„Danke, Freund Fletcher“, bestätigte Prilicla.
Auf einmal hatten sie alle diese vertraute, aber unbeschreibliche Empfindung von etwas, das man zwar nicht sehen, hören oder spüren konnte, das aber unbestreitbar vorhanden war und den Wechsel vom materiellen Universum in die kleine, substanzlose und rein mathematische Struktur anzeigte, die die Hyperraumantriebsgeneratoren des Schiffs rings um sie erzeugt hatten. Cha Thrat zwang sich zu einem Blick aus dem Sichtfenster des Unfalldecks. Die Traktor- und Pressorstrahlen, von denen die beiden Schiffe starr zusammengehalten wurden, waren unsichtbar, so daß sie nur den geradezu lachhaft dünnen Bordtunnel zwischen den Schiffen und, auf dem Boden der von den beiden Rümpfen gebildeten Schlucht aus Metall, das pulsierende, flimmernde Grau erblickte, das ihr durch die Augen hindurch ins Gehirn zu fahren und dort für heillose Verwirrung zu sorgen schien.
Bevor sie sich durch den Blick in den Hyperraum die Augen überanstrengte und davon Kopfschmerzen bekam, wandte sie die Aufmerksamkeit lieber wieder der stofflichen und vertrauten, wenn auch vorübergehend unwirklichen Welt des Unfalldecks zu.
Cha Thrat konnte nur noch ein paar wenige Worte mit Khone wechseln, bevor sie Murchison, Danalta und Naydrad in den Bordtunnel folgen mußte. Die Oberschwester half ihr beim Tragen von Paketen mit der Substanz, die Murchison als Nahrungsmittel identifiziert hatte. Diese Substanz brauchte Cha Thrat nur mit den in riesigen Mengen vorhandenen Vorräten auf dem fremden Schiff zu vergleichen, um sämtliche lebende Besatzungsmitglieder mit Nahrung zu versorgen, bis sie aus allen Nähten platzten.
Das letzte, was sie für lange Zeit vom Unfalldeck sah, obwohl sie das in diesem Moment noch nicht wußte, war Chefarzt Prilicla, der über den weit verteilten Überresten der Leiche schwebte und zwischen seine leisen Worte an Khone unübersetzbare Schnalz- und Trillerlaute an den jungen Gogleskaner einstreute.
„Wenn wir die Zeit haben“, wandte sich Cha Thrat an die Pathologin, als sie mit Naydrad rings um die Steuerungsliege standen, in dem der noch immer aufgebrachte und schwach zappelnde FGHJ lag, „könnten wir dem Alien vor der Entnahme der Proben zu essen geben. Dadurch wird der Patient vielleicht zufriedener und zugänglicher.“
„Wir haben die Zeit dafür“, antwortete Murchison und fügte hinzu: „Es gibt Momente, Cha Thrat, in denen Sie mich an jemanden erinnern.“
„Kennen wir wirklich jemanden, der so seltsam ist?“ warf Naydrad in ihrer direkten kelgianischen Art ein.
Die Pathologin lachte, erwiderte aber nichts, und auch Cha Thrat schwieg. Ohne sich dessen bewußt zu sein, war Murchison in einen sensiblen und möglicherweise äußerst peinlichen Bereich vorgestoßen. Falls sie überhaupt jemals erfahren sollte, was mit dem Gehirn der Sommaradvanerin auf Goglesk geschehen war, dann von ihrem Lebensgefährten Conway und nicht von Cha Thrat selbst — darauf hatte Prilicla mit allem Nachdruck bestanden.
Die Formen der Behälter mit den Nahrungsmitteln der FGHJs waren erstaunlich wenig abwechslungsreich: Es gab lediglich zwei verschieden geformte Plastikflaschen, eine mit Wasser und die zweite mit einem schwach riechenden Nahrungskonzentrat, sowie einheitliche Blöcke aus einer trockenen, weichen Substanz, die in eine dünne Plastikfolie mit einem großen Ring zum Aufreißen verpackt war. Laut Murchison waren die flüssigen und festen Lebensmittel zwar synthetisch hergestellt worden, vom Nährstoffgehalt jedoch auf den Stoffwechselbedarf der FGHJs optimal zugeschnitten, und die in geringen Mengen zugesetzten Substanzen, die keinen Nährwert hatten, dienten wahrscheinlich zur Anregung der Geschmacksknospen.
Doch als Cha Thrat dem Alien einen dieser Blöcke zuwarf, riß der FGHJ daran mit den Zähnen, ohne seine Mahlzeit vorher aus der Plastikfolie auszupacken. Genausowenig Beachtung schenkte er den Sprungdeckeln, mit denen die Flaschen verschlossen waren. Er biß einfach mit den Zähnen den Flaschenhals auf und saugte den Rest der Flüssigkeit heraus, den er sich in seiner ungestümen Art vorher nicht über die Brust gegossen hatte.
