„Natürlich. aber schildern Sie uns doch bitte jetzt Ihre postoperative Behandlungsmethode“, forderte Edanelt sie auf.
„Der Patient kam spät abends wieder zu Bewußtsein“, fuhr Cha Thrat fort. „Geistig und sprachlich machte er einen klaren Eindruck, obwohl ich die genaue Bedeutung einiger Worte nicht verstand, da sie sich auf das Schicksal des defekten Flugzeugs und von mir selbst bezogen und die gesamte aktuelle Situation mit einer ausgesprochen unangenehmen Hypothese über ein Leben nach dem Tod vermengten. Weil sich die einheimischen Pflanzen wahrscheinlich als schädlich erwiesen hätten, konnte der Patient nur mit oral zugeführtem Wasser versorgt werden. Er klagte über starke Beschwerden an den verletzten Stellen. Die Verabreichung sommaradvanischer Schmerzmittel war aber nicht möglich, da sie sich womöglich als giftig herausgestellt hätten, so daß der Verletzte nur durch beruhigendes und ermunterndes Zureden behandelt werden konnte.“
„Drei volle Tage hat sie ununterbrochen auf mich eingeredet“, ergänzte Chiang. „Sie hat mir Fragen über meine Arbeit gestellt und was ich nach der Rückkehr in den aktiven Dienst machen würde, als für mich schon so gut wie feststand, den Heimweg in einer länglichen Kiste antreten zu müssen. Manchmal hat sie so viel geredet, daß ich einfach eingeschlafen bin.“
An Priliclas Gliedmaßen war ein leichtes Zittern wahrzunehmen, und Cha Thrat fragte sich, ob der Cinrussker so feinfühlig war, daß er sogar die schmerzhaften Erinnerungen des Terrestriers mitempfand.
„Aufgrund mehrerer dringender Bitten trafen schließlich fünf Mitglieder der Spezies des Patienten ein, unter denen auch ein Heiler war, die geeignete Nahrungsmittel und Medikamente mitbrachten“, setzte sie den Bericht fort. „Danach schritt die Genesung rasch voran. Der terrestrische Heiler gab mir Ratschläge zur Ernährung und zur Dosierung der Medikamente, und es stand ihm jederzeit frei, den Patienten zu untersuchen, aber weitere operative Eingriffe wollte ich keinesfalls zulassen. Dazu sollte ich vielleicht erklären, daß auf Sommaradva kein Chirurg die persönliche Verantwortung für einen Patienten mit jemand anderem teilt oder gar versucht, sich ihr auf irgendeine andere Weise zu entziehen. Dabei ist mein Standpunkt heftig kritisiert worden, sowohl in persönlicher als auch in fachlicher Hinsicht, und zwar besonders von dem terrestrischen Heiler. Ich habe mich geweigert, dem Transport des Patienten auf das terrestrische Schiff vor Ablauf von achtzehn Tagen nach der Operation zuzustimmen, weil ich erst dann davon überzeugt sein konnte, daß eine vollständige Genesung gewährleistet war.“
„Sie hat wie eine Glucke über mich gewacht“, fügte Chiang mit einem gedämpften Bellen hinzu.
Es trat ein — zumindest nach Cha Thrats Eindruck — sehr langes Schweigen ein, während dessen alle Augen auf den Melfaner gerichtet waren, der seinerseits den Patienten betrachtete. Er klopfte mit einem seiner harten Beinenden auf den Boden, aber diesmal hörte sich das dadurch hervorgerufene Geräusch eher nachdenklich als ungeduldig an.
Schließlich sagte Edanelt: „Ohne den sofortigen chirurgischen Eingriff wären Sie Ihren Verletzungen zweifellos erlegen, Major. Sie hatten wirklich riesiges Glück. Schließlich sind sie von einem Lebewesen versorgt und behandelt worden, dem Ihre physiologische Klassifikation vollkommen unbekannt war. Genauso ein Glück war es, daß das betreffende Wesen nicht nur sehr viel Geschick und Einfallsreichtum an den Tag gelegt hat, als es sich um Ihre Nachbehandlung kümmerte, sondern auch den richtigen Gebrauch von den ihm zur Verfügung stehenden begrenzten Möglichkeiten gemacht hat. Ich kann an der hier geleisteten chirurgischen Arbeit keinen ernsthaften Fehler entdecken. Mit dem Patienten vergeuden wir tatsächlich nur unsere Zeit.“
Auf einmal richteten sich alle Augen auf Cha Thrat, doch es war der Empath, der als erster das Wort ergriff.
„Sie können wirklich stolz sein, Cha Thrat. Aus Edanelts Mund ist das ein echtes Lob“, versicherte er.
