„Haben Sie keine Angst, Freundin Khone“, warf Prilicla schnell ein. „Selbst ein verrückt gewordener Hudlarer könnte die Trennwand, die Cha Thrat um Sie herumgestellt hat, nicht durchbrechen, und die Unfallopfer werden sowieso bewußtlos sein. Sie und Ihr Kind sind völlig sicher.“
„Das ist wirklich sehr beruhigend“, entgegnete die Gogleskanerin. Mit sichtlicher Überwindung fügte sie persönlicher hinzu: „Ich danke Ihnen.“
„Freund Fletcher“, wandte sich der Empath an den Captain, „können Sie noch weitere Vermutungen über diese Lebensform anstellen, außer daß sie groß ist und wahrscheinlich keine besonders ausgeprägte Fingerfertigkeit besitzt?“
„Das hatte ich ja gerade vor“, grummelte der Captain ungehalten. „Nach der Analyse der entwichenen Innenatmosphäre zu urteilen, ist.“
„Dann hat der Rumpf Löcher bekommen!“ rief Cha Thrat aufgeregt dazwischen. „Von innen oder außen?“
„Technikerin Cha Thrat!“ zischte der Captain und hielt ihr allein mit dieser Anrede ihre Anmaßung vor Augen. „Nur zu Ihrer Information: Es ist äußerst schwierig, kostspielig und vollkommen überflüssig, ein großes Raumschiff absolut luftdicht zu machen. Es ist viel praktischer, den Innendruck auf dem Sollwert zu halten und die geringfügige Menge entweichender Luft zu ersetzen. Hätten wir im gegenwärtigen Fall keine austretende Luft entdeckt, hätte das fast mit Sicherheit bedeutet, daß das Schiff ganz und gar aufgerissen und luftleer ist.
Aber es gibt keinerlei Anzeichen für einen Zusammenstoß oder Rumpfschäden, und nach den Sensordaten und der Analyse der ausgetretenen Atmosphäre zu schließen, besteht die Besatzung aus warmblütigen Sauerstoffatmern, die eine ähnliche Umgebungstemperatur und annähernd den gleichen Druck brauchen wie wir.“
„Danke, Freund Fletcher“, sagte Prilicla und gesellte sich zu den anderen, die schweigend den Repeaterschirm betrachteten.
Das Bild des langsam schlingernden und rotierenden Schiffs war allmählich immer größer geworden, bis es den Bildschirmrand berührte, als Murchison sagte: „Das Schiff ist unbeschädigt und führerlos. Zudem tritt den Sensoren zufolge keine übermäßige Strahlung aus dem Hauptreaktor aus. Das Problem der Besatzung besteht demnach wahrscheinlich eher in einer Krankheit als in Verletzungen, die durch einen Unfall hervorgerufen worden sind. Vermutlich handelt es sich dabei um ein Leiden, von dem die gesamte Crew befallen worden ist und das sie arbeitsunfähig gemacht oder gar getötet hat. Darunter verstehe ich auch das Einatmen giftiger Gase, die durch einen technischen Defekt freigesetzt worden sind, beispielsweise aus dem.“
„Nein, Murchison“, widersprach Fletcher, der die Sprechverbindung zwischen Unfalldeck und Kontrollraum aufrechterhalten hatte. „Eine derart starke Verseuchung durch giftige Gase im Luftversorgungssystem wäre durch unsere Analysen nachgewiesen worden. Mit der Luft ist auf dem Schiff alles in Ordnung.“
„Dann hat vielleicht eine giftige Substanz die Getränke- oder Lebensmittelvorräte verseucht und ist auf diesem Wege aufgenommen worden“, fuhr Murchison unbeirrt fort. „So oder so, womöglich gibt es keine Überlebenden, und uns bleibt hier nichts zu tun, als Nachuntersuchungen anzustellen, die Physiologie einer neuen Lebensform aufzuzeichnen und dem Monitorkorps den Rest zu überlassen.“
Der Rest würde, wie Cha Thrat wußte, bedeuten, eine eingehende Untersuchung der Energie, der Lebenserhaltung und der Navigationssysteme des Schiffes mit dem Ziel durchzuführen, den technischen Entwicklungsstand der Spezies zu beurteilen. Daraus könnten sich die Informationen ergeben, die man brauchte, um die einzelnen Abschnitte der Flugbahn des Schiffs vor dem Unfall zu berechnen und den Kurs zum Herkunftsplaneten zurückzuverfolgen. Gleichzeitig würde man eine noch sorgfältigere Bewertung der nichttechnischen Ausstattung des Schiffs — der Besatzungsunterkünfte und deren Einrichtung, der Kunst- und Dekorationsgegenstände, der persönlichen Habseligkeiten, der Bücher,
Bänder und der Geräte zum persönlichen Zeitvertreib — vornehmen, damit man nach geglückter Entdeckung des Heimatplaneten, die letzten Endes nicht ausbleiben kann, wüßte, mit welchen Lebewesen man es zu tun bekommen würde.
