„Das will ich auch nicht hoffen!“ ermahnte sie der Lieutenant. „Also schön. Ich habe eine neue Aufgabe für Sie, und zwar auf der Rhabwar, wenn Sie sich das zutrauen. Kommen Sie mit.“
Kurz darauf befanden sie sich in einer kleinen Kammer, die vor dem Umbau ein postoperativer Erholungsraum gewesen war und immer noch die direkte Verbindung zum ELNT-Operationssaal besaß. Die Zimmerdecke war abgesenkt worden, was darauf hindeutete, daß der zukünftige Bewohner entweder auf dem Boden kroch oder im Stehen nicht besonders groß war. Die Rohr- und Energieversorgungsleitungen, die man hinter der noch unvollständigen Wandverkleidung aus Holz sehen konnte, trugen die Farbmarkierungen für einen warmblütigen Sauerstoffatmer, der mittlere Schwerkraft- und Druckverhältnisse benötigte.
Die bereits angebrachten Wandverkleidungsplatten waren so gefertigt, daß sie wie eine grobe Verschalung mit eigenartiger Oberflächenstruktur aussahen, die eher der Faserung eines Minerals als der Maserung von Holz ähnelte. Auf dem Boden lag ein unordentlicher Haufen Dekorationspflanzen, die noch aufgehängt werden mußten, und daneben stand eine riesige Landschaftsaufnahme, die von jedem x-beliebigen bewaldeten Seengebiet auf Sommaradva hätte stammen können, wenn die Anordnung der Bäume nicht feine Unterschiede aufgewiesen hätte.
An der Wand gegenüber dem Eingang befand sich das Gestell eines kleinen, niedrigen Betts mit Matratze. Doch die bemerkenswerteste Besonderheit des Raums — mit der Cha Thrat auf schmerzhafte Weise Bekanntschaft machte — war die durchsichtige Wand, die den Raum in zwei Hälften teilte. An der linken Seite der Wand befand sich eine Tür, die durch eine rote Umrandung gekennzeichnet war, und genau in der Mitte eine kleinere Öffnung, die eine ferngesteuerte Greif- und Untersuchungsvorrichtung enthielt, die bis zum Bett der anderen Seite reichte.
„Dieser Raum ist für eine ganz besondere Patientin vorbereitet worden“, erklärte Timmins. „Und zwar handelt es sich bei ihr um eine Gogleskanerin der physiologischen Klassifikation FOKT, eine persönliche Freundin von Diagnostiker Conway. Die Patientin, eigentlich die ganze Spezies, hat ernste Probleme, über die Sie sich informieren können, wenn Sie mehr Zeit haben. Die Gogleskanerin ist schwanger und nähert sich langsam der Geburt. Aufgrund gewisser psychologischer Umstände muß ihr ständig zugeredet werden, und Conway will seine momentane Arbeit noch im Laufe der nächsten Woche erledigen, damit er Zeit für den Flug nach Goglesk hat, um dort die Patientin an Bord zu nehmen und rechtzeitig vor der Geburt mit ihr zum Orbit Hospital zurückkehren zu können.“
„Ich verstehe“, warf Cha Thrat ein.
„Für Sie habe ich nun folgenden Auftrag“, fuhr Timmins fort. „Ich möchte, daß Sie eine kleinere und einfachere Version dieser Unterkunft auf dem Unfalldeck der Rhabwar einrichten. Die Einzelteile besorgen Sie sich im Lager, und von uns erhalten Sie die vollständige Montageanleitung. Diese Arbeit geht zwar ein wenig über Ehre derzeitigen technischen Fähigkeiten hinaus, aber falls sie es nicht schaffen sollten, bleibt noch für jemand anders Zeit genug, den Zusammenbau zu beenden. Wollen Sie es versuchen?“
„Gerne sogar!“ stimmte Cha Thrat begeistert zu.
„Gut. Sehen Sie sich dieses Zimmer genau an. Achten Sie besonders auf die Befestigungsbeschläge der durchsichtigen Wand. Über die ferngesteuerten Greifvorrichtüngen machen Sie sich mal nicht allzu viele Gedanken, das Schiff hat dafür eigene Geräte an Bord. Die Gurte zur Ruhigstellung der Patientin müssen getestet werden, aber nur unter Aufsicht eines Mitglieds des medizinischen Teams, von dem Sie von Zeit zu Zeit Besuch erhalten werden.
