„Ist dieser Zustand bei schwangeren Gogleskanerinnen selten oder normal?“ fragte sie ruhig. „Und wie wird in solchen Fällen gewöhnlich vorgegangen?“
Als Khone antwortete, war ihre Stimme so schwach, daß man sie kaum hören konnte. „Dieser Zustand tritt nicht selten auf Die normale Vorgehensweise besteht in solchen Fällen darin, starke Dosen Medikamente zu verabreichen, die es der Patientin und dem Fötus ermöglichen, unter geringstmöglichen Schmerzen zu sterben.“
Cha Thrat wußte nicht, was sie sagen oder tun sollte.
In der Stille, die in Khones Zimmer herrschte, wurde ihr der Lärm von außen immer stärker bewußt: das ununterbrochene Pfeifen und Zischen der Klangverfälscher; Naydrads Stimme, die sie über Priliclas Anzugfank hörte und die gerade über das Problem lamentierte, wie schwierig es sei, die letzte Kappe über die Stachel einer sich wehrenden Patientin zu stülpen; und leiser Murchison, Danalta und Prilicla selbst, die völlig unterschiedliche Maßnahmen vorschlugen und im selben Augenblick wieder verwarfen.
„Die Stimmen des medizinischen Teams sind nur sehr schwer zu verstehen“, meldete sich Cha Thrat besorgt. „Ist schon eine Entscheidung gefallen? Wie lauten jetzt die Anweisungen?“
Plötzlich waren die Stimmen lauter und überaus deutlicher zu hören, weil sie sowohl aus dem Lautsprecher der Sonde als auch aus Cha Thrats Kopfhörer kamen. Naydrad, die sich ganz auf die ferngesteuerten Greifer der Sonde konzentrierte, während sie die letzte Schutzkappe überzustülpen versuchte, mußte zu dem Schluß gekommen sein, daß die Sommaradvanerin die anderen lauter hören wollte, und hatte auf ihre Äußerung ohne nachzudenken reagiert.
Man unterhielt sich vollkommen sorglos.
Prilicla sprach in gefaßtem und beruhigendem Ton und war sich, wie Cha Thrat feststellte, offensichtlich nicht bewußt, daß nicht nur sie selbst ihn hörte, sondern auch Khone. Zudem hinderte die starke und gegensätzliche emotionale Ausstrahlung der Teammitglieder, von denen er dicht umgeben war, den Empathen daran, die plötzlich bei Cha Thrat ausbrechende Angst und Verwirrung wahrzunehmen.
„Cha Thrat, es hat eine längere Auseinandersetzung über die Frage, wer die Operation durchführen soll, gegeben, die jetzt zu Ihren Gunsten entschieden worden ist“, sagte Prilicla. „Freundin Khone muß dringend operiert werden, aber ihr Zustand hat sich so weit verschlechtert, daß man nicht mehr das Risiko eingehen kann, sie zur Operation aus dem Haus zu schaffen. Sie haben keine andere Wahl, als.“
„Nein!“ protestierte Cha Thrat in eindringlichem Ton. „Hören Sie bitte auf zu reden!“
„Keine Sorge, Cha Thrat“, fuhr der Empath fort, der den wahren Grund für den Einwand nicht kannte. „Über Ihre Fachkompetenz besteht kein Zweifel, und Pathologin Murchison und ich haben uns Conways Aufzeichnungen zur FOKT-Lebensform, wie Sie selbst ja auch, genau angesehen. Sie werden von uns zu jeder neuen Phase des Verfahrens die nötigen Anleitungen erhalten, und wir übernehmen durchweg die volle Verantwortung.
Um die Beschwerden der Patientin zu lindern, ist ein sofortiger operativer Eingriff vonnöten. Sobald die Schutzkappe auf dem letzten Stachel sitzt, werden Sie den Gebärmutterhals vergrößern, indem Sie mit dem Skalpell Nummer acht einen Schnitt vom Becken hinauf bis zum. Was ist jetzt los?“
Eine Erklärung erübrigte sich, da Prilicla in der Zeit, die er zum Stellen seiner Frage benötigte, bereits die Antwort kannte. Khone, die einer umfangreichen, überfallartigen Operation entgegensah, hatte instinktiv mit dem Ausstoß des Rufs nach Zusammenschluß reagiert und versuchte nun, das einzige fremde, und dadurch bedrohliche Wesen in ihrer Reichweite mit dem noch nicht entschärften Stachel zu erstechen. Da ihre Beine vollständig gelähmt waren, warf sie sich wild von einer Seite auf die andere und zog sich mit den Fingerbüscheln auf Cha Thrat zu.
