Ich bin mir bewußt, daß ich sowohl feige als auch selbstsüchtig bin“, fuhr er fort, „aber ich möchte nicht die Ausrüstung unseres Unfalldecks gefährden und Freundin Khone in Angst und Schrecken versetzen, indem ich fast zwanzig riesige, hyperaktive und momentan nicht gerade mit Intelligenz brillierende Aliens aufs Schiff schaffe, die.“
„Der Meinung bin ich allerdings auch“, pflichtete ihm Fletcher in entschiedenem Ton bei. „Wenn dieser Haufen ausbrechen würde, könnten die nicht nur das Unfalldeck, sondern mein ganzes Schiff zerstören. Die Alternative ist, sie hierzubehalten, die Hyperraumhülle der Rhabwar auszudehnen und mit beiden Schiffen zum Orbit Hospital zu springen.“
„Das war auch mein Gedanke, Freund Fletcher“, stimmte Prilicla ihm in seltener Einigkeit zu. „Zudem schlage ich vor, Sie bringen den Bordtunnel an, damit wir schneller zu den Überlebenden gelangen können, und wir entnehmen aus allen Paketen und Containern, die wahrscheinlich die Nahrung oder ein Nahrungskonzentrat für diese Lebensform enthalten, Proben. Das einzige Symptom, das die Aliens zeigen, ist großer Hunger, und den würde ich gerne so bald wie möglich stillen, damit sie sich nicht noch gegenseitig auffressen.“
„Und ich soll bestimmt die Proben analysieren, damit ich Ihnen sagen kann, in welchen Containern sich Farbe und in welchen sich Suppe befindet, richtig?“ meldete sich die Pathologin zu Wort.
„Das wäre sehr angebracht, meine Freundin“, bedankte sich der Empath. „Würden Sie neben der Untersuchung des Schädels auch den allgemeinen Stoffwechsel der Leiche unter die Lupe nehmen, um ein sicheres Betäubungsmittel für die Aliens zu entwickeln, etwas Schnellwirkendes, das wir aus sicherer Entfernung auf sie abschießen können? Die Aliens müssen alle schleunigst narkotisiert werden, weil ich.“
„Für eine derart schnelle Arbeit brauche ich das Labor auf der Rhabwar, nicht einen tragbaren Analysator wie diesen hier“, unterbrach ihn Murchison. „Außerdem benötige ich die Hilfe des gesamten medizinischen Teams.“
„.weil ich das Gefühl habe“, fuhr Prilicla in ruhigem Ton fort, „daß noch ein weiterer Überlebender an Bord ist, der gar nicht gesund, aktiv und hungrig ist. Dessen emotionale Ausstrahlung ist allerdings äußerst schwach und ganz typisch für jemanden, der in tiefer Bewußtlosigkeit und vielleicht sogar im Sterben liegt. Aber wegen der stärkeren, sich in den Vordergrund drängenden Gefühle der wachen Überlebenden kann ich sie nicht lokalisieren. Aus diesem Grund möchte ich, daß, sobald die Proben für Freundin Murchison entnommen worden sind, jedes Schlupfloch, jeder Winkel und jeder Raum, in dem von der Größe her ein FGHJ stecken könnte, durchsucht wird.
Das muß sehr schnell geschehen, weil die emotionale Ausstrahlung wirklich äußerst schwach ist“, schloß der Cinrussker.
„Ich verstehe, Doktor, aber da gibt es ein Problem“, gab Fletcher leicht verlegen zu bedenken. „Pathologin Murchison benötigt das gesamte medizinische Team, und für die Ausdehnung der Hyperraumhülle der Rhabwar, die Nachjustierung der Traktorstrahlen für den Sprung und die Montage des Bordtunnels sind alle Schiffsoffiziere erforderlich.“
„Bleibe ich als einzige übrig, die nichts zu tun hat“, schlug Cha Thrat leise vor.
„Was soll also Vorrang haben?“ fragte der Captain, der sie anscheinend nicht gehört hatte. „Die Suche nach dem bewußtlosen FGHJ oder der schnellstmögliche Transport von ihm und der restlichen Besatzung zum Orbit Hospital?“
„Ich werde das Schiff durchsuchen“, sagte Cha Thrat, dieses Mal lauter.
