Timmins lachte. „Wie ich diese selbstlose Sorte Wesen hasse, die Geld für unwichtig hält. Bei Ihrem gegenwärtigen Dienstgrad ist der Sold nicht hoch. Den entsprechenden Betrag in sommaradvanischer Währung kann Ihnen die Personalabteilung nennen. Aber im Hospital gibt es sowieso nicht viele Möglichkeiten zum Geldausgeben. Also können Sie Ihr Gehalt und Urlaubsgeld immer sparen und irgendwann eine Reise davon machen. Vielleicht besuchen Sie ja mal Ihren AUGL-Freund auf Chalderescol II oder fliegen nach.“
„Hätte ich denn genügend Geld für solch eine interstellare Reise?“ unterbrach ihn Cha Thrat.
Der Terrestrier bekam einen Hustenanfall, fing sich wieder und antwortete: „Für eine derartige Reise hätten Sie nicht genügend Geld. Aber aufgrund der abgeschiedenen Lage des Orbit Hospitals hat jeder Personalangehörige, soweit es dessen Physiologie zuläßt, das Anrecht auf eine kostenlose Beförderung durch das Korps zu seinem Heimatplaneten oder, mit ein bißchen Herumtricksen, zu einem Planeten eigener Wahl. Ihr Geld könnten Sie dort also ausschließlich zum eigenen Vergnügen ausgeben. Würden Sie sich jetzt bitte den Schutzanzug überziehen?“
Cha Thrat rührte sich nicht, und der Terrestrier blickte sie schweigend an.
Schließlich sagte sie: „Ich erhalte eine Sonderbehandlung, werde durch Abteilungen geführt, in denen zu arbeiten ich nicht qualifiziert bin, und bekomme Geräte zu sehen, auf deren Bedienung ich mir erst in sehr ferner Zukunft Hoffnungen machen kann. Zweifellos soll das ein Anreiz sein, um mir zu zeigen, was ich zukünftig alles erreichen kann. Ich verstehe die Überlegung, die dahintersteckt, und weiß sie auch zu schätzen, aber es wäre mir viel lieber, mit der Besichtigung aufzuhören und mich an irgendeine einfache und nützliche Arbeit zu machen.“
„Na gut“, lenkte Timmins ein und entblößte beifällig die Zähne. „Die Telfi können wir uns sowieso nicht direkt ansehen, deshalb verpassen wir nicht viel. Ich schlage vor, Sie lernen als erstes, wie man einen G-Schlitten fährt. Zunächst nur einen kleinen, damit Sie bei einem etwaigen Unfall sich selbst mehr Schaden zufügen als dem Hospitalgebäude. Dazu müssen Sie Ihre Kenntnisse von der inneren Anlage des Baus wirklich beherrschen und imstande sein, mit großer Genauigkeit und Geschwindigkeit durch das Wartungstunnelnetz zu steuern. Es scheint nämlich ein Naturgesetz zu sein, daß, sobald eine Station oder die Diätküche Nachschub braucht, die Bestellung immer eilt und gewöhnlich zu spät geliefert wird.
Wir werden jetzt zur betriebsinternen Transporthalle gehen“, schloß er. „Es sei denn, Sie haben noch eine weitere Frage.“
Cha Thrat hatte noch eine, hielt es aber für besser, damit zu warten, bis sie sich wieder in Bewegung gesetzt hatten.
„Was ist mit den Schäden auf der AUGL-Station, an denen ich indirekt schuld gewesen bin?“ fragte sie schließlich. „Werden mir die Kosten von meinem Lohn abgezogen?“
Timmins entblößte erneut die Zähne und antwortete: „Ich schätze, es würde etwa drei Jahre dauern, die von Ihrem AUGL-Freund verursachten Schäden zu bezahlen. Aber als das passiert ist, waren Sie noch eine von diesen verrückten Schwesternschülerinnen und keine ernstzunehmende und verantwortungsbewußte Mitarbeiterin des Wartungsdienstes, deshalb machen Sie sich mal darüber keine Gedanken.“
Cha Thrat machte sich darüber auch gar keine Gedanken mehr, weil es den restlichen Tag viel wichtigere Dinge gab, die ihr Sorgen bereiteten — in erster Linie die Bedienung und Steuerung der nicht zu bändigenden, mißratenen und schon oft verfluchten Klapperkiste, die man G-Schlitten nannte.
In Betrieb glitt dieses Fahrzeug ohne Bodenberührung auf einem Repulsionskissen dahin. Die Fahrtrichtung konnte man ändern, indem man wechselseitig absenkbare Reibungskissen zum Bremsen einsetzte, die Triebwerke drehte oder, wenn man nur eine feine Richtungskorrektur vornehmen wollte, sich zur Seite lehnte. War eine Vollbremsung erforderlich, schaltete man einfach die Energiezufuhr ab. Dadurch sackte das Fahrzeug zu Boden und kam laut knirschend zum Stehen. Doch wurde von diesem Manöver abgeraten, weil es den Lenker des G-Schlittens bei dem Inspektionsteam, das die Repulsionsgitter neu justieren mußte, sehr unbeliebt machte.