Der lange gelbe Stachel, auf dem keine Kappe saß und dessen Spitze bereits winzige Gifttropfen absonderte, schwang hin und her und kam ruckweise immer näher. Verzweifelt schob sich Cha Thrat mit den Vorderfüßen und den Mittelgliedmaßen zurück, sprang auf die Gogleskanerin zu und ergriff den Stachel mit dreien ihrer oberen Hände am unteren Teil.
„Hören Sie auf!“ brüllte sie über die immense Lautstärke des Rufs hinweg. „Hören Sie sofort auf, sich zu bewegen, sonst verletzen Sie sich selbst und Ihr Kind!“ rief sie und vergaß dabei völlig, sich unpersönlich auszudrücken. „Ich bin Ihre Freundin, ich will Ihnen helfen. Naydrad, stecken Sie die Kappe drauf! Schnell!“
„Dann halten Sie doch den Stachel still!“ raunzte die Kelgianerin sie an, während sie den Greifarm der Sonde über Khones zuckenden Kopf schwenkte. „Halten Sie ihn ganz still!“
Aber das war leichter gesagt als getan. Cha Thrats obere, auf Halshöhe sitzende Arme hatten sich mit ihren Händen und Fingern für feinere Tätigkeiten entwickelt, bei denen es auf Genauigkeit ankam, und verfügten deshalb nicht über die kräftige Muskulatur der mittleren Gliedmaßen. Um dennoch den Stachel einigermaßen festzuhalten, hatte sie sich der Gogleskanerin so weit nähern müssen, daß sich ihre Köpfe beinahe berührten. Verzweifelt nahm Cha Thrat all ihre Kräfte zusammen, um den Druck des lachhaft schwachen Griffs um den Stachel zu verstärken, und ein pochender Schmerz zog bis in den Nacken und die obere Brust. Sie wußte, wenn ihre Finger abrutschten, würde sich der Stachel sofort in ihre Schädeldecke bohren.
Das medizinische Team würde wahrscheinlich schnell genug zu ihr vordringen, um ihr Leben zu retten, aber nicht das von Khone und dem Fötus, wegen denen man letztendlich hierhergekommen war. Sie fragte sich, wie Murchison, die Lebensgefährtin des Diagnostikers, Prilicla, der seit langem sein Freund war, und sie selbst Conway mit der Nachricht von Khones Tod ins Auge sehen könnten, als Naydrad plötzlich „Geschafft!“ schrie.
Der letzte Stachel war abgedeckt. Cha Thrat konnte sich zwar einen Augenblick lang entspannen, nicht aber Khone, die sich nach wie vor auf dem Boden wand und sich hin- und herrollte und erfolglos mit allen vier von Kappen überzogenen Stacheln auf Cha Thrat einstach. In unmittelbarer Nähe klang ihr Notruf wie ein Sturm, der durch ein verfallenes Haus heulte und pfiff.
„Wenigstens funktionieren die Klangverfälscher“, bemerkte Wainright und fügte warnend hinzu: „Aber beeilen Sie sich, die halten nicht mehr lange durch!“
Cha Thrat beachtete den Terrestrier nicht, packte mit den mittleren und oberen Händen ganze Haarbüschel der Gogleskanerin und versuchte vergeblich, sie festzuhalten. „Hören Sie auf, sich zu wehren“, bat sie flehentlich. „Sie vergeuden nur das bißchen Kraft, das Sie noch haben. Sie werden sterben und Ihr Kind auch. Bitte, liegen Sie still! Ich bin doch keine Feindin, ich bin Ihre Freundin!“
Der Ruf nach Zusammenschluß heulte zwar mit unverminderter Lautstärke weiter, so daß sich Cha Thrat fragte, wie solch ein kleines Geschöpf einen derartigen Lärm veranstalten konnte, aber Khones Bewegungen wurden schon deutlich weniger heftig. War das bloß ein Zeichen für körperliche Erschöpfung, oder drang sie allmählich zu der Gogleskanerin durch? Dann sah sie, wie sich die langen, blassen Fühler aus dem Schutz unter dem Haupthaar entrollten und sich schnurgerade aufrichteten. Zwei von ihnen sanken langsam nach unten und legten sich über Cha Thrats Scheitel, und auf einmal hätte sie am liebsten laut geschrien.