut aus, den der Translator nicht übersetzte, und fragte dann: „Wer ist dieser Patient, und warum wurde Schwesternschülerin Cha Thrat herbeizitiert?“

„Das ist unser Dauerpatient AUGL-Eins-Sechzehn“, antwortete die melfanische Schwester. „Kurz bevor er gewalttätig geworden ist, hat er nach der neuen Schwesternschülerin Cha Thrat verlangt. Als ich dem Patienten mitgeteilt habe, daß die Sommaradvanerin einige Tage lang abwesend sei, schweigt er und hat seither kein Wort mehr mit uns gesprochen, obwohl sein Translator immer noch richtig sitzt und funktioniert. Deshalb habe ich auch Cha Thrats Namen ausrufen lassen, als ich Alarmstufe Blau gegeben habe.“

„Interessant“, entgegnete der Terrestrier und wandte sich Cha Thrat zu. „Wieso hat er gerade nach Ihnen verlangt, und warum soll er ausgerechnet in dem Augenblick damit angefangen haben, die Station auseinanderzunehmen, als Sie gerade mal nicht zur Verfügung standen? Haben Sie zu AUGL-Eins-Sechzehn eine besondere Beziehung aufgebaut?“

Bevor Cha Thrat antworten konnte, warf Cresk-Sar empört ein: „Können diese umfangreichen psychologischen Nachforschungen nicht warten, Major? Meine unmittelbare Sorge gilt im Moment ausschließlich den übrigen Patienten und dem Stationspersonal. Die Pathologie kann uns umgehend ein rasch wirkendes Narkotikum und ein Gewehr zum Abschießen von Betäubungspfeilen liefern, um den Patienten ruhigzustellen, und dann können Sie gern.“

„Ein Betäubungsgewehr!“ rief eine der Kelgianerinnen mit sich verächtlich kräuselndem Fell. „Lieber Doktor, Sie scheinen völlig zu vergessen, daß der Pfeil erst das Wasser durchdringen muß, wodurch er bereits gewaltig abgebremst wird, und dann noch die Körperpanzerung von Eins-Sechzehn! Der einzig sichere Weg, den Pfeil wirkungsvoll zu plazieren, ist, ihn in das weiche Zellgewebe im Innern des Mauls zu schießen. Um genau die richtige Stelle zu treffen, müßte sich derjenige, der das Gewehr abfeuert, sehr nah an den Chalder heranwagen und könnte bei einem mißglückten Versuch dem Pfeil auf dem Weg ins offene Maul direkt hinterherfolgen, was natürlich den sofortigen Tod zur Folge hätte. Ich melde mich dafür jedenfalls nicht freiwillig!“

Bevor Cresk-Sar antworten konnte, sagte Cha Thrat zu ihrem Ausbilder: „Wenn Sie mir genau erklären, was ich tun muß, stelle ich mich gern freiwillig für diese Aufgabe zur Verfügung.“

„Aber Ihnen fehlt doch jede Erfahrung in solchen Dingen, und Sie wären völlig überfordert, wenn.“, setzte der Nidianer an, verstummte aber, als O'Mara mit erhobener Hand um Ruhe bat.

„Natürlich wollen Sie sich freiwillig melden, Cha Thrat“, sagte O'Mara leise. „Aber warum? Sind Sie besonders mutig? Sind Sie von Natur aus dumm? Haben Sie den Drang, sich umzubringen? Empfinden Sie vielleicht ein gewisses Maß an Verantwortung, oder fühlen Sie sich einfach nur schuldig?“

„Major O'Mara“, mischte sich Hredlichli energisch ein, „jetzt ist bestimmt nicht die Zeit, jemandem die Verantwortung zuzuschieben, und erst recht nicht, um eingehende Analysen durchzuführen! Welche Maßnahmen sind im Fall des Patienten Eins-Sechzehn — und meiner übrigen Patienten — zu ergreifen?“

„Sie haben ja recht, Oberschwester“, räumte O'Mara mürrisch ein. „Ich werde es auf meine Art erledigen und versuchen, Eins-Sechzehn zu beruhigen und vernünftig mit ihm zu reden. Ich habe mich schon oft mit ihm unterhalten, jedenfalls häufig genug, daß er mich in diesem leichten Anzug von anderen Terrestriern unterscheiden kann. Während ich mit Eins-Sechzehn beschäftigt bin, muß ich vielleicht hin und wieder auch mit Ihnen sprechen, Cha Thrat. Bleiben Sie deshalb bitte immer am Kommunikator. Verstanden?“

„Nicht nötig, ich begleite Sie“, entgegnete Cha Thrat in bestimmtem Ton, wobei sie bereits in aller Stille mit geistig-seelischen Übungen begann, die ihr dabei helfen sollten, sich mit dem Gedanken an eine vorzeitige Beendigung ihres Lebens anzufreunden.

„Na gut. Wahrscheinlich werde ich mit Ihrem durchgedrehten Freund sowieso viel zu beschäftigt sein, als daß ich Sie daran hindern könnte“, willigte O'Mara ein und gab danach erneut einen merkwürdigen Laut von sich, den der Translator nicht übersetzte. „Dann kommen Sie jetzt mit!“

„Aber sie ist doch nur eine Schwesternschülerin, O'Mara!“ protestierte Cresk-Sar. „Außerdem sollten Sie bedenken, daß Eins-Sechzehn Sie in Ihrem leichten Anzug vielleicht lediglich als ein hübsch ordentlich in Plastikfolie gewickeltes Stück Fleisch ansieht. Diese Lebensform gehört zu den Allesfressern und hat sich noch bis vor kurzem von.“