Am Ende des Tages war Cha Thrat mit dem Schlitten über den ganzen Boden der Transporthalle gerutscht und geschleudert, hatte jede umklappbare Markierung, um die sie eigentlich hätte herumfahren müssen, gerammt und sich ganz allgemein an diesem Tag äußerst unkooperativ gezeigt. Timmins gab ihr zum Abschluß einen Stapel Studienbänder, die sie sich bis zum nächsten Morgen ansehen sollte, und sagte ihr, daß sie für eine Anfängerin sehr gut gefahren sei.
Drei Tage später glaubte sie das allmählich auch. „Ich bin in einem Schlitten mit Anhänger, beide voll beladen, von der achtzehnten bis zur dreiunddreißigsten Ebene gefahren“, berichtete sie Tarsedth, als ihre ehemalige Klassenkameradin sie zum üblichen Abendplausch besuchte. „Dabei habe ich ausschließlich die Wartungstunnel benutzt und nichts und niemanden gerammt.“
„Sollte ich jetzt beeindruckt sein?“ fragte die Kelgianerin.
„Ein bißchen schon“, antwortete Cha Thrat, wobei sie ihre Enttäuschung kaum verbergen konnte. „Und? Was gibt es bei dir Neues?“
„Cresk-Sar hat mich in die LSVO-Chirurgie versetzt“, berichtete Tarsedth, deren Fell sich dabei zu einer undeutbaren Gefühlsmischung kräuselte. „Er meinte, ich wäre soweit, meine Fachkenntnisse in der Pflege fremder Lebensformen zu erweitern, und die Arbeit mit einer unter geringer Schwerkraft lebenden Spezies würde das Feingefühl des Tastsinns verbessern. Außerdem, hat er gesagt, wäre Oberschwester Lentilatsar — diese hinterhältige, schleimige, chloratmende Schlampe! — sowieso nicht ganz glücklich damit gewesen, wie ich meine Entschlußkraft auf ihrer Station umgesetzt hätte. Was ist das eigentlich für ein Video? Sieht enorm uninteressant aus.“
„Ganz im Gegenteil“, widersprach Cha Thrat und drückte auf die Pausentaste. Auf dem Bildschirm war eine Gruppe von Offizieren des Monitorkorps zu sehen, die sich mit dem namhaften Terrestrier MacEwan und dem nicht weniger berühmten Oriigianer Grawlya-Ki trafen, den, wie es hieß, wahren Gründern des Orbit Hospitals. „Es geht um die Geschichte, die Organisation und die gegenwärtigen Aktivitäten des Monitorkorps. Ich finde das zwar sehr interessant, aber vom moralischen Standpunkt aus gesehen, auch verwirrend. Warum muß zum Beispiel eine friedenserhaltende Streitmacht so schwer bewaffnet sein?“
„Weil sie ohne schwere Bewaffnung nicht den Frieden sichern könnte, Dummerchen“, meinte Tarsedth. „Aber auf dem Gebiet des Monitorkorps bin ich absolute Expertin. Heutzutage treten viele Kelgianer ins Korps ein, und ich wollte mich schon um die Stelle einer Stabsärztin, das heißt einer Schiffsärztin, bewerben und werde es vielleicht tun, wenn ich mich nicht fürs Hospital qualifizieren kann.
Natürlich gibt es auch noch andere, nichtmilitärische Stellen.“, führ sie begeistert fort.
Das Monitorkorps verschaffte den Gesetzen der galaktischen Föderation Geltung und stellte eine Polizeitruppe von interstellarer Größenordnung dar, doch im Verlauf des ersten Jahrhunderts seines Bestehens waren ihm noch viel mehr Aufgaben übertragen worden. Ursprünglich, als die Föderation nicht mehr als eine wackelige Allianz von lediglich vier bewohnten Planetensystemen — Nidia, Orligia, Traltha und der Erde — gewesen war, hatte sich das Korpspersonal ausschließlich aus Terrestriern zusammengesetzt. Und diese Terrestrier hatten weitere bewohnte Systeme und immer mehr intelligente Lebensformen entdeckt und freundschaftlichen Kontakt mit ihnen aufgenommen.
Das hatte zur Folge, daß sich die Föderation mittlerweile aus beinahe siebzig verschiedenen Spezies zusammensetzte — die Zahl mußte ständig nach oben hin korrigiert werden — und die friedenserhaltende Funktion des Monitorkorps hinter die Aufgaben der Erforschung und Vermessung neuentdeckter Planeten und der Kommunikation mit fremden Spezies zurücktrat. Das machte den schwerbewaffneten Monitoren nichts aus, weil sich eine Polizeitruppe im Gegensatz zu einer Armee nur dann am effektivsten vorkommt, wenn es für sie nicht viel mehr zu tun gibt, als zum Beispiel durch die gelegentliche Sprengung eines mineralienreichen Asteroiden in Übung zu bleiben oder durch das Roden und Einebnen ausgedehnter Flächen unberührten Lands auf einem neuentdeckten Planeten, um so die Landung von Kolonisten vorzubereiten.