„Wir empfangen kein klares Bild“, meldete Fletcher, „und irgend etwas dicht vor der Linse versperrt fast die gesamte Sicht. Haben Sie die Kamera richtig befestigt oder sehen wir einen Teil Ihrer Schulter?“
„Nein, Sir“, antwortete Cha Thrat und versuchte, den einer Untergebenen gebührenden Ton beizubehalten. „Im Raum herrscht keine Schwerkraft, und deshalb fliegen hier allerhand flache, annähernd runde Gegenstände herum. Sie sind anscheinend organisch und weisen eine ziemlich einheitliche Form auf Die eine Seite ist dunkelgrau und die andere heller und gesprenkelt. Meiner Meinung nach könnten das Fladen einer Fertignahrung sein, die aus einer aufgebrochenen Packung stammen, oder auch feste Körperausscheidungen, ähnlich denen, auf die ich in den Schlafsälen gestoßen bin, die getrocknet sind und ihre Farbe verloren haben. Ich versuche jetzt, einen Teil davon aus dem Weg zu schieben.“
Mit einem plötzlich auftauchenden Ekelgefühl räumte sie die sichtbehindernden Gegenstände aus dem Blickfeld der Kamera, wobei sie die Hände der mittleren Gliedmaßen benutzte, weil das die einzigen waren, auf denen sie noch Handschuhe trug. Von der Rhabwar kam keine Reaktion.
„An den Wänden und der Decke sind große, unregelmäßige Klumpen aus einer schwammartigen oder pflanzlichen Substanz befestigt“, setzte Cha Thrat ihren Bericht fort und drehte sich so, daß die anderen durch die Bilder der Kamera, wie undeutlich auch immer, das sehen konnten, was sie zu beschreiben versuchte. „Soweit ich es erkennen kann, hat jeder Klumpen eine andere, wenn auch sehr zarte Farbe, und unter allen befindet sich ein kurzes, gepolstertes Brett.
Dicht über dem Boden sehe ich drei schmale, rechteckige Klappen, deren Größe und Lage denen in den Schlafsälen entspricht“, fuhr sie fort. „Diese Fladen, oder was auch immer, sind im ganzen Raum verteilt, aber ich kann etwas Großes erkennen, das in einer Ecke nahe der Decke schwebt. Es ist der FGHJ!“
„Ich verstehe nicht, warum der nicht von den Sensoren angezeigt wird“, wunderte sich Fletcher. Er gehörte zu jener Sorte Captain, die hartnäckig von der ihr unterstehenden Besatzung und der Ausrüstung Höchstleistungen verlangte und schlechte Arbeit von einer der beiden Seiten als persönliche Beleidigung auffaßte.
„Gute Arbeit, meine Freundin“, lobte Prilicla sie begeistert. „Jetzt schnell! Bringen Sie ihn zur Tür, damit wir ihn auf die Trage legen können. Wir sind gleich bei Ihnen. Wie ist der allgemeine Gesundheitszustand?“ Cha Thrat näherte sich dem Alien und fegte weitere Fladen aus dem Weg. „Ich kann keine einzige körperliche Verletzung entdecken, nicht einmal eine kleine Prellung oder äußere Anzeichen für eine Krankheit“, berichtete sie. „Aber dieser FGHJ ist nicht wie die anderen. Er macht einen viel hagereren und weniger muskulösen Eindruck. Die Haut wirkt dunkler und faltiger, und die Hufe sind ausgeblichen und an mehreren Stellen eingerissen. Die Körperhaare sind grau. Ich. ich glaube, das ist ein viel älterer FGHJ, vielleicht der Herrscher des Schiffs. Womöglich hat er sich hier versteckt, um so dem Schicksal der übrigen Besatzungsmitglieder zu entgehen und.“
Sie brach mitten im Satz ab.
„Meine Freundin, weshalb diese Empfindungen? Was ist Ihnen passiert?“ erkundigte sich Prilicla besorgt.
„Mir ist nichts passiert“, antwortete sie und bemühte sich, ihre Enttäuschung zu zügeln. „Ich habe den FGHJ jetzt. Es gibt keinen Grund zur Eile. Er ist tot.“
„Na bitte! Das erklärt auch, warum ihn meine Sensoren nicht angezeigt haben“, stellte Fletcher fest.
