„Bitte“, besänftigte er in ruhigem Ton die aufwallenden Wogen der Empörung. „Ich spüre, daß unsere Freundin Cha Thrat etwas sagen möchte.“
Als Chefarzt und Leiter des medizinischen Teams der Rhabwar wäre Prilicla gut und gerne dazu berechtigt gewesen, seine Mitarbeiter darauf hinzuweisen, daß ihm ihr ständiges Gezänk Unbehagen bereite und sie gefälligst sofort den Mund halten sollten. Aber Cha Thrat wußte auch, daß der kleine Empath nicht einmal im Traum daran denken würde, so etwas zu tun, weil die Teamkollegen ihrem friedfertigen, von allen geliebten und für Emotionen empfänglichen Leiter mit ihrer daraus resultierenden Verlegenheit und den Schuldgefühlen über die verursachten Beschwerden noch mehr Unannehmlichkeiten bereitet hätten.
Deshalb lag es in Priliclas eigenem Interesse, Anweisungen zumeist nur indirekt zu erteilen, um die Ausstrahlung unangenehmer Gefühle in seiner Umgebung auf ein Minimum zu reduzieren. Wenn er jetzt Cha Thrats Wunsch, sich zu äußern, spürte, konnte er höchstwahrscheinlich auch fühlen, daß sie genau wie er die gegenwärtige Verstimmung im Raum verringern wollte.
Alle Augen waren jetzt auf sie gerichtet, und Prilicla hatte aufgehört zu zittern. Offenbar machte ihm die emotionale Ausstrahlung von Neugier wesentlich weniger zu schaffen als die vorherigen Gefühle, die sich mittlerweile gelegt hatten.
„Ich habe mir ebenfalls aufmerksam das Video über Goglesk und insbesondere das Material über Khone angesehen.“, begann Cha Thrat.
„Das ist ja wohl nicht Ihre Sache“, unterbrach Danalta sie. „Sie sind Wartungstechnikerin.“
„Aber eine ausgesprochen wißbegierige Wartungstechnikerin“, fügte Naydrad hinzu. „Also lassen Sie sie weitersprechen.“
„Außerdem sollte eine Wartungstechnikerin schließlich alles über das Wesen, für dessen Unterkunft sie verantwortlich ist, wissen wollen!“ wehrte sich Cha Thrat verärgert gegen Danaltas Kritik. Dann sah sie, daß Prilicla wieder zu zittern begann, und brachte ihre Gefühle unter Kontrolle. „Mir scheint, daß Sie sich womöglich unnötig Sorgen machen. Diagnostiker Conway hat sich nicht so mit Pathologin Murchison unterhalten, als wäre er übermäßig beunruhigt gewesen. Wie ist im Funkspruch von Goglesk der Zustand der Patientin denn geschildert worden?“
„Überhaupt nicht“, antwortete Murchison. „Wir haben keine Ahnung, wie das klinische Bild aussieht. Leider ist es nicht möglich, von einem kleinen Standort mit geringer Energie wie Goglesk eine ausführliche Nachricht zu senden. Um einen Funkspruch durch den Hyperraum zu schicken, braucht man eine Menge Energie, und darum.“
„Danke“, schnitt ihr Cha Thrat höffich das Wort ab. „Die technischen Probleme sind in einer meiner Unterrichtsstunden beim Wartungsdienst behandelt worden. Wie hat der Funkspruch gelautet?“
Murchisons Gesicht war wieder dunkler geworden, als sie antwortete: „Der genaue Wortlaut war: „Conway, Orbit Hospital. Dringender Notfall. Khone benötigt schnellstmöglich Ambulanzschiff Wainright, Stützpunkt Goglesk. ““
Einen Augenblick lang schwieg Cha Thrat und ordnete ihre Gedanken. Dann entgegnete sie: „Ich nehme an, daß sich die Heilerin Khone und ihr Freund Conway über die gegenseitigen Fortschritte auf dem laufenden gehalten haben. Wahrscheinlich haben sie längere, ausführlichere und vielleicht persönliche Nachrichten ausgetauscht, die von den in diesem Sektor operierenden Monitorkorpsschiffen überbracht worden sind, um auf diese Weise die Nachteile des Hyperraumfuinks zu vermeiden.“
Ein Blick auf Naydrads Fell verriet Cha Thrat, daß die Kelgianerin kurz davor war, sie zu unterbrechen, und deshalb fuhr sie rasch fort: „Nach der Beschäftigung mit dem Gogleskaner-Video nehme ich weiterhin an, daß Khone innerhalb der von ihrer geistig-seelischen Ausrichtung gesetzten Grenzen ein ungewöhnlich umsichtiges und rücksichtsvolles Wesen ist, das nicht gewillt wäre, seinen Freunden unnötige Unannehmlichkeiten zu bereiten. Selbst, wenn Conway dieses Thema nicht direkt angesprochen hat, wird Khone bereits durch die Verschmelzung ihrer geistigen Vorstellungen den vollen Umfang der Pflichten, der Verantwortung und der Arbeit eines Diagnostikers kennengelernt haben. Und Conway wird natürlich genausogut über Khones Gedanken und ihre wahrscheinliche Reaktion auf dieses Wissen im Bild sein.