„Danke, Cha Thrat, ich hatte schon gespürt, daß Sie sich freiwillig melden wollten“, gab Prilicla zu verstehen. „Aber überlegen Sie es sich ganz genau, bevor Sie sich entscheiden. Der Überlebende wird, falls Sie ihn finden, zu schwach sein, um Sie zu verletzen, jedoch drohen noch andere Gefahren. Dieses Schiff ist riesig und uns genauso unbekannt wie Ihnen.“
„Ja, Cha Thrat, Prilicla hat vollkommen recht“, mischte sich der Captain ein. „Das hier ist etwas anderes als die Wartungsschächte im Orbit Hospital. Die Farbmarkierungen haben hier, falls überhaupt vorhanden, eine völlig andere Bedeutung. Bei nichts, was Ihnen vor die Augen kommt, können Sie von irgendeiner Ihnen bekannten Voraussetzung ausgehen, und wenn Sie sich aus Versehen in den Steuerungsgestängen oder Kabelsträngen verfangen, dann gute Nacht. Na schön, Sie dürfen auf die Suche gehen, aber machen Sie keine Dummheiten!“
Dann blickte Fletcher Prilicla an und fügte wehmütig hinzu: „Also, ich habe bei der immer das Gefühl, in den Wind zu reden. Spüren Sie das, Doktor?“
17. Kapitel
Mit Hilfe der Ausdrucke der von den Sensoren der Rhabwar übermittelten Daten, die Aufschluß über den Aufbau des Schiffs und insbesondere über die Größe und Lage der Hohlräume gaben, begann Cha Thrat mit einer raschen und systematischen Durchsuchung des fremden Schiffs. Dabei ließ sie nur das Kommandodeck, die Schlafsäle mit den Aliens und bestimmte Bereiche in der Nähe des Schiffsreaktors außer acht, da diese dem Lageplan der Sensordaten zufolge weder von FGHJ-Lebensform noch von irgendeiner anderen Spezies betreten werden konnten, die nicht zu den Strahlungsverwertern gehörte. Sie achtete sehr sorgfältig darauf, sämtliche Hohl- und Innenräume mit Schallsensoren und dem schweren Scanner zu überprüfen, bevor sie irgendeine Tür oder Klappe öffnete. Zwar empfand sie keine Angst, aber es gab Momente, in denen ihr wie kleine, eiskalte Füße Schauer über den ganzen Rücken liefen.
Das geschah normalerweise immer dann, wenn ihr zu Bewußtsein kam, daß sie ein fremdes Raumschiff nach Überlebenden einer Spezies durchsuchte, deren Vorhandensein sie sich noch vor kurzer Zeit nicht hätte vorstellen können — und das auf Anweisung anderer unvorstellbarer Wesen aus einem Krankenhaus, dessen Größe, Komplexität und Insassen ihr wie die Realität gewordenen Ausgeburten eines gestörten Geistes vorkamen. Doch war das Undenkbare und Unvorstellbare für sie mittlerweile nicht nur denkbar, sondern auch akzeptabel geworden, und das alles nur, weil eine äußerst unzufriedene und relativ unbeliebte Chirurgin für Krieger auf Sommaradva eine Gliedmaße und somit ihren fachlichen Ruf aufs Spiel gesetzt hatte, um den verletzten außerplanetarischen Herrscher eines Schiffs zu behandeln.
Bei dem Gedanken, was ihr die Zukunft gebracht hätte, wenn sie diese Risiko nicht eingegangen wäre, bekam sie erneut eine Gänsehaut, dieses Mal wirklich aus Angst.
Obwohl die erste Durchsuchung rasch und nur oberflächlich vonstatten gehen sollte, dauerte diese viel länger, als sie es erwartet hatte. Als sie ihren Rundgang endlich beendet hatte, war der Bordtunnel der Rhabwar bereits angebracht worden, und ihre beiden leeren Mägen knurrten mittlerweile so laut, daß Cha Thrat sie sowohl spüren als auch hören konnte.
Prilicla wies sie an, sie solle diese Symptome noch vor ihrer Berichterstattung sofort beheben.
Als Cha Thrat auf dem Unfalldeck eintraf, waren Prilicla, Murchison und Danalta mit der Leiche beschäftigt, während ihnen Naydrad und Khone, die ihren behaarten Körper gegen die durchsichtige Trennwand drückte, mit solch brennendem Interesse zusahen, daß lediglich der Cinrussker die Ankunft der Sommaradvanerin bemerkt hatte.
„Was ist los, meine Freundin?“ fragte der Empath. „Irgend etwas auf dem Schiff hat sie beunruhigt, das habe ich sogar noch hier gespürt.“
„Das hier“, entgegnete sie und hielt eine der Fußfesseln hoch, die Murchison der Leiche vor dem Transport zur Rhabwar abgenommen und liegengelassen hatte. „Die Kette ist nicht mit einem Schloß oder ähnlichem an der Beinmanschette befestigt, sondern nur mit einem einfachen Sprungfederbolzen, der leicht ausgeklinkt werden kann, wenn man genau hier drauf drückt.“