„Nein!“ widersprach Khone erneut. „Bei der Geburt und eine kurze Zeit danach muß die Patientin bei Bewußtsein sein. Es gibt gewisse Dinge, die Eltern für ihre Neugeborenen zu tun haben. Kann nicht die Maschine instruiert werden, die Operation vorzunehmen? Vor der Berührung durch die Maschine würde sich die Patientin sehr viel weniger fürchten als vor der Berührung durch einen Außerplanetarier.“
Prilicla zitterte durch die emotionale Anspannung, die für eine abschlägige Antwort erforderlich war, erneut. „Das geht leider nicht. Die ferngesteuerten Greifer arbeiten für solch ein heikles Verfahren zu ungenau, beziehungsweise sprechen sie nicht leicht genug an. Falls die Bemerkung erlaubt ist, die Patientin befindet sich in stark geschwächtem Zustand und wird in Kürze vielleicht auch ohne die Hilfe von Medikamenten das Bewußtsein verlieren.“
Khone schwieg einen Moment lang und erwiderte dann mit verzweifeltem Unterton in der Stimme: „Dem Bewußtsein der Patientin ist klar, daß die außerplanetarischen Ärzte ihr mit Freundschaft und Besorgnis begegnen. Aber unterbewußt, in den dunkleren, nicht denkenden Winkeln ihres Verstands, würde die unmittelbare Nähe einer dieser optisch grauenhaften Kreaturen eine direkte und tödliche Bedrohung darstellen, die zwangsläufig zu einem Ruf nach Zusammenschluß führen würde.“
„Diesen Ruf würde aber niemand hören“, entgegnete Prilicla und erläuterte die Wirkung der Klangverfälscher. Doch Khones Antwort brachte den Empathen erneut zum Zittern.
„Der Ruf nach Zusammenschluß setzt einen Zustand äußerster seelischer Bedrängnis voraus, dem eine starke, unkontrollierte körperliche Verausgabung folgt“, erklärte sie. „Die Auswirkungen auf die Patientin und den Fötus könnten zum Tod führen.“
„Die Zeit drängt und der Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide“, sagte Prilicla schnell. „Man muß Risiken eingehen. Die Sonde kann nicht nur Bilder übermitteln, sondern auch empfangen und wird gleich die außerplanetarischen Freunde zeigen. Kann sich die Patientin bitte daraus das für sie am wenigsten schreckliche Wesen aussuchen, das dann versuchen wird, ihr zu helfen?“
Während die Kamera des Krankentransporters einen Schwenk machte, um alle Anwesenden der Reihe nach vor die Linse zu bekommen, meldete sich erneut Khone: „Die Terrestrier sind vertraute und treue Freunde, genau wie der Cinrussker und die Kelgianerin, die bei dem früheren Besuch auf Goglesk gesehen worden sind, aber sie alle würden blinde, instinktive Angst hervorrufen, wenn sie zu nahe kämen. Die übrigen zwei Wesen lassen sich weder im Gedächtnis der Patientin noch in den Erinnerungen des Terrestriers Conway aufspüren. Sind die beiden Ärzte?“
Bei der Antwort schwang eine Spur Erleichterung in der Stimme des Empathen mit. „Beide sind erst vor kurzem im Hospital eingetroffen und waren Conway zur Zeit seines ersten Besuchs noch nicht bekannt. Das kleine, kugelförmige Wesen ist Danalta, der die Fähigkeit besitzt, jede gewünschte körperliche Gestalt anzunehmen; auf Wunsch auch die einer Gogleskanerin, und alle Gliedmaßen oder Sinnesorgane auszustülpen, die für die Behebung oder Linderung einer organischen Funktionsstörung" nötig sind. Er wird unter der Leitung des Chefarztes operieren und ist die ideale Wahl für.“
„Ein Gestaltwandler!“ fiel ihm Khone ins Wort. „Dieses Wesen, dessen nichtkörperliche Fähigkeiten zweifellos bewundernswert sind, möge entschuldigen, aber allein der Gedanke an eine solche Lebensform ist erschreckend, und ihre unmittelbare Annäherung in Gestalt einer Gogleskanerin wäre unerträglich widerwärtig. Nein!
Das große Wesen daneben wäre weniger beunruhigend“, fügte sie hinzu.
„Das große Wesen ist eine Wartungstechnikerin des Hospitals“, sagte Prilicla in entschuldigendem Ton.
„Und war vorher eine Chirurgin für Krieger auf Sommaradva, die zudem Erfahrungen mit fremden Spezies gesammelt hat“, fügte Cha Thrat leise hinzu.
Der Empath zitterte schon wieder, diesmal wegen der Flut gemischter Gefühle, die die übrigen Mitglieder des medizinischen Teams ausstrahlten.