Da Conway derjenige war, der die Verantwortung für die Patientin übernehmen wollte, war der Hyperraumfunkspruch an ihn gerichtet. Doch die Nachricht enthielt nur die dringende Bitte um ein Ambulanzschiff, nicht um die Anwesenheit des Diagnostikers.
Conway war klar, warum es sich so verhielt“, fuhr Cha Thrat fort, „weil er genausoviel über Schwangerschaften bei Gogleskanerinnen weiß wie Khone. Deshalb kann es gut sein, daß Conway durch den genauen Wortlaut der Nachricht von seinem Versprechen entbunden worden ist. In dem Wissen, daß seine Patientin nichts anderes als den schnellen Transport zum Hospital benötigt, war der Diagnostiker nicht übermäßig beunruhigt und bat Sie, sich über seine Abwesenheit ebenfalls keine Sorgen zu machen.
Es ist gut möglich“, schloß Cha Thrat, „daß die jüngste Kritik an dem Verhalten des Diagnostikers Conway, das nur scheinbar dem Berufsethos widerspricht, jeder Grundlage entbehrt.“
Naydrad wandte sich an Murchison und näherte sich soweit einer Entschuldigung, wie es einer Kelgianerin möglich war, indem sie sagte: „Cha Thrat hat vermutlich recht, und ich bin dumm.“ „Sie hat zweifellos recht“, pflichtete ihr Danalta bei. „Entschuldigen Sie, Murchison. Wenn ich im Moment in terrestrischer Gestalt vor Ihnen sitzen würde, hätte ich ein knallrotes Gesicht.“
Murchison antwortete nicht, blickte aber weiterhin unverwandt Cha Thrat an. Ihr Gesicht hatte wieder die normale Farbe angenommen, zeigte ansonsten jedoch keinen Ausdruck, den Cha Thrat hätte deuten können. Prilicla kam langsam auf sie zugeflogen, bis sie den leichten, regelmäßigen Abwind seiner Flügel spürte.
„Cha Thrat“, sagte der Cinrussker leise, „ich habe das starke Gefühl, daß Sie sich eben eine neue Freundin gemacht haben und sich.“
Als der Lautsprecher auf dem Unfalldeck mit der übermäßig verstärkten Stimme Fletchers zum Leben erwachte, brach er mitten im Satz ab.
„Chefarzt, hier Kontrollraum“, meldete sich Fletcher. „Der Sprung in den Hyperraum ist abgeschlossen. In schätzungsweise drei Stunden und zwei Minuten werden wir im Orbit über Goglesk sein. Die Landefähre ist startbereit, Sie können Ihre medizinische Ausrüstung also einladen, wenn Sie wollen.
Wir haben eine Normalraum-Funkverbindung mit Lieutenant Wainright“, fuhr er fort, „der sich mit Ihnen über Ihre Patientin Khone unterhalten will.“
„Danke, Captain“, entgegnete Prilicla. „Wir hier möchten uns ebenfalls über Khone unterhalten. Bitte übertragen Sie Freund Wainrights Nachricht hierher aufs Unfalldeck und auch zum Landefährenschacht, weil wir gleich dorthin aufbrechen. Auf diese Weise können wir während des Gesprächs weiterarbeiten.“
„Alles klar. Die Verbindung ist schon hergestellt“, meldete Fletcher und sagte dann zu Wainright: „Ich habe Sie jetzt zu Chefarzt Prilicla durchgestellt, Lieutenant. Sprechen Sie einfach.“
Trotz der Beeinträchtigung durch die Übersetzung ins Sommaradvanische konnte Cha Thrat aus Wainrights Stimme eine tiefe Besorgnis heraushören. Aufmerksam verfolgte sie das Gespräch, während sie sich nur mit einem Teil ihrer Gedanken auf die Arbeit konzentrierte, die darin bestand, Naydrad beim Einladen medizinischer Geräte in den Krankentransporter zu helfen.
„Tut mir leid, Doktor“, sagte Wainright, „die ursprüngliche Abmachung, die Patientin auf dem Landefeld an Bord zu nehmen, müssen wir vergessen. Khone ist nicht reisefähig, und einen mit Außerplanetariern besetzten Transporter loszuschicken, um sie aus der Stadt zu holen, wäre eine heikle Sache. Zu einer Zeit wie dieser sind die Einheimischen besonders, nun ja, nervös, und die Ankunft von so grausig aussehenden Alienmonstern, die Khone und ihr ungeborenes Kind wegbringen wollen, könnte zu einem Grüppenzüsammenschlüß führen und uns.“