„Ich verstehe“, sagte Cha Thrat.
„Pathologin Murchison ist hochintelligent“, erklärte der Cinrussker weiter, „und mit der Zeit wird sie dahinterkommen, was geschehen ist, falls sie es nicht schon vorher von Khone erfährt. Deshalb möchte ich, daß Sie Khone bei der erstbesten Gelegenheit diese heikle Geschichte klarmachen und sie in dieser Angelegenheit um Stillschweigen bitten.
Freundin Khone verfügt jetzt nicht nur über Conways Erinnerungen und Gefühle, sondern auch über die Cha Thrats“, fügte Prilicla noch freundlich hinzu.
Die noch immer vorhandenen Gedanken der gogleskanischen Ärztin drohten Cha Thrats eigene mit einer seltsamen Mischung aus Angst, Neugier und elterlicher Sorge zu überwältigen, und einen Moment lang brachte Cha Thrat kein Wort heraus. Schließlich fragte sie: „Ist Khone schon in der Lage zu sprechen?“
„Ich habe das bestimmte Gefühl — und nicht bloß den Verdacht —, daß sowohl die Mutter als auch das Kind wohlauf sind“, antwortete Prilicla und bereitete sich darauf vor loszufiegen, indem er die Flügel ausbreitete. „Aber wenn wir jetzt nicht bald das Gespräch beenden, werden sich die anderen noch fragen, was ich Ihnen antue, und werden Sie blutüberströmt und von blauen Flecken übersät zurückerwarten.“
Die Vorstellung, Prilicla könnte irgend jemandem irgendeine Art von Verletzung zufügen, war so absurd, daß sogar eine Gogleskanerin sie für genauso komisch hielt wie eine Sommaradvanerin und ein Terrestrier. Lauthals lachend folgte Cha Thrat den anderen zur Landefähre, während ihr der von den Flügeln des Empathen erzeugte Wind das Haar zerzauste.
„Ihnen ist doch hoffentlich klar, meine Freundin“, sagte der Empath, dessen zitternde Glieder eine deutliche Rechtfertigung für die Worte waren, die das Vergnügen der Sommaradvanerin dämpfen sollten, „daß O'Mara von dem Vorfall unterrichtet werden muß, oder?“
15. Kapitel
Als man die Gogleskanerin mit ihrem Kind von der Landefähre in die spezielle FOKT-Unterkunft auf dem Unfalldeck der Rhabwar gebracht hatte, waren beide Patienten bei vollem Bewußtsein und gaben geräuschvolle, zischende Laute von sich. Die Laute des Neugeborenen übersetzte der Translator nicht, aber Khones teilten sich in wiederholte Dankbarkeitsbekundungen für ihr Überleben und leise, aber sehr nachdrückliche Vergewisserungen über ihre körperliche Verfassung auf. Die Selbstdiagnose der Ärztin wurde von den Biosensoren untermauert und von den weniger handgreiflichen, dafür aber genaueren Befunden des für Emotionen empfänglichen Prilicla bestätigt. Da sie jetzt durch eine dicke, durchsichtige Trennwand von den freundlichen außerplanetarischen Ungeheuern getrennt war und sich somit auch von ihren unterbewußten Ängsten befreit hatte, war es Khone ein regelrechtes Vergnügen, sich jederzeit mit jedem zu unterhalten.
Das schloß auch die nichtmedizinischen Besatzungsmitglieder ein, die mit Captain Fletchers Erlaubnis kurz ihre Posten im Kontroll- und Maschinenraum verließen, um der Patientin zu gratulieren und mit Lügen über die deutlich erkennbare Intelligenz des Neuankömmlings, dessen Ähnlichkeit mit der Mutter und große Schönheit zu schmeicheln, eines Jungen von überdurchschnittlichem Gewicht. Trotz Priliclas eindringlichen Bitten, die Patientin ausruhen und sich von der übermäßigen Aufregung erholen zu lassen, erinnerte die Atmosphäre rings um Khones Zimmer mehr an eine Geburtstagsfeier als an das Unfalldeck eines Ambulanzschiffs.
Als jetzt Captain Fletcher eintraf, brauchte niemand die empathischen Fähigkeiten Priliclas zu besitzen, um den allgemeinen Stimmungsumschwung wahrzunehmen. An Khone richtete der Terrestrier die flüchtige Frage nach ihrem eigenen Befinden und dem des Kleinen, dann wandte er sich schnell Prilicla zu.
„In einer bestimmten Angelegenheit, Doktor, muß eine Entscheidung getroffen werden, zu der nur Sie und Ihr Team in der Lage sind. Vor ein paar Minuten hat uns das Hospital per Funk gemeldet, daß in diesem Sektor eine Notsignalbake entdeckt worden ist. Das verunglückte Schiff befindet sich ungefähr fünf Subraumflugstunden von uns entfernt. Die Bake gehört nicht zu dem von der Föderation benutzten Typ, deshalb sind die Opfer womöglich Mitglieder einer uns unbekannten Spezies. Das macht es natürlich schwierig, die für die Bergung benötigte Zeit zu schätzen, da nach unseren Erfahrungen so etwas ein paar Stunden oder aber auch einige Tage dauern kann.
