Das ist also mein Platz in diesem medizinischen Tollhaus“, beendete Danalta seine Ausführungen.
Cha Thrats Verwirrung war mit jedem Wort gestiegen. Zweifellos besaß dieser Alien gewisse körperliche Fähigkeiten und geistige Begabungen, aber war er wirklich bloß ein Diener? Falls Danalta ihre Verwirrung spürte, verkannte er jedenfalls deren Ursache.
„Natürlich habe ich auch noch andere Aufgaben“, fuhr er fort und stieß mit seinem unterrestrischen Mund ein höchst terrestrisches Bellen aus. „Als ich noch relativ neu im Hospital war, hat man mich zum Empfang von Neuankömmlingen wie Ihnen geschickt, weil man annahm, ich würde denen helfen, wenn sie. Achtung, Cha Thrat! Gerade wird Ihr ehemaliger Patient hereingebracht.“
Zwei der Wesen mit silbernem Fell, die Danalta als kelgianische Operationsschwestern bezeichnete, brachten Chiang auf einer Elektrotrage herein, obwohl der Herrscher des Schiffs durchaus gehfähig war und er diese Tatsache den beiden Schwestern auch ständig in Erinnerung rief. Der terrestrische Leib war in ein grünes Tuch gehüllt, so daß nur noch der Kopf sichtbar war. Während die zwei Schwestern ihn zum Untersuchungstisch transportierten, hielten Chiangs Proteste an, bis ihn eine der beiden Kelgianerinnen in einer Art und Weise, die jeden einem Herrscher gebührenden Respekt vermissen ließ, daran erinnerte, daß er schließlich ein erwachsenes Wesen mit einer gewissen Reife sei und endlich aufhören solle, sich wie ein Kleinkind zu benehmen.
Bevor die Schwester ihre Ermahnung beendet hatte, kam ein sechsbeiniger Alien mit Ektoskelett und einem hohen, üppig gezeichneten Rückenpanzer herein und näherte sich dem Untersuchungstisch. Schweigend streckte er seine Greifzangen aus und wartete, bis die Substanz, mit der eine der Schwestern diese besprüht hatte, zu einem dünnen, transparenten Film getrocknet war.
„Das ist Chefarzt Edanelt“, sagte Danalta. „Er ist Melfaner und gehört zur physiologischen Klassifikation ELNT, deren Ruf in der Chirurgie.“
„Sie müssen meine Unwissenheit schon entschuldigen“, unterbrach ihn Cha Thrat, „aber abgesehen davon, daß ich eine DCNF bin, die Terrestrier zu den DBDGs gehören und der Melfarier ein ELNT ist, weiß ich nichts über Ihr Klassifikationssystem.“
„Das werden Sie schon noch lernen“, beruhigte sie der Gestaltwandler. „Vorläufig schauen Sie am besten einfach nur zu und halten sich für etwaige Fragen bereit.“
Aber es wurden keine Fragen gestellt. Edanelt sprach im Verlauf der Untersuchung kein Wort, und die Schwestern und der Patient ließen ebenfalls nichts verlauten. Cha Thrat lernte den Verwendungszweck von einem der Geräte kennen, einem Tiefenscanner, der in den kleinsten Einzelheiten das unter der Haut liegende Blutversorgungsnetz, die Muskulatur, den Knochenbau und sogar die Bewegungen der tiefsten inneren Organe zeigte. Die Bilder wurden auf den Bildschirm der Zuschauergalerie übertragen. Dazu erschienen eine Menge physiologischer Daten, die zwar in graphischer Form dargestellt wurden, Cha Thrat aber dennoch vollkommen unverständlich blieben.
„Das ist auch noch etwas, das Sie im Laufe der Zeit lernen werden“, merkte Danalta an.
Cha Thrat hatte den Schirm scharf beobachtet und war von Edanelts peinlich genauem Aufzeichnen der chirurgischen Arbeit, die sie auf Sommaradva an Chiang geleistet hatte, derart gefesselt, daß ihr nicht bewußt war, die ganze Zeit über laut gedacht zu haben. Sie schaute aber noch rechtzeitig auf, um Zeuge der Ankunft eines weiteren und noch unglaublicher aussehenden Aliens zu werden.
„Das ist Prilicla“, erklärte Danalta knapp.
