Murchison brach als erste das Schweigen. „Wir haben doch Schutzanzüge und Schneidbrenner“, sagte sie. „Warum entgiften wir den Raum nicht selbst, indem wir alle Scheiben, auch die auf dem Nacken der Technikerin, verbrennen und Cha Thrat zur Behandlung hierherholen, solange noch etwas von ihrem Verstand übrig ist? Die Hospitalärzte können später die Entgiftung abschließen, wenn wir.“
„Nein!“ unterbrach sie der Captain in bestimmtem Ton. „Wenn einer von Ihnen auf das fremde Schiff geht, darf er nicht mehr zurück!“
Cha Thrat wollte sich nicht einmischen, weil mit dem Sprechen eine leichte geistige Anstrengung verbunden gewesen wäre, die zu einer Blockierung des Bereichs ihres Gehirns geführt hätte, der nach ihrem Wunsch aufnahmefähig bleiben sollte. Statt dessen machte sie mit den unteren Armen die Geste, die zur Geduld aufforderte, aber dann fiel ihr ein, daß diese für Nicht-Sommaradvaner keine Bedeutung hatte, und bediente sich des terrestrischen Zeichens, indem sie eine nach vorn gerichtete Handfläche hochhielt.
„Ich bin völlig durcheinander“, meldete sich Prilicla plötzlich. „Freundin Cha Thrat hat keine Schmerzen oder geistig-seelische Beschwerden. Sie verspürt irgendeinen ganz dringenden Wunsch, aber die emotionale Ausstrahlung ist typisch für jemanden, der sich angestrengt bemüht, gelassen zu bleiben und die übrigen Gefühle unter Kontrolle zu halten.“
„Aber sie hat sich nicht unter Kontrolle“, fiel ihm Murchison ins Wort. „Sehen Sie sich doch an, wie sie mit den Armen herumgefuchtelt hat. Sie vergessen, daß die Empfindungen und Emotionen nicht mehr Cha Thrats eigene sind.“
„Freundin Murchison, wer von uns beiden ist hier eigentlich das Wesen, das für Emotionen empfänglich ist?“ rügte Prilicla sie, wie es sanfter nicht möglich war. „Freundin Cha Thrat, versuchen Sie zu sprechen. Was sollen wir für Sie tun?“
Eigentlich wollte Cha Thrat ihnen sagen, daß sie alle endlich den Mund halten und sie in Ruhe lassen sollten, doch brauchte sie dringend die Hilfe des Teams, aber diese Bitte hätte nur noch mehr Fragen, Unterbrechungen und geistige Verwirrung hervorgerufen. Ihr Gehirn war ein brodelndes Gemisch aus Gedanken, Eindrücken, Erfahrungen und Erinnerungen, die nicht nur ihre eigene Vergangenheit auf Sommaradva betrafen, sondern auch die der Heilerin Khone und des Diagnostikers Conway. Darin stolperte der Neuankömmling wie ein ungebetener Gast in einem großen, üppig möblierten, aber nur unzulänglich beleuchteten Haus herum, untersuchte einige Gegenstände und schreckte vor anderen wiederum zurück. Wie Cha Thrat wußte, war jetzt nicht die Zeit, ihn einfach gewähren zu lassen.
Am besten wäre es vielleicht, wenn sie einige der Fragen des Teams beantwortete und gerade soviel sagte, daß man den Mund hielt und das tat, was sie wollte.
„Ich befinde mich nicht in Gefahr und habe auch keine körperlichen oder seelischen Beschwerden“, antwortete Cha Thrat vorsichtig. „Wenn ich will, kann ich jederzeit die volle Gewalt über meinen Verstand und Körper zurückerlangen, aber ich habe mich entschlossen, das nicht zu tun, weil ich es nicht riskieren will, die geistige Verbindung durch zu langes Sprechen abzubrechen. Ich möchte, daß Chefarzt Prilicla und Pathologin Murchison so schnell wie möglich zu mir kommen. Die FGHJs sind im Moment nicht wichtig, genausowenig wie das Betäubungsmittel oder die Suche nach dem anderen Überlebenden, denn der.“
„Nein!“ schrie Fletcher dazwischen, und seine Stimme klang, als ob ihm jeden Moment übel werden würde. „Diese Dinger sind mit allen Wassern gewaschen. Merken Sie denn nicht, wie hinterhältig die versuchen, Cha Thrat dazu zu bringen, uns erst in Sicherheit zu wiegen, um uns dann zu sich hinüberzulocken? Wenn Sie beide erst mal in deren Gewalt sind, wird es bestimmt noch bessere Gründe geben, daß der Rest von uns zu Ihnen kommt oder Sie darauf bestehen, zurückzukehren, um die gesamte Besatzung der Rhabwar in den gleichen Zustand zu versetzen wie die FGHJs. Nein, es wird keine weiteren Opfer geben.“
Cha Thrat versuchte, diese Einwände zu überhören, da sie in ihrem Kopf zu Gedankengängen führten, die den Neuankömmling beunruhigten und von einer echten Verständigung mit ihr abhielten. Ganz vorsichtig hob sie die hintere Mittelgliedmaße und beugte sie so, daß der große Finger auf die Scheibe deutete, die ihr am Nacken klebte.