„Entschuldigung“, bat Prilicla hastig. „Es ist leider ein kurze Zeitverzögerung erforderlich. Diese Angelegenheit muß erst besprochen werden.“
„Aus medizinischen Gründen hofft die Patientin, daß die Verzögerung sehr kurz ausfallen wird“, mahnte Khone zur Eile.
Pathologin Murchison meldete sich als erste zu Wort. „Cha Thrat, Ihre Erfahrung mit fremden Spezies beschränkt sich auf einen terrestrischen DBDG und einen hudlarischen FROB, und in beiden Fällen hat es sich um einen einfachen äußerlichen operativen Eingriff an Gliedmaßen gehandelt. Keine dieser Spezies und, was das betrifft, auch nicht Ihre eigene Klassifikation als DCNF weist irgendeine Ähnlichkeit mit einer gogleskanischen FOKT auf. Nach dieser Glied-um-Glied-Geschichte im Hudlarer-OP bin ich überrascht, daß Sie die Verantwortung übernehmen wollen.“
„Wenn die Sache schiefgeht“, mischte sich Naydrad mit besorgt zuckendem Fell ein, „und die Patientin oder das Neugeborene stirbt, möchte ich nicht wissen, was für ein medizinisches Rührstück Sie diesmal als Buße dafür abziehen werden. Lassen Sie lieber die Finger davon.“
„Ich habe keine Ahnung, warum Khone eine solch unbeholfene und ungelenkige Lebensform wie Cha Thrat mir vorzieht“, sagte Danalta in einem Ton, der verriet, daß seine Gefühle verletzt waren.
„Der Grund ist für den Betreffenden erniedrigend und wahrscheinlich beleidigend“, meldete sich Khone und rief allen damit in Erinnerung, daß sie vergessen hatten, den Sondenkommunikator abzuschalten, „sollte aber nicht unerwähnt bleiben, falls es die Sommaradvanerin für notwendig hält, ihr Angebot zurückzuziehen.
Es gibt physische, psychologische und vielleicht absurde Gründe, warum sich dieses Lebewesen der Patientin bis auf kurze Distanz nähern kann, sie aber außer mit langstieligen Instrumenten nicht berühren darf“, fuhr Khone fort.
Wie Khone erklärte, gab es zwischen den FOKT- und DCNF-Klassiffkationen nur wenige äußerliche Gemeinsamkeiten, allenfalls in den Augen sehr junger Gogleskaner, die versuchten, kleine Nachbildungen ihrer Eltern anzufertigen. Doch die dichte Behaarung des eiförmigen Körpers, die vier kurzen, nach außen gebogenen Beine, die Fingerbüschel und die vier langen Fühler auf dem Kopf überstiegen ihr bildhauerisches Geschick. Statt dessen brachten sie plumpe kegelförmige Figuren aus Schlamm und Gras zustande, in die sie Zweige steckten, die nicht immer gerade oder gleichmäßig dick waren. Die Endprodukte wiesen, bis auf ihre Größe, eine deutliche Ähnlichkeit mit dem Körperbau der Sommaradvanerin auf.
Diese primitiv geformten Modelle wurden in den Jahren, die auf den Eintritt von der Kindheit ins Erwachsenenalter folgten, angefertigt, wenn die Stacheln des jungen Erwachsenen für sein Elternteil lebensgefährlich wurden. Sowohl das Elternteil als auch dessen Kind bewahrten die Nachbildungen als Andenken an die einzige Zeit in ihrem Leben auf, in der sie ohne Gefahr die Wärme und Nähe eines ausgedehnten Kontakts zu einem anderen Vertreter der eigenen Spezies gespürt hatten.
Das war ein Erinnerungsstück, das ihnen in ihrem späteren, unglaublich einsamen Leben als Erwachsene half, bei Verstand zu bleiben.
Als Khone ihre Ausführungen beendet hatte, reagierte Murchison als erste. Die Pathologin musterte Cha Thrat und sagte ungläubig: „Ich denke, Khone will uns sagen, daß Sie wie das gogleskanische Gegenstück eines übergroßen terrestrischen Teddybären aussehen.“
Wainright stieß ein nervöses Lachen aus, und die übrigen reagierten gar nicht. Wahrscheinlich konnten sie sich wie Cha Thrat weder unter einem terrestrischen Teddybären noch unter dessen gogleskanischem Gegenstück etwas vorstellen. Aber wenn diese Nachbildungen ihr in vieler Hinsicht ähnelten, konnten sie nicht ganz und gar unvorteilhaft aussehen.
„Die Sommaradvanerin ist bereit zu helfen und hat an dem Vergleich mit den Nachbildungen keinerlei Anstoß genommen“, sagte Cha Thrat unaufgefordert.