„Freundin Cha Thrat“, sagte Prilicla, ohne den Einwurf des Captains zu beachten, „sind Sie sich dessen auch ganz sicher? Ich kann immer noch die Ausstrahlung eines in tiefer Bewußtlosigkeit schwebenden Verstands wahrnehmen.“
Cha Thrat zog den FGHJ auf sich zu, damit sie die Hände ihrer Oberarme benutzen konnte, und entgegnete dann: „Die Körpertemperatur ist sehr niedrig. Die Augen sind geöffnet und reagieren nicht auf Licht. Die üblichen Lebenszeichen fehlen. Tut mir leid, der FGHJ ist tot und.“ Sie ließ den Satz unvollendet, um einen genaueren Blick auf den Kopf des Aliens zu werfen. „Und ich glaube, ich weiß jetzt, woran er gestorben ist!“ fuhr sie aufgeregt fort. „Sein Nacken! Können Sie den sehen?“
„Nein, jedenfalls nicht deutlich“, antwortete Prilicla schnell, der offenbar Cha Thrats wachsende Aufregung und Angst spürte. „Einer dieser scheibenförmigen Gegenstände ist im Weg.“
„Aber genau der ist ja die Todesursache!“ rief Cha Thrat. „Zuerst dachte ich, eine dieser Scheiben sei gegen die Leiche gestoßen und am Kopf hängengeblieben. Aber das war ein Irrtum. Die Scheibe hat sich absichtlich mit diesen dicken weißen Ranken, die Sie am Rand sehen können, an den FGHJ geheftet. Jetzt, wo ich mich danach umsehe, kann ich die Ranken bei allen Scheiben erkennen, und nach der Länge zu urteilen, müssen sie sehr tief in die Wirbelsäule und den Hinterkopf der Leiche eingedrungen sein. Diese Scheibe ist oder war am Leben und könnte dafür verantwortlich gewesen sein, daß wir.“
„Cha Thrat!“ schnitt ihr Fletcher in scharfem Ton das Wort ab. „Nichts wie raus da!“
„Sofort!“ fügte Prilicla hinzu.
Äußerst behutsam ließ Cha Thrat den toten FGHJ los, nahm ihre Kamera ab und heftete sie mit den Magnethaltern an eine freie Stelle an der Wand. Sie wußte, daß sich das medizinische Team diese sonderbare und abstoßende Lebensform, von dem das Alienschiff heimgesucht worden war, gerne genau ansehen würde, bevor man eine Entscheidung treffen wollte, wie man mit ihr verfahren sollte. Dann wandte sie sich dem Eingang zu, der plötzlich sehr weit entfernt zu sein schien.
Zwischen ihr und der Tür schwebten die Scheiben dicht an dicht wie ein fremdartiges Minenfeld. Einige bewegten sich noch immer langsam in den Luftwirbeln, die Cha Thrats Eintreten oder die Schläge hervorgerufen hatten, mit denen sie von ihr so lässig zur Seite gestoßen worden waren, vielleicht trieben sie sich aber auch durch Eigendrehungen an. Sie boten sich dem Auge von allen Seiten dar: mit der glatten Oberfläche der gesprenkelten Seite, der grauen und faltigen Rückseite und den mit schlaffen, weißen Ranken besetzten Rändern.
Cha Thrat war so mit der Suche nach einem lebenden FGHJ beschäftigt gewesen, daß sie sich die Scheiben, die von ihr irrtümlich für im Raum schwebende Fladen zum Essen oder getrocknete Ausscheidungsstoffe gehalten worden waren, kaum angesehen hatte. Sie wußte immer noch nicht, worum es sich bei ihnen handelte, sondern nur, wozu sie imstande waren — nämlich zur völligen Zerstörung der erstklassig geschulten und intelligenten Gehirne ihrer Opfer, denen sie nichts ließen als die grundlegenden und rein instinktiven Reflexe von Tieren.
Bei der Vorstellung eines Raubtiers, das seine Beute nicht verschlingt und ihr keinen körperlichen Schaden zufügt, sondern sich mit ihrer Intelligenz vollfrißt, hätte sich Cha Thrat am liebsten in den Wahnsinn geflüchtet. Sie hatte rasende Angst, noch einmal eine der Scheiben zu berühren, aber es waren zu viele, als daß sie es hätte verhindern können. Sollte ihr jedoch eine in die Quere kommen, entschloß sich Cha Thrat grimmig, dann würde sie diese mit aller Kraft berühren oder richtiger, sie zerschlagen.
In ihrem Kopfhörer erklang die freundliche, beruhigende Stimme Priliclas. „Sie haben Ihre Angst gut unter Kontrolle, meine Freundin“, lobte er sie. „Bewegen Sie sich jetzt langsam und vorsichtig, und machen Sie keine.“
Als plötzlich ein hoher, durchdringender Ton aus ihrem Kopfhörer gellte, der anzeigte, daß zu viele Leute gleichzeitig zu ihr sprachen und damit den Translator überlasteten, fuhr sie zusammen. Aber die Sprecher mußten sofort gemerkt haben, was geschehen war, denn der Ton wurde wieder schwächer und verhallte schließlich, bis nur noch eine Stimme übrigblieb, die des Captains.