3. Kapitel
Das Privatbüro des Terrestriers O'Mara war zwar geräumig, aber das Zimmer war durch eine, Menge verschiedenster Stühle, Bänke, Ruhesessel und Sitzgestelle, die allesamt für Wesen konstruiert worden waren, die mit dem Chefpsychologen zu tun hatten, völlig überfüllt. Chiang nahm in dem angebotenen Stuhl für Terrestrier Platz, und Cha Thrat wählte einen niedrigen, gewundenen Korbsessel, der nicht ganz so unbequem wie die anderen Möbel wirkte, und setzte sich.
Gleich auf den ersten Blick erkannte sie, daß O'Mara ein älterer Terrestrier war. Das kurze, borstige Fell, das den Kopf oben und an den Seiten bedeckte, und die beiden buschigen Mondsicheln über den Augen wiesen die gräuliche Färbung unlackierten Metalls auf. Die anderen alten Terrestrier, die ihr bislang zu Augen gekommen waren, hatten allerdings an den Schultern, den oberen Gliedmaßen und Händen eine sehr viel weniger ausgeprägte Muskulatur als dieser O'Mara gehabt. Auch seine geschmeidigen, fleischigen Augendeckel, die einen ähnlichen Farbton wie sein Haar aufwiesen, ermüdeten kein einziges Mal, während er jede Einzelheit ihres Körpers musterte.
„Sie sind hier bei uns eine Fremde, Cha Thrat“, schoß er plötzlich los. „Ich bin hier, um Ihnen zu helfen, sich im Orbit Hospital weniger fremd zu fühlen, um Ihnen Fragen zu beantworten, die Sie anderen noch nicht stellen konnten oder wollten, und um zu sehen, wie man Ihre bisher erlangten Fähigkeiten schulen und erweitern kann, damit das Hospital diese in der bestmöglichen Weise einzusetzen vermag.“
Dann wandte er sich an Chiang. „Ich hatte eigentlich vor, mich mit Ihnen gesondert zu unterhalten, aber offensichtlich möchten sie aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen bei meinem ersten Gespräch mit Cha Thrat dabeisein. Kann das daran liegen, daß Sie einige der Dinge, die sich das Krankenhauspersonal über mich erzählt, aufgeschnappt haben und womöglich auch noch glauben? Haben Sie die Illusion, Sie wären ein Kavalier und Cha Thrat, obwohl sie zu einer anderen physiologischen Klassifikation gehört, eine Dame, die zwar nicht direkt in Not steckt, aber doch eine Freundin ist, die Ihre moralische Unterstützung benötigt? Ist das etwa der Grund, Major?“
Chiang bellte zwar leise, entgegnete aber nichts.
„Eine Frage“, mischte sich Cha Thrat ein. „Warum geben Sie Terrestrier andauernd dieses merkwürdige Bellen von sich?“
O'Mara wandte sich ihr zu und musterte sie eine ganze Weile. Dann atmete er geräuschvoll aus und antwortete: „Eigentlich hatte ich Ihre erste Frage etwas, nun, tiefgründiger erwartet. Aber, bitte sehr. Diese Laute werden „Lachen“ genannt, nicht „Bellen“, und in den meisten Fällen handelt es sich dabei um einen psycho-physischen Mechanismus zum Freisetzen geringer innerer Spannungen. Ein Terrestrier lacht aus Erleichterung über das plötzliche Nachlassen von Angst oder Sorge, aber auch um Verachtung, Unglauben oder Sarkasmus auszudrücken, oder er reagiert damit auf alberne, unlogische oder komische Äußerungen oder Situationen. Womöglich lacht er aber auch lediglich aus Höflichkeit, wenn die Situationen oder Äußerungen nicht komisch sind, der Urheber des vermeintlichen Scherzes aber einen hohen Rang bekleidet. Ich werde mich hüten, Ihnen den terrestrischen Humor oder Feinheiten wie Sarkasmus zu erklären, weil wir diese Dinge selbst nicht ganz verstehen. Ich persönlich lache nur selten, und zwar aus Gründen, die Sie immer besser verstehen werden, je länger Sie hier bei uns sind.“
Aus irgendeinem Grund bellte — lachte — Chiang erneut.
O'Mara überhörte es und fuhr fort: „Jedenfalls ist Chefarzt Edanelt mit Ihren fachlichen Fähigkeiten zufrieden und empfiehlt mir, Sie so bald wie möglich auf einer geeigneten Station einzusetzen. Aber bevor das geschieht, müssen Sie sich mit den Einrichtungen, der Funktionsweise und der Arbeit des Hospitals noch besser vertraut machen. Wie Sie schnell feststellen werden, handelt es sich dabei für jemanden, der sich hier nicht auskennt, um einen höchst gefährlichen Ort, der einem Angst einjagen kann. Und im Moment sind Sie ein solcher Jemand.“ „Ich verstehe“, warf Cha Thrat ein.