Anders als bei diesem Zimmer hier wird die Einrichtung auf dem Unfalldeck nur für die Dauer des Flugs von Goglesk zum Hospital benutzt, deshalb wird die Wandverkleidung lediglich aus einer Kunststoffolie bestehen, die mit der Maserung der Holztäfelung in diesem Raum bedruckt ist und auf die Innenhaut und Schotten des Schiffes gespannt wird. Das spart beim Einbau Zeit, und Captain Fletcher wäre sowieso nicht damit einverstanden, daß wir überflüssige Löcher in sein Schiff bohren. Wenn Sie glauben, verstanden zu haben, was Sie tun sollen, holen Sie sich das Material aus dem Lager, und bringen Sie es aufs Schiff. Ich werde Sie noch heute dort aufsuchen, bevor Sie Feierabend machen, um Ihnen alle.“
„Wozu dienen die transparente Wand und die ferngesteuerte Greifvorrichtung?“ unterbrach ihn Cha Thrat schnell, bevor sich der Lieutenant zum Gehen wandte. „Die Klassifikation FOKT klingt nicht gerade nach einer besonders großen oder gefährlichen Lebensform.“
„.um Ihnen dann alle Fragen zu beantworten, die nicht auf Ihrem Informationsband behandelt werden“, schloß er in bestimmtem Ton. „Viel Vergnügen, Cha Thrat.“
Die folgenden Tage sollten sich allerdings alles andere als vergnüglich erweisen, höchstens rückblickend betrachtet. Den ganzen ersten Tag und die erste Nacht hindurch bereiteten die dreidimensionalen Zeichnungen und Montageanleitungen Cha Thrat gewaltige Kopfschmerzen, aber von da an wurden Timmins Besuche, um ihre Fortschritte zu kontrollieren, immer seltener. Dreimal schaute auch Oberschwester Naydrad, die kelgianische Mitarbeiterin des medizinischen Teams, vorbei, die, wie Tarsedth mal erwähnt hatte, eine Spezialistin für Bergungstechniken unter erschwerten Bedingungen war.
Cha Thrat verhielt sich ihr gegenüber sehr freundlich, ohne unterwürfig zu sein, und Naydrad legte wie alle Kelgianer ein unhöfliches, fast unverschämtes Benehmen an den Tag. Doch hatte sie an Cha Thrats Arbeit nichts auszusetzen und beantwortete alle Fragen, die sie nicht für dumm oder zu belanglos hielt.
„Ich verstehe nicht ganz den Grund für die transparente Trennwand in diesem Raum“, sagte Cha Thrat bei einem der Besuche Naydrads. „Der Lieutenant hat mir erklärt, das habe psychologische Gründe, damit sich die Patientin geschützt fühle. Aber hinter einer undurchsichtigen Wand mit einem kleinen Fenster würde sie sich doch bestimmt noch sicherer vorkommen. Braucht die FOKT neben einem Geburtshelfer auch einen Zauberer?“
„Einen Zauberer?“ wiederholte die Kelgianerin verwundert und fuhr dann fort: „Ach ja! Sie müssen diese ehemalige Schwesternschülerin sein, die hier noch immer in aller Munde ist und die O'Mara für einen Medizinmann hält, stimmt's? Ich persönlich glaube ja, daß Sie, was O'Mara angeht, recht haben. Aber es ist nicht nur diese Patientin namens Khone, die einen Zauberer braucht, sondern die gesamte Bevölkerung von Goglesk. Khone ist entweder eine sehr mutige oder eine sehr dumme FOKT, die sich freiwillig als Versuchspatientin zur Verfügung gestellt hat.“ „Ich kann Ihnen immer noch nicht ganz folgen, Oberschwester. Könnten Sie mir das bitte genauer erklären?“
„Nein. Ich habe einfach keine Zeit, all die verzwickten Probleme dieses Falls zu erläutern und schon gar nicht einer Wartungstechnikerin, die krankhaft neugierig, aber nicht einmal direkt betroffen ist, oder die sich einsam fühlt und lieber plaudern, als arbeiten will. Seien Sie froh, daß Sie keine Verantwortung tragen, dieser Fall ist nämlich sehr heikel.
Jedenfalls“, fuhr sie fort und deutete dabei auf das Videogerät und das Regal mit den Videobändern am anderen Ende des Raums, „ist unsere Kopie des Bands mit der Krankengeschichte über zwei Stunden lang, falls Sie an diesem Fall wirklich so interessiert sind. Nehmen Sie dieses Band bitte nur nicht mit von Bord.“
Trotz der ständigen Versuchung, eine Pause zu machen und einen raschen Blick in das FOKT-Video zu werfen, setzte Cha Thrat ihre Arbeit fort, bis der Wartungsingenieur, der das Kommandodeck überprüft hatte, den Kopf zum Unfalldeck hereinsteckte.