Ein paar Minuten darauf stieß die Pathologin einen unübersetzbaren Laut aus und sagte dann: „Seine Tischmanieren lassen sicherlich eine ganze Menge zu wünschen übrig, aber Hunger scheint er jetzt nicht mehr zu haben. Also, fangen wir an!“
Durch die Mahlzeit hatte sich das Verhalten des Aliens nicht merklich geändert, nur daß er jetzt vielleicht noch mehr Kraft besaß, um sich zu wehren. Als Murchison schließlich die Proben entnommen hatte, wiesen Naydrad, Cha Thrat und die Pathologin selbst zahlreiche blaue Flecken auf, und Danalta, dessen Körper nicht verletzt oder verformt werden konnte, es sei denn, man setzte ihn überaus hohen Temperaturen aus, war zu einigen unglaublichen Verwandlungen gezwungen gewesen, um den anderen dabei zu helfen, den Alien ruhigzuhalten. Als die Arbeit vollbracht war, schickte Murchison Naydrad und Danalta mit den Proben voraus, während sie selbst, noch völlig außer Atem, beim Alien blieb und kein Auge von ihm abwandte.
„Das gefällt mir nicht“, sagte sie.
„Mir macht das auch zu schaffen“, pflichtete ihr Cha Thrat bei. „Aber wenn man sich ein Problem oft genug und immer wieder in anderen Worten vor Augen hält, ergibt sich manchmal eine Lösung.“
„Ich nehme an, das hat irgendwann einmal irgendein weiser sommaradvanischer Philosoph gesagt“, entgegnete Murchison trocken. „Entschuldigen Sie, Cha Thrat. Was wollten Sie sagen?“
„Das hat ein terrestrischer Lieutenant namens Timmins gesagt“, korrigierte sie die Pathologin. „Ich wollte eigentlich nur noch mal das Problem zusammenfassen: Wir stehen einer Schiffsbesatzung gegenüber, die anscheinend an einer Krankheit leidet, die sich nicht auf die körperliche Gesundheit auswirkt, dafür aber den Verstand beeinträchtigt. Die Aliens sind nicht nur außerstande, ihr unbeschädigtes und vollkommen funktionstüchtiges Schiff zu fliegen, sondern erinnern sich auch nicht einmal daran, wie die Beinfesseln, Türen oder Essensbehälter zu öffnen sind. Also sind auf das Niveau gesunder Tiere gesunken.“
„Jetzt haben Sie das Problem zwar noch einmal dargestellt, aber in denselben Worten wie zuvor“, hielt ihr Murchison in ruhigem Ton entgegen.
„Die Wohnquartiere sind kahl und trostlos, weshalb wir zuerst geglaubt hatten, das hier sei ein Gefangenenschiff“, fuhr Cha Thrat fort. „Aber womöglich wissen die Besatzungsmitglieder, aus Gründen, die vielleicht psychischer Natur sind und mit Raumflügen zusammenhängen oder mit einer Krankheit, die sie auf Raumreisen befällt, daß für sie körperliche Bequemlichkeit, angenehme Umgebungen und von ihnen geschätzte persönliche Habseligkeiten auf dem Flug vollkommen überflüssig sind, weil sie damit rechnen, zu Tieren zu werden. Normalerweise ist das vielleicht nur ein kurzer, episodenhafter und vorübergehender Zustand, aber diesmal ist irgend etwas schiefgegangen und das Ganze zu einem Dauerzustand geworden.“
„Jetzt haben Sie das Problem wirklich mit anderen Worten formuliert“, stellte Murchison fest, wobei sie merkwürdig rollende und zuckende Bewegungen mit den Schultern und ein Hohlkreuz machte, als liefe ihr das, was Terrestrier wohl „Gänsehaut“ nannten, über den Rücken. „Aber falls Ihnen das irgendwie weiterhilft, unter den Proben, die Naydrad mir zur Analyse gebracht hat, befanden sich sowohl ein Medikament als auch Nahrungsmittel. Bei dem Medikament handelt es sich nur um eine Sorte, nämlich um das Beruhigungsmittel, dessen Rückstände ich in der Leiche gefunden habe, und zwar in Form von Kapseln, die geschluckt werden müssen. Sie könnten also damit recht haben, daß die Aliens den Zustand vorhergesehen und Vorkehrungen getroffen haben, um das Risiko zu verringern, sich in der vernunftlosen Phase selbst zu verletzen. Allerdings ist es schon merkwürdig, daß Naydrad, die nach solchen Dingen immer sehr gründlich sucht, nur diesen einen Arzneityp gefunden hat, aber keine Spur von Untersuchungs—, Diagnose- und Operationsinstrumenten. Selbst wenn diese Aliens vor dem Start von ihrer Erkrankung gewußt haben, sieht es ganz so aus, als würde kein Arzt zur Besatzung gehören.“