Sind Sie sich unserer Schwierigkeit bewußt, Cha Thrat? Ein Mitarbeiter, der mit Ausnahme seiner eigenen Spezies völlig unvorbereitet ist und keinerlei Vorkenntnisse besitzt, könnte sich selbst wie auch dem Krankenhauspersonal und den Patienten unermeßlichen Schaden zufügen. Wir müssen ganz genau wissen, was wir mit Ihnen bekommen haben, und das umgehend.“
Die anderen hatten ihre Mahlzeit unterbrochen, und Cha Thrat folgte ihrem Beispiel, obwohl sie noch immer einen Mund zum Sprechen frei hatte. „Als Fremde, die mit der Erwartung hierhergekommen ist, eine Stelle anzutreten, habe ich Ihr Verhalten mir gegenüber zunächst für wenig feinfühlig gehalten, aber dann bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß daran die fremden Verhaltensmuster schuld sind, mit denen ich nur sehr wenig Erfahrung habe. Schließlich kam mir der Verdacht, daß Ihr schroffes und unsensibles Verhalten Absicht ist und ich auf irgendeine Weise auf die Probe gestellt werden soll. Diesen Verdacht haben Sie eben bestätigt, aber ich ärgere mich sehr darüber, daß ich über den Test nicht informiert worden bin. Meiner Meinung nach können verdeckte Tests durchaus ein Indiz für die mangelnde Befähigung des Testleiters sein.“
Eine Weile herrschte absolute Stille am Tisch. Cha Thrat blickte Danalta an und wandte die Augen wieder ab. Die Körperhaltung und der Gesichtsausdruck des Gestaltwandlers waren wie ein Spiegelbild von ihr und verrieten ihr somit nichts. Deshalb richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Braithwaite, der sich die ganze Zeit auf so verstohlene Weise für sie interessiert hatte, und wartete auf eine Reaktion von ihm.
Einen Moment lang blickten die beiden tiefliegenden Sehorgane des Terrestriers ruhig in ihre vier Augen, und allmählich war sich Cha Thrat fast sicher, daß es sich bei ihm nicht um einen Krieger, sondern um einen Herrscher handeln mußte.
„Manchmal wird ein verdeckter Test nur deshalb durchgeführt, um dem Kandidaten, wenn er durchgefallen ist, diese unerfreuliche Mitteilung zu ersparen“, sagte er. „Wenn man so tut, als habe gar kein Test stattgefunden, kann man dem Kandidaten irgendeine andere Begründung dafür geben, daß man seine Anstellung ablehnt, eine, die keine mangelnde Berufsbefähigung oder psychologische oder seelische Defekte zu verstehen gibt und die von ihm akzeptiert wird. Es tut mir leid, daß der geheime Charakter des Tests Sie verärgert hat. Aber unter den gegebenen Umständen waren wir zu dem Schluß gekommen, es wäre besser, Ihnen.“
Er brach den Satz ab, bellte leise, als ob die Situation irgend etwas Erheiterndes an sich hätte, und fuhr dann fort: „Wir Terrestrier haben eine Redewendung, die Ihre Lage sehr treffend beschreibt: Wir haben Sie sozusagen ins kalte Wasser gestoßen.“
„Und was haben Sie durch den verdeckten Test herausgefunden?“ wollte Cha Thrat wissen, wobei sie sich absichtlich die einem Herrscher gebührende Höflichkeitsgeste sparte.
„Wir haben herausgefunden, daß Sie auch im kalten Wasser eine ausgezeichnete Schwimmerin sind“, antwortete Braithwaite geheimnisvoll, und diesmal bellte er nicht.
2. Kapitel
Braithwaite verließ die Kantine, bevor die anderen mit dem Essen fertig waren, und entschuldigte sich damit, daß O'Mara seine Gedärme als Strumpfhalter verwenden würde, falls er zwei Tage hintereinander zu spät vom Mittagessen zurückkäme. Über O'Mara wußte Cha Thrat nicht mehr, als daß er so etwas wie ein außerordentlich geachteter und gefürchteter Herrscher war, aber diese Strafe für Unpünktlichkeit klang doch ein wenig übertrieben. Danalta sagte ihr, sie solle sich darüber aber keine Gedanken machen, da Terrestrier häufig solche unglaublich übertriebenen Erklärungen abgäben. Es handle sich dabei um eine Art Sprachcode, den man untereinander verwende und der einen losen Zusammenhang mit dem assoziativen Denkprozeß habe, den man Humor nenne.
„Ich verstehe“, entgegnete Cha Thrat.
„Ich nicht“, fügte Danalta hinzu.
Der Herrscher des Schiffs Chiang bellte leise vor sich hin, sagte aber nichts.
Da sich Braithwaite davongemacht hatte, war der Gestaltwandler ihr einziger Führer auf dem noch längeren und komplizierteren Weg zu jener Station, auf der sich Chiang untersuchen lassen sollte — dabei handelte es sich nach Cha Thrats Information um eine der kombinierten Unfallaufnahme- und Beobachtungsstationen, die der Behandlung von warmblütigen Sauerstoffatmern vorbehalten waren. Danalta hatte wieder seine eigene Gestalt einer dunkelgrünen und ungleichmäßigen Riesenkugel angenommen und bewegte sich auf den Korridoren und Gängen mit überraschender Geschwindigkeit und Gewandtheit durch das Gedränge fahrender und gehender Aliens. Cha Thrat fragte sich, ob es ihm lediglich zu große Mühe machte, die sommaradvanische Gestalt beizubehalten, oder ob er spürte, daß sie solche psychologischen Krücken jetzt nicht mehr brauchte.