Und zu guter Letzt würde dieser Planet von den Kontaktspezialisten des Monitorkorps aufgesucht werden und, genau wie Sommaradva, nie wieder so sein wie vorher.
„Wenn es auf dem Schiff keine Überlebenden gibt, Murchison, dann ist das hier keine Aufgabe für die Rhabwar“, meinte Fletcher mit Bedauern. „Aber das können wir nur herausfinden, wenn wir uns aufs Schiff begeben und nachsehen. Prilicla, möchten Sie irgendein Mitglied Ihres Teams mit mir mitschicken? Obwohl, zu diesem Zeitpunkt ist es eher ein mechanisches als ein medizinisches Problem, sich Zugang zum Schiff zu verschaffen. Lieutenant Chen und Technikerin Cha Thrat, Sie werden mir helfen hineinzukommen. Moment mal! Mit dem Schiff geht irgend etwas vor!“
Cha Thrat war völlig überrascht, daß sie Fletcher bei einer derart wichtigen Aufgabe helfen sollte, äußerst beunruhigt, weil sie vielleicht nicht imstande sein würde, seine Erwartungen zu erfüllen, und mehr als ein bißchen ängstlich, wenn sie daran dachte, was sie möglicherweise erwartete, nachdem sie in das verunglückte Schiff eingedrungen waren. Doch diese Gefühle wurden einstweilen durch den Anblick der Vorgänge auf dem Bildschirm verdrängt.
Während alle wie gebannt auf den Schirm starrten, erhöhte sich die Geschwindigkeit, mit der das Schiff schlingerte und rotierte, und der vordere und hintere Teil des Rumpfs und die Spitzen der breiten dreieckigen Flügel wurden durch unregelmäßige Dampfstrahle in Nebel eingehüllt. Einen Moment lang glaubte Cha Thrat, die Übelkeit eines jeden Wesens, das sich gerade auf diesem Schiff befand und bei Bewußtsein war, gut nachempfinden zu können, dann meldete sich erneut Fletcher.
„Das sind die Steuerungsdüsen!“ rief er aufgeregt. „Offenbar versucht jemand, die Drehung zu stoppen, macht aber alles nur noch schlimmer! Vielleicht geht es dem Überlebenden körperlich nicht gut, oder er ist verletzt oder nicht mit der Steuerung vertraut. Aber immerhin wissen wir jetzt, daß im Schiff noch jemand am Leben ist. Dodds, sobald wir in Reichweite sind, stoppen Sie die Drehung und koppeln mit allen verfügbaren Traktorstrahlen an. Doktor Prilicla, es gibt wieder etwas für Sie zu tun.“
„Manchmal ist es doch wirklich schön, wenn man Lügen gestraft wird“, sagte Murchison, ohne irgend jemanden direkt anzusprechen.
Während sich Cha Thrat ihren Anzug anlegte, verfolgte sie mit Spannung das Gespräch zwischen dem medizinischen Team und Fletcher, das sich schnell zu einem erbitterten Streit ausgeweitet hätte, wäre nicht der sanfte kleine Empath zugegen gewesen.
Aus dem Wortwechsel ergab sich deutlich, daß der Captain der alleinige Herrscher über die Rhabwar war, soweit es sämtliche Schiffsoperationen betraf, doch am Schauplatz einer Katastrophe mußte er seine Befehlsgewalt an den ranghöchsten Arzt an Bord abtreten, der dazu ermächtigt war, die Fähigkeiten des Schiffs und seiner Offiziere nach eigenem Gutdünken einzusetzen. Der eigentliche Streit schien sich genau um den Punkt zu drehen, an dem Fletchers Verantwortung aufhörte und Priliclas anfing.
Der Captain beanspruchte, daß sich das medizinische Team, weil es sich nicht um ein beschädigtes Schiff handle, erst dann am Unglücksort befände, wenn er es ins Schiff hineingebracht habe, und bis dahin müsse es weiterhin seine Anweisungen oder wenigstens seine Ratschläge befolgen. Der Rat des Captains an das medizinische Team lautete, auf der Rhabwar zu bleiben, bis er, Fletcher, sich Zugang zum fremden Schiff verschafft habe. Andernfalls riskiere man, selbst zu Opfern eines Unfalls zu werden, falls sich der verletzte oder kranke Überlebende — der ja bereits den Versuch, die Rotation des Schiffs mit den Steuerungsdüsen zu stoppen, verpatzt hatte — entschließen sollte, mit den Haupttriebwerken ein gleichermaßen fruchtloses wie verheerenderes Unterfangen zu veranstalten.