„Das hier ist der Überlebende“, behauptete sie, „der einzige Überlebende.“
Auf einmal empfand der Fremde in ihrem Kopf eine ungeheure Befriedigung und Beruhigung, als wäre er überglücklich, endlich seine Notlage erfolgreich verständlich gemacht zu haben. Wie Cha Thrat feststellte, konnte sie jetzt auch sprechen, ohne dabei die Angst zu spüren, daß er sich von ihr lösen, eingehen und vielleicht sterben könnte.
„Er ist schwer krank“, fuhr Cha Thrat fort, „konnte aber, als ich den Raum betreten habe, für einen kurzen Augenblick das Bewußtsein und die Bewegungsfähigkeit wiedererlangen. In diesem Moment entschloß er sich zu einem letzten verzweifelten Versuch, für seine Freunde und die ihrer Verantwortung unterstehenden Wirtswesen Hilfe zu beschaffen. Die ersten, ungeschickten Bemühungen, Kontakt herzustellen, waren der Grund für die unkoordinierten Bewegungen meiner Gliedmaßen. Daß er der einzige Überlebende ist, hat der Alien erst in den vergangenen Minuten bemerkt.“
Niemand, nicht einmal der Captain, sagte jetzt ein Wort. „Deshalb brauche ich Prilicla zur Überwachung der emotionalen Ausstrahlung des Aliens aus nächster Nähe“, fuhr Cha Thrat fort, „und Murchison zur Untersuchung der toten Freunde des Aliens, weil ich hoffe, daß sie die Todesursache feststellt und eine Behandlungsmethode findet, bevor der Alien nicht mehr zu heilen ist.“
„Nein“, widersprach der Captain erneut mit Vehemenz. „Die Geschichte klingt zwar gut und insbesondere für einen Haufen ET-Ärzte faszinierend, aber das könnte dennoch ein Trick sein, um weitere Besatzungsmitglieder der Rhabwar unter geistige Kontrolle zu bekommen. Tut mir leid, Cha Thrat, aber das können wir nicht riskieren.“
„An dem, was Freund Fletcher gesagt hat, ist etwas dran“, räumte Prilicla ein. „Und Sie wissen ja selbst, meine Freundin, daß die Einwände des Captains berechtigt sind, schließlich haben Sie mit eigenen Augen den geistlosen Zustand gesehen, in dem die FGHJs von diesen Kreaturen zurückgelassen worden sind. Nein, meine Freundin, mir tut es ebenfalls leid.“
Nun schwieg wiederum Cha Thrat, während sie eine für alle befriedigende Lösung zu finden versuchte. Irgendwie hatte sie vom Empathen eine derartige Härte nicht erwartet.
Schließlich sagte sie: „Körperlich ist der Alien völlig entkräftet, und ich könnte ihn ganz leicht abnehmen, um Ihnen zu zeigen, daß er keine Gewalt über meinen Körper hat, aber durch solch eine Maßnahme wird er womöglich sterben. Wenn ich jedoch beweisen würde, daß ich mich normal bewegen kann, indem ich diesen Raum verlasse und mich vier Decks nach unten begebe, wo wir nicht von der emotionalen Ausstrahlung der FGHJs gestört werden, und den Alien eindringlich bitten würde, bis dahin bei Bewußtsein zu bleiben, könnte dann der Cinrussker mit seinen empathischen Fähigkeiten feststellen, ob die emotionale Ausstrahlung des Aliens die eines hochintelligenten und zivilisierten Lebewesens oder die eines Raubtiers ist, das einem die Vernunft stiehlt und Sie da drüben anscheinend in Angst und Schrecken versetzt?“
„Vier Decks weiter unten heißt, daß sie dann nur noch ein Deck über dem Bordtunnel ist und von dort aus.“, begann der Captain, doch Prilicla schnitt ihm das Wort ab.
„Wenn ich der betreffenden Lebensform nahe genug wäre, könnte ich solch einen Unterschied durchaus wahrnehmen, Freundin Cha Thrat. Wir treffen uns dort gleich direkt vor Ort.“
Aus Cha Thrats Translator kam erneut ein Heulen. Als es langsam nachließ, sagte Prilicla gerade: „Freund Fletcher, als ranghöchster medizinischer Offizier an Bord habe ich die Pflicht, mich davon zu überzeugen, ob es sich bei der Lebensform, die sich an Cha Thrat geheftet hat, um den Patienten oder um die Krankheit handelt! Da jedoch gerade meine Spezies in der Föderation für ihre Ängstlichkeit und Feigheit bekannt ist, werde ich alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Freundin Cha Thrat, stellen Sie die Kamera so ein, daß wir sehen können, ob irgendeins dieser Lebewesen versucht, den Raum zu verlassen und Ihnen zu folgen. Falls das auch nur ein Wesen tut, werde ich sofort zur Rhabwar zurückkehren und den Bordtunnel schließen. Haben Sie das verstanden?“