Die Frage ist, ob die Patientin ins Hospital eingeliefert werden muß, bevor oder nachdem wir dem Notruf nachgegangen sind.“
Das war keine leichte Entscheidung, weil die Patientin, auch wenn ihr Zustand stabil war und sie nicht dringend behandelt werden mußte, zu einer Lebensform gehörte, über die klinisch nur wenig bekannt war, so daß jederzeit unerwartete Komplikationen auftreten konnten. Überraschenderweise wurde die lebhafte, aber zwangsläufig kurze Diskussion von Khone selbst beendet.
„Bitte, meine Freunde!“ mischte sie sich in einer der seltenen Gesprächspausen ein. „Gogleskanerinnen erholen sich schnell, wenn sie erst einmal das Geburtstrauma überstanden haben. Ich kann Ihnen sowohl als Ärztin als auch als Patientin versichern, daß eine derartige Verzögerung weder mich noch mein Kind gefährdet. Nebenbei, hier auf dem Schiff erfahren wir viel mehr Zuwendung, als es irgendwo auf Goglesk möglich wäre.“
„Sie vergessen dabei etwas“, gab Murchison zu bedenken. „Wir gelangen vielleicht an den Schauplatz einer Katastrophe, an der möglicherweise eine für uns völlig neue Lebensform beteiligt ist. Es ist denkbar, daß diese Wesen selbst uns mit Schrecken oder Abscheu erfüllen, ganz zu schweigen von einer Gogleskanerin, die zum erstenmal ihren Planeten verlassen hat.“
„Das mag ja sein“, räumte Khone ein, „aber die Opfer werden sich höchstwahrscheinlich in viel schlechterer Verfassung befinden als ich.“
„Na schön“, beendete Prilicla schließlich die Debatte und wandte sich wieder an den Captain. „Allem Anschein nach hat uns Khone an die Prioritäten und an unsere ärztliche Pflicht erinnert. Teilen Sie dem Hospital mit, daß die Rhabwar dem Notruf Folge leistet.“
Fletcher verschwand in Richtung Kontrollraum, und der Cinrussker fuhr fort: „Jetzt sollten wir erst einmal essen und dann schlafen, da wir in nächster Zeit womöglich weder zu dem einen noch zu dem anderen Gelegenheit haben werden. Die Biosensoren der Patientin werden automatisch überwacht, und jede Veränderung ihres Zustands wird mir sofort gemeldet. Auch Khone und ihr Kind brauchen Ruhe, und die würden sie nicht bekommen, wenn ich hier ein Mitglied des Teams zum Dienst zurücklassen würde. Also, alle raus hier! Schlafen Sie gut, Freundin Khone.“
Der Empath flog in seiner anmutigen Art in den gravitationsfreien Hauptverbindungsschacht und weiter in Richtung Speise- und Freizeitdeck. Naydrad, Danalta, Murchison und Cha Thrat folgten ihm auf konventionellere Weise. Doch kurz bevor sie ihre Kletterpartie in der Schwerelosigkeit begannen, hielt sich Murchison mit einer Hand an der Leiter fest und legte Cha Thrat die zweite auf eine der mittleren Gliedmaßen.
„Warten Sie bitte“, sagte sie. „Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.“
Cha Thrat verharrte in ihrer Position, sagte aber nichts. Das Gefühl dieser zarten Alienfinger, die sanft ihren Arm umfaßten, und der Anblick des schwammigen, rosa Terrestriergesichts, das sie von unten anblickte, ließen Empfindungen aufkommen, auf die kein Sommaradvaner — und erst recht kein weiblicher — ein Recht hatte. Langsam, um die Terrestrierin nicht zu kränken, befreite sie ihre Gliedmaße aus Murchisons Griff und bemühte sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
„Mir macht diese Rettungsaktion zu schaffen, Cha Thrat, und auch der Eindruck, den die Verletzten, die wir vielleicht behandeln müssen, auf Sie machen werden“, sagte sie leise. „Unfallverletzungen können ganz schön schlimm sein. Zum größten Teil handelt es sich dabei um durch Aufpralle verursachte Frakturen und durch explosionsartigen Druckverlust hervorgerufene Wunden, und in der Regel gibt es nur sehr wenige Überlebende. Sie sind offenbar nicht in der Lage, Ihre sommaradvanische Nase aus dem medizinischen Gebiet herauszuhalten, aber diesmal müssen Sie versuchen — wirklich mit allen Mitteln versuchen —, sich nicht mit den Unfallopfern einzulassen.“