„Zeit zum Mittagessen“, sagte er. „Ich gehe jetzt in die Kantine. Kommen Sie mit?“
„Nein danke“, antwortete Cha Thrat. „Ich muß hier noch etwas erledigen.“
„Das ist das zweitemal in drei Tagen, daß Sie das Mittagessen verpassen“, ermahnte sie der Terrestrier. „Sind alle Sommaradvaner so verrückt nach Arbeit? Haben Sie keinen Hunger oder nur eine verständliche Abneigung gegen das Kantinenessen?“
„Nein, sehr großen und manchmal“, beantwortete Cha Thrat die drei Fragen der Reihe nach.
„Ich habe einen Packen Sandwiches dabei“, fuhr der Wartungsingenieur fort. „Garantiert nahrhaft und ungiftig für alle Sauerstoffatmer, und wenn Sie sich den Belag nicht allzu genau ansehen, müßten Sie es eigentlich schaffen, das Zeug im Magen zu behalten. Interessiert?“
„Ja, sehr sogar“, bedankte sich Cha Thrat, wobei sie den Hintergedanken hegte, jetzt gleichzeitig ihren knurrenden Magen befriedigen und sich die ganze Mittagspause hindurch das FOKT-Video ansehen zu können.
Das gedämpfte, aber hartnäckige Heulen der Alarmsirene lenkte ihre Gedanken vom Planeten Goglesk und seinen eigenartigen Problemen auf die Erkenntnis, daß sie sich mit dem Video schon viel länger beschäftigt hatte, als die festgesetzte Mittagspause dauerte, und sich das Schiff plötzlich mit Leben füllte.
Sie sah drei Terrestrier in den grünen Uniformen des Monitorkorps am Eingang zum Unfalldeck vorbei in Richtung Kontrollraum rennen, und ein paar Minuten später kam der unförmige, grüne Ball, der Körper Danaltas, aufs Unfalldeck gerollt. Direkt hinter ihm folgte eine weißgekleidete Terrestrierin mit dem Abzeichen der pathologischen Abteilung, bei der sich um die DBDG Murchison handeln mußte. Danach erschienen auch Naydrad und Prilicla: Die Kelgianerin schlängelte sich in schnellen Wellenbewegungen über den Boden, und der insektenartige Empath huschte die Decke entlang. Die Oberschwester begab sich direkt zum Videorecoder, in dem noch das FOKT-Video lief, und schaltete das Gerät ab, als noch zwei Terrestrier an Deck stürmten.
Einer der beiden war Timmins, und bei dem zweiten handelte es sich, nach dem Abzeichen auf der Uniform und seinem gebieterischen Auftreten zu urteilen, um den Herrscher des Schiffs, Major Fletcher. Der Lieutenant ergriff als erster das Wort.
„Wie lange brauchen Sie noch, bis Sie hier fertig sind?“ fragte er Cha Thrat ungeduldig.
„Den Rest des Tages und den Großteil der Nacht“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen.
Fletcher schüttelte den Kopf.
„Ich könnte noch mehr Leute darauf ansetzen, Sir“, schlug Timmins vor. „Natürlich müßte man sie kurz in ihre Tätigkeit einweisen, was ein bißchen Zeit kosten würde. Aber ich bin mir sicher, daß man damit die Arbeitsdauer allenfalls auf vier, vielleicht auch drei Stunden reduzieren könnte.“
Der Herrscher des Schiffs schüttelte abermals den Kopf.
„Dann bleibt uns wohl nur noch eine Alternative“, meinte der Lieutenant.
Zum erstenmal blickte Fletcher Cha Thrat direkt an. „Nach Aussage des Lieutenants sind Sie imstande, diese Einrichtung selbständig fertigzustellen und zu testen. Ist das richtig?“
„Ja“, antwortete Cha Thrat.
„Haben Sie irgend etwas dagegen, das auf einem dreitägigen Flug nach Goglesk zu erledigen?“
„Nein“, erwiderte sie mit fester Stimme.
Der Captain blickte nach oben auf Prilicla, den Leiter des medizinischen Teams des Schiffs, ohne etwas sagen zu müssen.
„Ich kann bei meinen Kolleginnen und Kollegen keine besonders ausgeprägte Abneigung gegen die Begleitung dieses Wesens feststellen, Freund Fletcher“, berichtete der Empath. „Schließlich handelt es sich um einen Notfall.“
„Wenn das so ist, starten wir in fünfzehn Minuten“, teilte Fletcher mit, während er sich zum Gehen wandte.