Prilicla war ein Insekt, ein riesiges, ungeheuer zerbrechlich wirkendes Fluginsekt, das jedoch im Verhältnis zu den anderen Wesen im Saal klein war. An seinem röhrenförmigen Körper mit Ektoskelett befanden sich sechs bleistiftdünne Beine, vier noch feiner gebaute Greiforgane und zwei breite, schimmernde Flügelpaare, mit denen er langsam schlagend zum Untersuchungstisch flog, über dem er dann in der Luft schwebte. Plötzlich drehte er sich mit einem Ruck um, heftete seine mit Saugnäpfen versehenen Füße an die Decke und bog seine ausstreckbaren Augen nach unten, um den Patienten genauer zu betrachten.
Aus irgendeiner Stelle seines Körper drang eine Folge von melodischen, rollenden Schnalzlauten hervor, die Cha Thrats Translator als „Freund Chiang, Sie sehen ganz so aus, als wären Sie im Krieg gewesen“ übersetzte.
„Wir sind doch keine Wilden!“ protestierte Cha Thrat wütend. „Auf Sommaradva hat es seit acht Generationen keinen Krieg mehr gegeben.“
Sie brach abrupt ab, da die langen, äußerst dünnen Beine und die zum Teil gefalteten Flügel des Insekts zu zittern begannen. Es war, als würde durch den Saal ein starker Wind wehen. Alles auf und um den Untersuchungstisch herum starrte auf den kleinen Alien, drehte sich dann geschlossen um und blickte zur Zuschauergalerie hinauf — auf sie.
„Prilicla ist ein echter Empath“, fuhr Danalta sie in scharfem Ton an. „Er empfindet genau das, was Sie empfinden. Also beherrschen Sie bitte Ihre Gefühle!“
Cha Thrat fiel es allerdings sehr schwer, ihre Gefühle zu beherrschen: Das lag nicht nur an ihrem Zorn über die angedeutete Beleidigung ihrer seit langem friedliebenden Spezies, sondern auch an ihrem grundsätzlichen Zweifel, daß solch eine Beherrschung überhaupt notwendig war. Zwar war sie schon oft gezwungen gewesen, Ihre Gefühle vor Vorgesetzten oder Patienten zu verbergen, aber der Versuch, Emotionen zu beherrschen, war eine vollkommen neue Erfahrung. Nur mit großer Anstrengung — die seltsamerweise eine Art bewußter Verneinung von Anstrengung zu sein schien — gelang es ihr schließlich, sich zu beruhigen.
„Ich danke Ihnen, meine neue Freundin“, trillerte der Empath, und als er sich wieder Chiang zuwandte, zitterte er nicht mehr.
„Werte Doktoren, Ihr Anliegen mag ja ehrenhaft sein, aber Sie vergeuden mit mir nur Ihre kostbare Zeit“, rief der Terrestrier. „Ehrlich, ich fühle mich großartig.“
Prilicla stieß sich von der Decke ab, schwebte über der Stelle, an der sich Chiangs Verletzungen befanden, die er sich erst kürzlich auf Sommaradva zugezogen hatte, und berührte die Narben mit seinen federleichten Tastorganen. „Ich weiß, wie Sie sich fühlen, Freund Chiang, aber unsere Zeit vergeuden wir keineswegs“, entgegnete er. „Oder wollen Sie uns, einem Melfaner und einem Cinrussker, die beide darauf erpicht sind, ihre Fachkenntnisse über andere Spezies ständig zu erweitern, allen Ernstes die Möglichkeit nehmen, ein wenig an einem Terrestrier herumzudoktern, selbst wenn dieser kerngesund ist?“
„Eigentlich nicht“, antwortete Chiang und fügte leise bellend hinzu: „Aber es wäre für Sie bestimmt interessanter gewesen, wenn Sie mich direkt nach dem Absturz gesehen hätten.“
Während der Empath wieder an die Decke zurückkehrte, fragte er den Melfaner: „Wie lautet Ihre Beurteilung, Freund Edanelt?“
„Die chirurgischen Arbeiten sind zwar nicht so, wie ich sie ausgeführt hätte“, erwiderte der Melfaner, „sie sind aber. nun, ich würde mal sagen, ausreichend.“