Zwar war der Raum überraschend groß, doch blieb durch die vielen verschiedenen Untersuchungstische und die dazugehörenden Geräte, die den Boden und die Wände fast völlig verdeckten, nur wenig von ihm übrig. Es gab eine Zuschauergalerie für Besucher und Auszubildende, und Danalta schlug Cha Thrat vor, dort in dem für sie am wenigsten unbequemen Stuhl Platz zu nehmen, während sie warteten. Eins der Wesen mit silbernem Fell hatte Chiang bereits zur Vorbereitung auf die Untersuchung weggebracht.
„Hier oben können wir alles, was da unten vor sich geht, sehen und hören“, erklärte Danalta. „Aber man kann uns nicht hören. Es sei denn, Sie drücken die Sprechtaste hier an der Seite des Stuhls. Falls man Ihnen irgendwelche Fragen stellt, müssen Sie die benutzen.“
Ein zweites Wesen mit silbernem Fell — möglicherweise war es auch dasselbe wie vorhin — bewegte sich wellenförmig in den Saal, nahm ein paar anscheinend sinnlose Handgriffe an einem bislang unbegreiflichen Gerät vor und blickte beim Hinausgehen kurz zu ihnen herauf.
„Und jetzt warten wir am besten einfach ab, was passiert“, fuhr Danalta fort. „Aber Ihnen müssen doch einige Fragen regelrecht auf der Zunge brennen, Cha Thrat. Uns bleibt bestimmt noch genügend Zeit, um ein paar davon zu behandeln.“
Der Gestaltwandler hatte die klumpige Form einer grünen Halbkugel beibehalten, die bis auf ein knollenförmiges Auge und einen dünnen fleischigen Auswuchs, der die Aufgaben des Hörens und Sprechens zu verbinden schien, keine besonderen Merkmale aufwies. Im Laufe der Zeit gewöhnt man sich an alles, dachte Cha Thrat — allerdings nicht an die mangelnde Disziplin dieser Wesen und auch nicht an deren Abneigung, ihren Verantwortungsbereich und die Grenzen ihrer Befugnis genau zu bestimmen.
„Bisher weiß ich noch zu wenig und bin von all den neuen Eindrücken zu verwirrt, um die richtigen Fragen zu stellen“, entgegnete sie in sorgfältig gewählten Worten. „Aber darf ich vielleicht mit der Bitte um eine ausführliche Darlegung Ihres persönlichen Aufgaben- und Verantwortungsbereichs sowie der Klasse von Patienten, die Sie behandeln, beginnen?“
Die Antwort darauf verwirrte sie jedoch noch mehr als alles andere zuvor.
„Ich behandle keine Patienten“, antwortete Danalta, „und wenn es keinen schwerwiegenden Notfall gibt, der eine chirurgische Behandlung erfordert, werde ich auch nicht darum gebeten. Was meinen Dienst angeht, bin ich Mitglied des medizinischen Teams der Rhabwar. Das ist das speziell für die Belange des Hospitals ausgerüstete Ambulanzschiff, auf dem eine technische Crew aus Offizieren des Monitorkorps zusammen mit einem Ärzteteam arbeitet, das den Oberbefehl übernimmt, sobald das Ambulanzschiff die Position des verunglückten Schiffs oder, je nachdem, den Schauplatz der Katastrophe erreicht hat.
Zum medizinischen Team“, fuhr er fort, ohne Cha Thrats Verwirrung zu beachten, „das von dem cinrusskischen Empathen Prilicla geleitet wird, gehören außerdem Murchison, eine Terrestrierin, Oberschwester Naydrad, eine in der Bergung im All erfahrene Kelgianerin, und ich. Meine Aufgabe ist es, die Fähigkeit des Gestaltenwechsels einzusetzen, um zu Verunglückten vorzudringen, die möglicherweise noch in Bereichen eingeschlossen sind, die für Wesen mit begrenzter körperlicher Anpassungsfähigkeit unzugänglich sind. Dort leiste ich Erste Hilfe und tue alles mir Mögliche zur Unterstützung der Verletzten, bis die Bergungsmannschaft in der Lage ist, sie zu befreien und aufs Ambulanzschiff zu bringen, um sie dann so schnell wie möglich zum Hospital weiterzutransportieren. Sie werden verstehen, daß man durch das Ausstülpen von Gliedmaßen und Fühlern in jeder erforderlichen Form in den sehr beengten Verhältnissen im Innern eines stark beschädigten Raumschiffs nützliche Arbeit verrichten kann, und zuweilen gelingt es mir sogar, einen wirklich wertvollen Beitrag zur Rettung von Überlebenden zu leisten. Aber wenn ich ehrlich bin, muß ich gestehen, daß die eigentliche Arbeit fast immer vom Hospital erledigt wird.