Timmins blickte Cha Thrat an, als ob er ihr irgend etwas sagen wollte — möglicherweise einen Rat zur Vorsicht oder eine Empfehlung oder ein beruhigendes Wort. Doch schließlich hielt er nur eine locker geballte Faust hoch, über der der abgespreizte Daumen senkrecht nach oben ragte; eine Geste, die sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Dann war auch er verschwunden. Cha Thrat hörte das Stapfen seiner Füße auf dem Metallboden des Bordtunnels, und auf einmal kam sie sich trotz der vier höchst unterschiedlichen Lebensformen, von denen sie dicht umringt war, sehr einsam vor.
„Haben Sie keine Angst, Cha Thrat“, tröstete Prilicla sie, wobei die übersetzte Stimme von den rollenden Schnalzlauten seiner melodischen cinrusskischen Sprache untermalt wurde. „Sie befinden sich unter Freunden.“
„Es gibt da ein Problem“, meldete sich Naydrad zu Wort. „Wir haben für Ihre blöde Körperform keine passende Beschleunigungsliege, Cha Thrat. Legen Sie sich auf eine Trage, dann schnalle ich sie darauf fest.“
12. Kapitel
Die FOKT-Einrichtung wurde fertiggestellt und gründlich getestet, zuerst von Naydrad und dann — auf Anordnung Major Fletchers — vom technischen Offizier der Rhabwar, Lieutenant Chen. Abgesehen von kurzen Begegnungen auf dem Weg von oder zu den Speise- und Aufenthaltsräumen, war das Cha Thrats bisher einzige Möglichkeit, mit einem der Schiffsofffiziere direkt in Berührung zu kommen.
Nicht, daß man solch einen Kontakt zwischen den Offizieren der Herrscherklasse und einem Wesen des niedrigsten technischen Dienstgrads zu verhindern versucht oder bei Cha Thrat absichtlich Minderwertigkeitsgefühle hervorgerufen hätte; das tat man beides nicht. Aber sämtliche Mitarbeiter des Monitorkorps, die die ausgesprochen hohen technischen und theoretischen Anforderungen des Dienstes auf Interstellarschiffen erfüllen mußten, kamen — zumindest nach der standesbewußten Einstellung einer Sommaradvanerin — dem Rang eines Herrschers so nah, daß es keinen Unterschied machte. Ohne jemanden bewußt kränken zu wollen, verfielen sie immer wieder in eine eigene, äußerst technische Sprache, die nur Eingeweihte verstanden, und verursachten bei Cha Thrat tiefstes Unbehagen.
Jedenfalls fühlte sie sich bei den Ärzten in Zivil heimischer als bei diesen Wesen, die, bis auf ein paar kleine, aber wichtige Rangabzeichen auf dem Kragen, die gleiche Uniform trugen wie sie. Überdies war es unmöglich, in Gesellschaft von Prilicla zu sein, wenn man sich nicht wirklich ausgesprochen wohl fühlte. Deshalb machte sich Cha Thrat so klein, wie es ihre Physiologie zuließ, rief sich ständig in Erinnerung, daß sie nicht mehr zur ärztlichen Zunft, sondern zu den Wartungstechnikern gehörte, und bemühte sich angestrengt, sich nicht einzumischen, wenn sich die anderen über den Sinn und Zweck des Einsatzes unterhielten.
Aus Sicht der Kulturkontaktspezialisten handelte es sich bei Goglesk um einen Grenzfall. Der intensive Kontakt mit einer eher rückständigen Zivilisation konnte gefährlich sein, weil man sich, wenn die Monitorkorpsschiffe wie aus heiterem Himmel auf die Planetenoberfläche fielen, nie sicher sein konnte, ob man den Bewohnern in ihrer technologischen Entwicklung unter die Arme greifen sollte oder bei ihnen einen vernichtenden Minderwertigkeitskomplex auslösen würde. Doch die Gogleskaner waren trotz ihrer Rückständigkeit in den Naturwissenschaften und der verheerenden Rassenpsychose, die sie am Fortschritt hinderte, zumindest als Individuen psychologisch gefestigt, und ihr Planet hatte bereits seit etlichen tausend Jahren keinen Krieg mehr erlebt.
Für das Korps wäre es der einfachste Weg gewesen, sich zurückzuziehen, die gogleskanische Kultur so weitermachen zu lassen, wie sie es seit Beginn der Geschichtsschreibung getan hatte, und ihre Probleme als unlösbar abzuschreiben. Nichtsdestoweniger hatten die Spezialisten eins ihrer seltenen Zugeständnisse gemacht und einen kleinen Stützpunkt zur Beobachtung, Nachforschung und begrenzten Kontaktaufnahme errichtet.